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Regionale Unterschiede bei Bereitschaft zur Organspende

In der Schweiz könnte das Potenzial an Organspendern besser ausgeschöpft werden. Keystone

Im Tessin werden laut einer Nationalfonds-Studie dreimal so viele Organe gespendet wie in der Deutschschweiz und zweimal soviel wie in der Romandie.

Ein Forscherteam der Universität Lugano zeigt in einer Studie, dass kulturelle Unterschiede zwischen den Sprachregionen entscheidend für die Spenderrate ist.

In der Schweiz lag die so genannte Organspenderrate im vergangenen Jahr bei 12 Spendern pro Million Einwohner. Dabei gibt es grosse Unterschiede zwischen den drei Landesteilen: In der Deutschschweiz liegt die Rate bei 11 Spendern, in der Romandie bei 16 und im Tessin bei 35.

Anders als bisher vermutet, hat die hohe Tessiner Spenderrate nicht nur mit der guten Überzeugungsarbeit der dortigen Ärzteschaft zu tun. Ein Forscherteam der Universität Lugano zeigt auf, dass es zusätzliche tiefere Gründe dafür gibt, wie der Schweizerische Nationalfonds (SNF) am Mittwoch mitteilte.

Grund für die grossen Unterschiede sind laut der neuen Studie die verschiedenen Kulturen in den Landesteilen. So wird in der Deutschschweiz Individualismus gross geschrieben, im Tessin ist die Gemeinschaft wichtig. Basis für die Studie bildet eine repräsentative Umfrage bei 1500 Personen.

Ausgeprägte Vorbehalte

In der Deutschschweiz ist die Bevölkerung zwar am besten über die Organspende informiert, doch sie ist dazu weniger positiv eingestellt als in den anderen Landesteilen. So haben nur 13,1% der Deutschschweizer einen Organspenderausweis. Die Bereitschaft, Organe zu spenden, liegt bei 53,4%.

Die Forscher erklären dies damit, dass in Gesundheitsfragen für überdurchschnittlich viele der Befragten Individualismus und Eigenverantwortung eine wichtige Rolle spielen. So hängt die Gesundheit für Deutschschweizer stärker vom eigenen Verhalten und weniger vom Alter und vom Stress ab als für Romands und Tessiner.

Ferner sind in der Deutschschweiz emotionale Vorbehalte gegenüber der Organspende wesentlich stärker ausgeprägt. So war die Befürchtung, mit einem Organspenderausweis medizinisch weniger gut behandelt zu werden, in der Deutschschweiz deutlich stärker verbreitet als in der Romandie und im Tessin.

Anderen in der Not beistehen

Im Tessin ist das Wissen über Transplantationen geringer als in den anderen Landesteilen. Auch haben nur 15,7% der Befragten einen Organspenderausweis.

Die Bereitschaft, Organe zu spenden ist mit 50,4% sogar tiefer als in der Deutschschweiz. Eine Erklärung dafür sehen die Forscher darin, dass viele der Befragten aussagten, der Gedanke an eine Organspende erinnere sie an den Tod und mache deshalb Angst.

Andererseits gaben überdurchschnittlich viele an, sie hätten das Bedürfnis, sich gegen Notfälle abzusichern – und zwar nicht einfach jeder auf eigene Faust, sondern auch gegenseitig. Diese Bereitschaft, sich in der Not beizustehen, sei eine wichtige Voraussetzung für die hohe Spenderrate, folgert das Forscherteam.

Romands am ausgewogensten

Eine Mittelposition nimmt die Romandie ein. Hier haben zwar am meisten Leute einen Organspenderausweis (23,1%) und 71,9% wären bereit, Organe zu spenden. Jedoch ist das Wissen über die Organtransplantation nicht gleich gross wie in der Deutschschweiz, und Information übt einen nachweisbar positiven Einfluss auf die Spendebereitschaft aus.

Wichtig sind in der Westschweiz aber auch soziale Kontakte und positive emotionale Einstellungen. Die Forscher gehen deshalb davon aus, dass Romands ihre Entscheide über eine Organspende am ausgewogensten fällen.

swissinfo und Agenturen

Das neue Transplantatonsgesetz wurde im Oktober 2004 vom Parlament verabschiedet und tritt am 1. Januar 2007 in Kraft. Seine Hauptpunkte:

Die Spende menschlicher Organe, Gewebe und Zellen ist unentgeltlich, der Handel ist verboten.

Für die Entnahme von Organen bei verstorbenen Personen ist das Einverständnis der spendenen Person nötig oder, wenn diese keinen Willen geäussert hat, der nächsten Angehörigen.

Als Todeskriterium gilt das Hirntod-Konzept, wonach der Mensch tot ist, wenn die Funktionen des Hirns irreversibel ausgefallen sind.

2005 standen in der Schweiz 1159 Personen auf der Warteliste für eine Transplantation.
Nur 413 dieser Personen erhielten ein Organ.
38 Menschen starben.
Die Spenderrate lag bei 12 Spendern pro Million Einwohner.
In der Deutschschweiz liegt die Rate bei 11 Spendern, in der Romandie bei 16 und im Tessin bei 35.

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