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Schaum auf dem Yamuna-Fluss und Einsteins Schuhe

Die Schweizer Künstlerin Rahel Hegnauer am Yamuna-Fluss in New Delhi. swissinfo.ch

Die Installationskünstlerin Rahel Hegnauer aus Zürich interveniert am vergifteten Yamuna-Fluss in Delhi, während der indische Künstler Abhishek Hazra in Bern auf Einsteins Spuren wandelt.

Der Kulturaustausch und die Zusammenarbeit von indischen und Schweizer Kunstschaffenden wird von Pro Helvetia unterstützt.

Das kleine fensterlose Atelier in einem dicht bevölkerten Quartier New Delhis wirkt klösterlich spartanisch. An den Wänden hängen Fotos von den jüngsten Recherchen der Zürcher Künstlerin Rahel Hegnauer. Sie wirken wie kleine Ausgucke aus dem Raum.

“Zusammen mit indischen Umweltaktivisten und einem Architekten realisiere ich ein Stück Kunst im öffentlichen Raum”, sagt die 39-Jährige und verweist auf eine Reihe von Fotos, die auf den ersten Blick an winterliche Landschaftsaufnahmen aus dem Jura erinnern.

Doch was wie eine Schneedecke aussieht, ist tatsächlich eine Schaumschicht aus giftigen Abwässern, die auf dem Yamuna-Fluss im Süden Delhis schwimmt.

Zwei Tage später führt uns Rahel Hegnauer an den Schauplatz Kalindi Kunj, der zugleich ein Pilgerort für die Hindus ist. Auf der Brücke hoch über dem Fluss hält ein Auto, der Fahrer steigt aus und wirft eine Schachtel hinunter. Niemand kümmerts.

Es ist Samstagmorgen. Wegen eines religiösen Festes tummeln sich Scharen von Menschen am Flussufer. Einige Knaben ziehen sich bis auf die Unterwäsche aus und steigen beherzt in die Kloake. “Es ist erschreckend, wie schnell man sich an alles gewöhnt”, sagt die Schweizer Künstlerin. Beim ersten Mal habe sie der Anblick noch schockiert.

Temporärer Garten und Spiegel in den Alpen

Rahel Hegnauer ist seit gut 15 Jahren mit Kunst im öffentlichen Raum präsent: sei dies mit einer Installation in einer ehemaligen Synagoge in der Slowakei, mit einem temporären Garten in einer Baulücke in Paris oder mit einer Intervention aus verspiegelten Quadern vor dem Morteratsch-Gletscher in den Bündner Alpen.

Einen Teil ihres Gastaufenthalts in Indien verbringt die von Pro Helvetia eingeladene Künstlerin in einem Atelier der Künstlervereinigung Khoj in Delhi, die ihren Fokus auf das Ineinandergreifen von Ökologie und Kunst im öffentlichen Raum richtet.

Aussichtsplattform auf den Fluss

“Der Fluss ist ein offener Abwasserkanal, alle Abwässer fliessen in den Yamuna. Ich möchte, dass die Leute sehen, wie sich das Wasser verändert, wenn es durch die Stadt fliesst. Obwohl es alle wissen, wollen sie es nicht wahrhaben”, sagt Rahel Hegnauer.

Wie eine Aussichtsplattform auf den Fluss hinaus sieht die Konstruktion aus Bambus aus, die die Künstlerin hat errichten lassen. Daneben eine Tafel mit den Analysen der Wasserproben des Flusses oberhalb und unterhalb der Stadt.

“Ich habe mir diesen Schauplatz ausgesucht, weil es ein religiöser Ort ist, an dem sich die Menschen im Fluss waschen”, erklärt die Künstlerin. “Einerseits wird der Fluss verehrt, andrerseits als Abfalldeponie missbraucht. Dieser Widerspruch interessiert mich.”

Dass Hegnauer mit ihrer Aktion einen Nerv der Stadt getroffen hat, haben ihr die starken Reaktionen aus dem Publikum gezeigt: “Die Verschmutzung des Flusses ist ein brennendes Thema.”

Auf Einsteins Spuren

Während die Schweizer Künstlerin vor Ort für ihr Projekt recherchierte und es dort in Zusammenarbeit mit lokalen Experten und Handwerkern realisierte, hat sich der visuelle Künstler, Graphiker und Kunstkritiker Abhishek Hazra aus der südindischen Stadt Bangalore in Bern auf die Spuren des Physikers Albert Einstein gemacht.

Der 30-Jährige interessiert sich für soziologische Aspekte der Wissenschaft und erforscht mit seinen multimedialen Arbeiten Schnittstellen von Technologie und Kunst. Zwei seiner Videos sind an der Ausstellung “Horn Please” am Kunstmuseum Bern zu sehen.

“Ich arbeite wie ein Filmemacher, zuerst recherchiere ich, dann schreibe ich die Story und schliesslich mache ich am Computer die Animationen”, sagt er gegenüber swissinfo. Dies gilt für seine visuellen Fabeln zwischen Fiktion und Realität. Doch der Künstler beschäftigt sich auch mit dem gesprochenen Wort.

Interaktive Performance

Während seines Aufenthalts in der Schweiz hätte Abhishek Hazra gern den Teilchenbeschleuniger am CERN in Genf besucht. Doch dieser Traum hat sich zerschlagen, da sich die Anlage teilweise auf französischem Boden befindet und der Künstler kein Schengen-Visum hat.

Stattdessen widmet er sich der Zusammenarbeit von Albert Einstein mit dem indischen Physiker Satyendra Nath Bose und zeigt eine interaktive Performance im Kulturzentrum Progr in Bern. Dabei darf sich das Publikum aussuchen, welche der vom Künstler präsentierten Fragen es gern von ihm beantwortet haben möchte.

Eine Zuschauerin deutet auf die folgende: “Wie kann ich diesen Forschern klar machen, dass es besser wäre, meine Kollektion von Einsteins schweissverkrusteten Schuhen zu untersuchen als sein gefrorenes Hirn?”

Abhishek Hazras Antwort auf dieses Gedankenexperiment hebt an wie eine wissenschaftliche Beweisführung und driftet dann langsam aber stetig weg in eine wie im Wahn vorgetragene Geschichte, die sich immer weiter verzweigt, bis sie ihren Boden verliert.

Der Blick hinter unsere Konstruktion von Realität ist es, was Abhishek Hazra interessiert, das Relativieren von Vorurteilen und vermeintlichen Wahrheiten. Der Aufenthalt in einer fremden Umgebung ist dafür wie geschaffen.

swissinfo, Susanne Schanda, Delhi und Bern

Im Januar 2007 hat die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia in New Delhi ein Verbindungsbüro eröffnet, mit dem sie den Kulturaustausch mit Indien fördern will.

Vergleichbare Verbindungsbüros gibt es schon länger in Warschau, Kairo und Kapstadt.

Diese Büros haben jährlich 300’000 bis 400’000 Franken für Konzerte, Theatervorstellungen, Ausstellungen und Lesungen zur Verfügung.

Für das Jubiläumsjahr 2008 zur Feier von 60 Jahren Freundschaftsabkommen zwischen der Schweiz und Indien erhält das Büro in New Delhi 500’000 Franken.

Die indische Kuratorin Pooja Sood und sieben Künstler gründeten 1997 die internationale Künstlervereinigung Khoj in Delhi.

Khoj fördert die Vernetzung von Künstlern in Südasien, lädt indische und internationale Künstler zu Atelieraufenthalten ein und organisiert Workshops in ganz Indien.

Sie richtet sich besonders an Kunstschaffende, die sich mit dem Zusammenhang von Kunst und Ökologie auseinandersetzen.

Unterstützt wird Khoj von zahlreichen internationalen Stiftungen.

Für den Atelieraufenthalt der Schweizer Künstlerin Rahel Hegnauer hat Khoj zum ersten Mal mit Pro Helvetia zusammengearbeitet.

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