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Alte Musik – eine neue Kunst

Der brasilianische Lautenspieler Vinicius Perez. swissinfo.ch

Die Schola Cantorum Basiliensis ist die älteste Hochschule der Welt für Alte Musik. In der Hochburg der zeitgenössischen Kunst, als die Basel gilt, überwinden Leitung und Studenten herkömmliches Kästchendenken, um das musikalische Erbe zu pflegen.

Seit der Gründung durch den Schweizer Dirigenten und Musiker Paul Sacher 1933 ist die Schola, wie die Institution genannt wird, in denselben altehrwürdigen Gebäuden untergebracht.

Und immer noch liegt der Fokus auf der Erforschung der Alten Musik, also der Frage, wie in der Vergangenheit die Werke von den Gesängen des 9. Jahrhunderts bis zu den Sinfonien des frühen 19. Jahrhunderts komponiert und aufgeführt wurden.

Trotzdem habe sich sehr viel geändert, seit er als junger Musiker in Basel Barockflöte studiert habe, sagt Pedro Memelsdorff. Der 54-jährige gebürtige Argentinier ist seit Anfang Jahr Direktor der Schola, wie die Hochschule genannt wird.

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Die Wiedergeburt des Fagotts

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Dank einer Subvention des Schweizerischen Nationalfonds konnten Watts und der Instrumentenbauer Walter Bassetto während Monaten zusammenarbeiten, um das Savary-Fagott wieder zu beleben. Als Basis dienten ihnen einige wenige Exemplare des ursprünglichen Instruments. (Raffaella Rossello, swissinfo.ch)

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Stadt als Leuchtturm 

“Angesichts von globaler Wirtschaft, Soziologie oder des riesigen technologischen Wandels fällt es schwer zu glauben, wie viel Zeit ich an der Schola verbracht habe”, blickt er gegenüber swissinfo.ch zurück. Alte Musik habe sehr lange als etwas Spezielles gegolten. “Aber sie ist das Gegenteil. Sie besitzt die Fähigkeit, offen zu sein für alle Kulturen und Stile, die durch Musik ausgedrückt werden können.”

In der Tat kommen die rund 200 Studentinnen und Studenten der Schola aus allen Ecken der Welt. Für den Direktor stellt sie die ideale Verkörperung der Stadt Basel selbst dar, in der die Spitzen der drei Länder Schweiz, Deutschland und Frankreich zusammentreffen und von der zahlreiche künstlerische Impulse ausgehen. Zu nennen sind die Ausstellungen in den zahlreichen renommierten Museen sowie die Art Basel, die grösste Messe weltweit für Gegenwartskunst.

“Basel ist wie ein Leuchtturm: Alles, was wir hier tun, wird sofort sichtbar und findet grosse Beachtung. Basel ist gewissermassen das Herz der internationalen Strömungen der neuen Kunst, aber auch der Alten Musik. Dies ist eine gute Metapher, weil wir die Alte Musik als neue Kunst sehen”, sagt Memelsdorff.

Diese Leuchtturm-Funktion der Institution sei durch die Wirtschaftskrise noch verstärkt worden. “Bedauerlicherweise mussten viele Hochschulen in Europa ihr Studienangebot einschränken oder ganz streichen. Das führt zu einer grösseren Nachfrage bei den Verbliebenen”, sagt der Direktor.

Zu den glücklichen Auserwählten, die den Sprung in die Schola geschafft haben, gehört Vinicius Perez, der im ersten Jahr bei Hopkinson Smith Laute studiert. “Hier bin ich am richtigen Ort, denn ich spezialisiere mich auf Musik der Frührenaissance. Wir lernen, wie die Stücke damals komponiert wurden und wie auch improvisiert wurde”, erzählt der 28-jährige Brasilianer. Das Studium der Tänze helfe, den Rhythmus und den Impetus der damaligen Musik besser zu verstehen.

Die Schola Cantorum Basiliensis ist Teil der Fachhochschule Nordwestschweiz und wird hauptsächlich von den Kantonen Basel-Stadt und –Land, Solothurn und Aargau unterstützt.

Dazu vergeben private Geldgeber und Sponsoren Stipendien.

Die Bandbreite der unterrichteten Fächer reicht vom Gesang des 9. Jahrhunderts zur Romantik des frühen 19. Jahrhunderts. Die Schola ist auch auf musikwissenschaftliche Forschungen spezialisiert.

Laut Direktor Pedro Memelsdorff vermag die Hochschule ihren Studenten aufgrund ihres weitläufigen Beziehungsnetzes und Auftrittsmöglichkeiten eine Brücke in die Berufswelt zu bauen.

Instrument und Ära gewechselt

Perez betont, dass es nicht einfach sei, vom Lautenspielen leben zu können. Trotzdem ist es momentan seine Haupteinnahmequelle, unterrichtet er doch einige Schüler. Er bereut keineswegs, dass er nach jahrelangem Studium der modernen Gitarre das Instrument und die Ära gewechselt hat. Er habe 20 Minuten seine langen Fingernägel angeschaut, die er für die klassische Gitarre gebraucht habe, bevor er sie geschnitten habe, um auf die Laute umzusteigen, wie Perez erzählt.

Es sei schwierig, junge Menschen für Alte Musik zu begeistern. “Viele meiner Studenten sagen, ‘das ist Musik für alte Leute’. Ich sage dann jeweils, ‘ich bin nicht so alt, wie ihr denkt, und ich mag und spiele sie trotzdem, wie ich auch gern Jimi Hendrix und Led Zeppelin höre’. Es gibt genügend Platz für alle Arten von Musik.”

Trotz der beobachteten inneren Widerstände sieht Perez ein wachsendes Interesse für Alte Musik. Der Schlüssel dafür liegt für den jungen Musiker in Projekten, die dem Publikum neue, überraschende Kombinationen bieten. So hat der Lautenist jüngst in Luzern ein Konzert mit einem brasilianischen Gitarristen gegeben, der Werke von Heitor Villa-Lobos und Astor Piazzolla spielte.

Grenzüberschreitungen 

“Es gibt Stimmen, die sagen, dass man diese verschiedenen Instrumente und Epochen nicht miteinander vermischen dürfe. Aber ich bin der Überzeugung, dass wir das, wovon wir überzeugt sind, tun müssen”, lautet Perez’ Credo.

Solche neue Kooperationen strebt auch Direktor Memelsdorff an, indem er auf institutioneller Ebene den Kontakt mit anderen Instituten sucht. Austauschprogramme etwa böten den Studenten eine neue Sicht auf die Welt, ist er überzeugt.

“Heute stellt sich die Frage, ob es überhaupt noch Alte Musik gibt. Wenn dies Musik ist, die einmal war, kann man genauso gut behaupten, dass alle Musik alt ist – jeder Ton, der einmal ertönte. Alte Musik ist einfach Musik.” Direktor Memelsdorff stellt bereits einen Gezeitenwechsel fest, herbeigeführt durch eine neue Generation und neue Denkweisen.

“Für lange Zeit gingen die besten Musikschulen davon aus, dass klassische Musik die Perfektion schlechthin darstelle und sie an der Spitze der Pyramide stünden. Vielleicht haben die jungen Menschen dies zu oft gehört, wir jedenfalls funktionieren anders.”

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