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Neue Schleife im Fluglärmstreit

Fluglärm sorgt für Ärger - hüben wie drüben. Keystone

Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes und der Ratifizierung des Staatsvertrags im Ständerat ist kein Ende des Fluglärmstreits in Sicht. "Ohne Nachverhandlungen gibt es keinen Staatsvertrag", tönt es von Seiten süddeutscher Politiker.

Politiker aus Südbaden haben das Urteil des Europäischen Gerichtshofes einhellig begrüsst. Sie sehen sich in ihrer Rechtsauffassung bestätigt und die deutsche Position damit gestärkt.

Am 7. März hatte das EU-Gericht die Schweizer Klage im Fluglärmstreit in letzter Instanz abgewiesen und das bestehende, von Deutschland einseitig verhängte Nachtflugverbot für den Flughafen Zürich für rechtens erklärt.

Kein Staatsvertrag ohne Nachbesserungen

Vertreter des Landes Baden-Württemberg fordern den deutschen Verkehrsminister Peter Raumsauer (CSU) nun parteiübergreifend auf, den hängigen Fluglärm-Staatsvertrag mit der Schweiz nachzuverhandeln.

So sagte zum Beispiel der Waldshuter Landrat Tilman Bollacher (CDU) der Zeitung Die Welt, Ramsauer solle nun stärker als bisher für deutsche Interessen kämpfen. “Ohne Nachverhandlungen wird es keinen Staatsvertrag geben”.

Ähnlich äusserte sich die baden-württembergische Verkehrsstaatssekretärin Gisela Splett (Grüne). “Ohne Nachbesserungen können wir damit nicht leben”, sagte sie der Nachrichtenagentur dpa.

 

Mit dem Staatsvertrag wollten Deutschland und die Schweiz den Streit um den Lärm am Flughafen Zürich-Kloten rechtsverbindlich regeln. Er sieht unter anderem vor, dass an Wochentagen von 18.00 bis 6.30 Uhr keine Anflüge über deutsches Gebiet erfolgen. An Wochenenden sowie an Feiertagen gilt das Nachtflugverbot bis 9.00 Uhr morgens. Derzeit gilt ein Nachtflugverbot von 21.00 bis 7.00 Uhr an Wochentagen und von 20.00 bis 9.00 Uhr an Wochenenden.

Im Gegenzug zur Ausweitung der abendlichen Sperrzeiten wollte Deutschland darauf verzichten, die An- und Abflüge zahlenmässig zu beschränken und den Flugverkehr am Morgen eine halbe Stunde früher zulassen.

Ständerätliche Zustimmung erschwert Nachverhandlungen

Nachdem der Schweizer Ständerat dem im Jahr 2012 von Ramsauer und seiner Schweizer Kollegin Doris Leuthard ausgehandelten Abkommen ebenfalls am 7. März zugestimmt hatte, sind Landesvertreter aus Baden-Württemberg jedoch skeptisch, ob es überhaupt noch zu einer Einigung mit der Schweiz kommt.

“Ich halte es für sehr, sehr schwierig, dass es noch einen Vertrag gibt”, sagte etwa der baden-württembergische Europaminister Peter Friedrich (SPD) gegenüber der dpa. Nachdem der Schweizer Ständerat für das Fluglärm-Abkommen grünes Licht gegeben habe, sei es fraglich, ob Zusätze noch ratifiziert werden könnten, die völkerrechtlichen Bestand hätten.

Zwar könnten Begleitdokumente beschlossen werden, die zum Völkerrecht erklärt werden müssten. “Das Problem ist aber, dass man nichts mehr beschliessen kann, was dem, was im Vertrag steht, zuwider läuft”, so Friedrich. Mögliche Änderungen könnten nur bestehende Lücken füllen. “Ob das reicht, um unsere Interessen noch in einer Vertragslösung unterzubringen, das wage ich zu bezweifeln.”

Auf deutscher Seite war der Ratifizierungsprozess des Abkommens gestoppt worden, nachdem es in Südbaden zu breiter Kritik an den von Ramsauer ausgehandelten Regelungen gekommen war. Offene Fragen sollen nun erst mit der Schweiz erörtert und geklärt werden. Bis dahin wird der Ratifizierungsprozess auf deutscher Seite nicht eingeleitet.

Forderungen der Region

Auch Verkehrsstaatssekretärin Gisela Splett befürchtet indes schwierige Gespräche. “Dass die Schweiz den Ratifizierungsprozess zum vorliegenden Staatsvertrag trotz der offenen Fragen derzeit fortsetzt, wird die Gespräche nicht einfacher machen”, sagte sie gegenüber swissinfo.ch. Sie gehe aber davon aus, dass auch die Schweiz nach wie vor daran interessiert sei, den Jahrzehnte währenden Fluglärmstreit vertraglich und damit einvernehmlich zu lösen. Sie wolle die Hoffnung auf eine einvernehmliche Lösung daher nicht aufgeben.

In künftigen Verhandlungen über einen neuen Staatsvertrag müssten die Festlegungen der Stuttgarter Erklärung leitend sein, so Splett weiter. So müsse zum Beispiel gesichert werden, dass eine bestimmte Anzahl von Anflügen über deutsches Gebiet nicht überschritten werde, dass diese Anflüge ab 18 Uhr nicht unterhalb einer Mindestflughöhe von 3600 Meter NN stattfänden und beim so genannten gekurvten Nordanflug ein eindeutig definierter Mindestabstand zur deutschen Grenze eingehalten werde.

“Insgesamt sollten wir schon genau wissen, wie sich der An- und Abflugverkehr auf und von Zürich über Südbaden auswirken wird. Derzeit ist da vieles unklar”, so Splett.

In der Stuttgarter Erklärung haben Politiker aus Südbaden im Jahr 2009 an ihrer Position im Fluglärmstreit festgehalten. Sie gilt für das Bundesverkehrsministerium als Grundlage für die Verhandlungen zwischen Deutschland und der Schweiz.

Kritikern des Abkommens gehen diese Regelungen nicht weit genug. Sie berufen sich bei ihren Forderungen auf die Stuttgarter Erklärung. Diese sieht unter anderem eine zahlenmässige Beschränkung der Anflüge auf 80’000 pro Jahr vor.

Die derzeitig geltenden Sperrzeiten sollen uneingeschränkt beibehalten werden, Abflüge gar nicht über deutsches Gebiet erfolgen. Auch Umweg- und Warteflüge im deutschen Luftraum sollen nicht möglich sein.

Trotz allem auf gute Partnerschaft setzen

Wann das nächste Treffen der Verhandlungsführer beider Länder stattfinden wird, ist noch offen. Auf Anfrage von swissinfo.ch verwies ein Sprecher des Verkehrsministeriums auf ein Schreiben Ramsauers an Doris Leuthard vom Dezember 2012, in dem dieser um ergänzende Gespräche bittet. Zudem müsse mit Vertretern des Landes Baden-Württemberg sowie der betroffenen Regionen zunächst eine Auflistung der zu klärenden Punkte erfolgen. “Die enge Einbindung des Landes und der Region ist und bleibt erklärtes Ziel seitens des Ministeriums”, so der Sprecher.

Stattgefunden hat unterdessen am 8. März in Zürich ein Treffen des Zürcher Volkswirtschaftsdirektor Ernst Stocker (SVP) mit dem baden-württembergischen Verkehrsministers Winfried Herrmann (Grüne). Ziel dieser Verkehrstagung, die von nun an alle zwei Jahre stattfinden soll, ist es, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu Verkehrsthemen zu verbessern.

Über den Flughafen Zürich sei explizit nicht gesprochen worden, hiess es in einer Pressemitteilung. Die Tagung solle aber ein Zeichen zu einem offenen Dialog auch in so schwierigen und inhaltlich unterschiedlich beurteilten Themen wie demjenigen des Flughafens Zürich setzen. Stocker und Herrmann bekräftigen denn auch: “Gute Partnerschaft heisst nicht zwingend, immer derselben Meinung sein zu müssen. Entscheidend ist vielmehr, strittige Positionen und die dahinter stehenden Gründe gegenseitig transparent zu machen.”

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