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Schweiz verspricht Transparenz bei AKW-Stresstest

Bundesrätin Doris Leuthard zusammen mit ihrem deutschen Amtskollegen Norbert Röttgen. Keystone

Umweltministerin Doris Leuthard hat mit ihrem Amtskollegen Norbert Röttgen in Berlin Fragen zur Energiepolitik erörtert. Dabei sagte die Bundesrätin, die Schweiz werde sich beim Sicherheitscheck für AKW dem EU-Standard gegebenenfalls anpassen.

Es war ein harmonisches Duo, das sich am Dienstagabend in der Schweizer Botschaft in Berlin präsentierte. Sowohl Bundesrätin Doris Leuthard (CVP) als auch Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) gaben vor den Medien an, dass ihr Arbeitstreffen zu Fragen der zukünftigen Energiepolitik in den beiden Ländern entspannt verlaufen sei.

So seien sich die Schweiz und Deutschland weitestgehend einig über das Vorgehen zur Sicherheitsüberprüfung von Atomkraftwerken.

“Beide Länder verfügen bereits heute über umfassende Kriterien zur Sicherheit der Kernkraftwerke”, betonte Leuthard. Sorge bereiteten ihr eher Länder, deren Sicherheitsvorschriften erhöht werden müssten, um Reaktoren etwa gegen einen Flugzeugabsturz zu sichern. Die Schweizer AKW seien gegen einen solchen Vorfall geschützt.

In vielen Ländern noch ungelöst sei zudem das Sicherheitsproblem, wenn Brennstäbe ausserhalb der Schutzhülle eines Reaktors gelagert würden.

Sicherheitsprüfung läuft

Die Umweltministerin wies Vorwürfe zurück, dass sich die Schweiz dem EU-Stresstest für Kernkraftwerke verweigere.

“Die Bevölkerung will möglichst schnell wissen, ob unsere AKW sicher sind. Deshalb wollen wir nicht abwarten, bis die EU einen Kriterienkatalog ausgearbeitet hat, sondern überprüfen schon jetzt, wie übrigens Deutschland auch”, sagte Leuthard.

Sie gehe davon aus, dass der heutige Check zur Sicherheit der AKW den künftigen europäischen Kriterien weitestgehend entspreche.

“Die Sicherheitsexperten arbeiten eng mit den europäischen Kollegen zusammen. Sollte die EU andere Standards verlangen, schliesse ich nicht aus, dass wir unsere Kriterien nachträglich anpassen”, so Leuthard.

Die Bundesrätin versprach ein transparentes Vorgehen bei der Überprüfung der fünf Schweizer Meiler.

“Beznau ist sicher”

Die Aufklärungsarbeit sei nicht zuletzt wichtig, um das Vertrauen in die Atomkraft nach dem Unglück in Fukushima wiederherzustellen, so Leuthard weiter.

“Es gibt legitime Ängste in der Bevölkerung, die wir ernst nehmen müssen.” Sicherheitsbedenken gegen das Kernkraftwerk Beznau wies die Bundesrätin zurück. “Beznau erfüllt heute sämtliche Sicherheitsvorgaben der Aufsichtsbehörde”, betonte Leuthard.

Baden-Württembergische Politiker hatten die Schweiz jüngst aufgefordert, das über 40 Jahre alte AKW unweit der deutschen Grenze vom Netz zu nehmen. SPD und Grüne haben dazu sogar mit Bundeskanzlerin Angela Merkel Gespräche geführt.

Die beiden Parteien stellen ab Mai die Regierung in Baden-Württemberg. Mit einer grün-roten Regierung wird der Druck auf die Schweiz voraussichtlich steigen, die beiden Reaktorblöcke von Beznau abzuschalten.

Koordinierte Sicherheitspolitik

Umweltminister Röttgen betonte die Wichtigkeit einer koordinierten Sicherheitspolitik, was die Sicherheit von Kernkraftwerken in Europa betreffe.

Dass Reaktorunglück in Fukushima habe dabei gezeigt, dass die Definition von Risiko neu diskutiert werden müsse. Sicherheit sei nicht rein mathematisch zu bestimmen, sondern müsse das Ergebnis eines gesellschaftlichen Konsenses sein, so Röttgen.

“Die Frage ist doch, wie viel Restrisiko sind wir bereit, auf uns zu nehmen.” Die Energiepolitik sei innenpolitisch in Deutschland derzeit das bestimmende Thema. “Und das wird für lange Zeit so bleiben”, meinte der Umweltminister.

Gemeinsam Engpässe überwinden

Mit seiner Schweizer Amtskollegin habe er unter anderem über die künftige Energiegewinnung in den beiden Ländern gesprochen. So sei es zum Beispiel denkbar, die Ausbeute aus den erneuerbaren Energien Wasser- und Windkraft verstärkt zu bündeln.

Dieser Energieaustausch zwischen der Schweiz und Deutschland könne Engpässe in regenarmen Zeiten oder Speicherprobleme bei der Windkraft verhindern, so Röttgen.

Eine derartige Zusammenarbeit plant Deutschland auch mit Norwegen; für den Energieaustausch soll bis 2017 ein 530 Kilometer langes Seekabel durch die Nordsee verlegt werden.

Fukushima-Effekt

Auch in der Schweiz habe Fukushima die Energiepolitik in der Prioritätenliste der Regierung “weit nach oben gehievt”, meinte Leuthard. Derzeit würden drei Zukunfts-Szenarien über einen möglichen Energiemix ausgearbeitet, die dann im Juni im Parlament diskutiert würden.

Je nach Szenario setze die Schweiz dabei weiterhin auf Atomstrom – oder aber die fünf bestehenden Meiler würden fortzeitig vom Netz genommen

Im Streit über die Zukunft der Atomenergie haben sich die Fronten zwischen der deutschen Bundesregierung und Stromkonzernen verhärtet.

So stellten die AKW-Betreiber zuvor zugesicherte Zahlungen in den Fonds für regenerative Energien ein.

Dadurch sieht der Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) keine Grundlage mehr für die 2010 beschlossene Laufzeit-Verlängerung der AKW.

Die einseitige Entscheidung der Kernkraftwerkbetreiber, die Zahlungen einzustellen, setze voraus, dass es zu einer kompletten Rücknahme der Laufzeit-Verlängerung komme, sagte Röttgen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Die Zahlungen seien schliesslich Vorauszahlungen auf die Zusatzgewinne durch die Laufzeit-Verlängerung, so der CDU-Politiker.

Die Konzerne sollten im Gegenzug zur längeren Laufzeit der hochprofitablen Meiler dieses und kommendes Jahr jeweils 300 Millionen Euro in den Fonds einzahlen.

Nach der Atomkatastrophe in Fukushima hatte die Bundesregierung in einem Moratorium die Laufzeitverlängerung für drei Monate ausgesetzt. In dieser Zeit soll die Sicherheit der deutschen AKW neu bewertet werden.

Röttgen befürwortet das Plädoyer des Bundesverbandes der Deutschen Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), bis 2020 alle Meiler abzuschalten.

Weiter kündigte der Umweltminister eine Parteikonferenz von CDU/CSU für den 2. Mai in Berlin an, bei der über kürzere AKW-Laufzeiten gesprochen werden solle.

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