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Schweizer an der Spitze des ESA-Raketenprogramms

Die Ariane-Rakete ist die Arbeits-Plattform der ESA. Keystone

Der neue Chef des Trägerraketen-Programms der Europäischen Raumfahrt-Agentur (ESA), der Schweizer Marc Bertschi, will die Führungsspitze der Organisation konsolidieren.

Bertschi hat seine Stelle Anfang Jahr angetreten. Die ESA müsse auf dem Erfolg ihres Ariane-Trägersystems aufbauen und die Stärken der neuen Technologien aufzeigen, die zurzeit entwickelt werden.

Bertschi kann auf langjährige Erfahrungen in der Weltraum-Industrie zurückblicken. Er hatte schon früher für die ESA gearbeitet. Zuletzt war Bertschi Chef des Bereichs Raumfahrt im Staatssekretariat für Bildung und Forschung (SBF).

In seinem neuen Amt als ESA-Vizedirektor ist Bertschi verantwortlich für das Trägerraketen-Programm Ariane und auch für die Arbeiten an der kleineren Rakete Vega. Diese soll für leichtere Transporte zum Einsatz kommen. Die ESA steht in einem harten Konkurrenzkampf mit Amerika, Asien und Russland.

swissinfo: Ist der Wechsel von der Politik und der Verwaltung hin zu einer mehr praktisch ausgerichteten Rolle bei der ESA sehr gross?

Marc Bertschi: Der Rahmen meiner neuen Tätigkeit ist völlig anders. In der Schweiz war ich zuletzt verantwortlich für Vorschläge zur Weiterentwicklung der Raumfahrt-Politik und deren Umsetzung.

Bei der ESA bin ich zuständig für ganz spezifische Projekte; ich muss dafür sorgen, dass unsere Trägersysteme weiterentwickelt werden. Zuvor musste ich mich eher mit Fragen wie Sicherheit oder mit den Beziehungen zur Europäischen Union befassen, während dies hier eher ein technologischer Posten ist.

swissinfo: Wie gut fügt sich die Schweizer Raumfahrt-Politik in die europäischen Zielsetzungen ein?

M.B.: Die europäischen Zielsetzungen werden im Rahmen der ESA in Zusammenarbeit mit der EU ausgearbeitet. Das bedeutet, dass die Schweiz sich hier in einer besonderen Situation befindet, da sie zwar zur ESA gehört, nicht aber zur EU.

Damit die Schweiz an Initiativen unter EU-Kontrolle teilnehmen kann, wie zum Beispiel am Globalen Positionierungs-System Galileo, muss sie zwei Schwierigkeiten überwinden: Sie muss einerseits mit der EU verhandeln, und andererseits spezifische gesetzliche und finanzielle Instrumente entwickeln.

Das ist ein Grund, wieso die Schweizer Raumfahrt-Politik derzeit revidiert wird, ein Prozess, der hoffentlich bis Ende Jahr abgeschlossen sein wird.

swissinfo: Schweizer Unternehmen sind seit langem an den Trägerraketen-Programmen der ESA beteiligt. Denken Sie, dass das auch in Zukunft so sein wird?

M.B.: Die Schweizer Beteiligung ist ein Erbe des Ariane-5-Programms, das 1987 begonnen hatte. Jetzt bauen wir auf diesem Erbe auf. Bei neuen Entwicklungen wie der Vega-Trägerrakete begannen die Arbeiten vor fünf Jahren; der industrielle Rahmen ist gesteckt. Ich erwarte nicht, dass sich daran in den nächsten Jahren viel ändern wird.

Für die nächste Generation Trägerraketen werden wir wahrscheinlich auf neue Systeme setzen; ein Entscheid dürfte aber nicht vor Ende 2008 fallen. Über eine Beteiligung der Schweizer Industrie wird dann aufgrund der Schweizer Zuwendungen an die ESA und aufgrund der Wettbewerbsfähigkeit entschieden.

swissinfo: Vor welchen konkreten Herausforderungen stehen Sie?

M.B.: Kurzfristig müssen wir über die definitive Konfiguration des Ariane-Trägersystems entscheiden. Und um die Kapazitäten der Vega zeigen zu können, brauchen wir einige erfolgreiche Starts.

Langfristig stehen wir vor der Herausforderung, dass sich der europäische Raketensektor so anpassen muss, dass Europa auch in Zukunft unabhängigen Zugang ins Weltall hat.

Der Sektor muss auch die institutionellen Bedürfnisse abdecken, vor allem aus strategischen Gründen. Der unabhängige Zugang zum Weltall könnte einst unsere Sicherheit garantieren. Es geht auch darum, sicherzustellen, dass die europäische Industrie für Systeme wie Galileo zum Start nicht auf fremde Hilfe angewiesen sein wird.

swissinfo: In der Raketen-Industrie herrscht unter den Anbietern von Trägersystemen grosse Konkurrenz, wie schwierig wird es für die ESA sein, ihren Spitzenplatz zu halten?

M.B.: Die Konkurrenz aus Ländern mit geringeren Kosten startete in den frühen 1990er-Jahren mit Russland. Der Ariane wurde schon der rasche Niedergang vorausgesagt, aber Europa ist noch immer da. Es ist aber klar, dass die europäische Industrie ihre Produktionskosten senken muss.

Ein Weg, die Kosten zu senken, ist es, für die Trägersysteme auf eine bestimmte Konfiguration zu setzen, so dass man grundsätzlich immer mit demselben Produkt arbeiten kann.

Zudem kann die ESA für Qualität und Zuverlässigkeit ihrer Dienste bürgen. Mit Hilfe dieser Faktoren sollten wir im Telekommunikations-Satellitenmarkt zumindest bis 2015 gegen die Konkurrenz bestehen können.

swissinfo-interview: Scott Capper
(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

Die erste europäische Ministerkonferenz zu Weltraumfragen hatte 1960 in der Schweiz stattgefunden.

Die Europäische Weltraum-Agentur ESA wurde 1975 gegründet.

Die ESA hat 17 Mitgliedstaaten: Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Grossbritannien, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Portugal, Spanien, Schweden und die Schweiz.

Die ESA hat rund 1900 Angestellte.

Der 1960 geborene Bertschi studierte an der Universität Lausanne Mathematik.

Einen grossen Teil seiner beruflichen Laufbahn verbrachte Bertschi als wissenschaftlicher Experte für die Schweizer Regierung, so für das Staatssekretariat für Bildung und Forschung aber auch für das Aussenministerium.

Mit Weltraumfragen befasst Bertschi sich seit den frühen 1990er-Jahren; er war am Aufbau der eidgenössischen Raumfahrts-Kommission beteiligt. Etwa zur selben Zeit begann er auch mit der Mitarbeit an ESA-Projekten.

1998 wechselte er in das damals neu geschaffene Schweizer Weltraum-Büro, bevor er zum permanenten Weltraum-Delegierten der Schweiz bei der ESA in Paris wurde.

Zwischen 2001 und 2005 arbeitete er direkt für die ESA und war für die Strategieausrichtung der Trägersysteme zuständig, bevor er unter dem ESA-Generaldirektor das Büro für politische Fragen leitete.

Im März 2005 kehrte er in die Schweiz zurück, an die Spitze des Bereichs Raumfahrt im Staatssekretariat für Bildung und Forschung.

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