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Im Zentrum steht die Wirksamkeit

Keystone

Was soll Entwicklungshilfe? Ändert sich das Ziel von der Reduktion der Armut hin zur Eindämmung der Migration? Effizienz und Bedeutung des Schweizer Engagements werden einmal mehr intensiv diskutiert.

Die Zuwanderung aus armen Staaten lasse sich mit Entwicklungs-Zusammenarbeit nicht bremsen. Im Gegenteil: Sei sie erfolgreich, wachse die Emigration mit zunehmendem Wohlstand.

Zu diesem Schluss kommt die jüngst veröffentlichte Studie “Verhindert wirtschaftliche Entwicklung Migration?” vom Forum Aussenpolitik (Foraus).

Damit hat die Studie eine Debatte ausgelöst, die über die Frage “Migrationseindämmung oder Armutsreduktion?” hinaus geht. Die Wirksamkeit der Entwicklungs-Zusammenarbeit wird intensiv diskutiert, nicht nur in der Schweiz, sondern auch international. Das Ausweisen von Erfolgen ist heute enorm wichtig, aber nicht unproblematisch.

Das zeigte sich auch an der Jahreskonferenz der Schweizer Entwicklungs-Zusammenarbeit der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) und des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco), die kürzlich in Bern stattgefunden hat.

Rhetorik der Migrationseindämmung

“Wir haben uns in erster Linie auf empirische Fakten gestützt, die aufzeigen, dass mit steigendem Prokopf-Einkommen die Auswanderung aus armen Ländern zunimmt”, sagt Pablo Padrutt gegenüber swissinfo.ch.

Der Entwicklungsexperte und Ex-Foraus-Vizepräsident betont, dass die allerärmsten Länder kaum Auswanderung hätten. “Die Leute können es sich gar nicht leisten, für Schlepper Tausende Dollar auszugeben.”

“Wir haben beobachtet, dass das Parlament von der Schweizer Entwicklungs-Zusammenarbeit immer mehr die Eindämmung der Migration fordert. Die Fakten sprechen indessen dagegen, dass dies funktioniert”, so Padrutt.

Die Studie stellt die Entwicklungshilfe als solche zwar nicht in Frage, kritisiert jedoch die Rhetorik von Politik und Behörden, welche die Hilfsgelder als Mittel zur Eindämmung der Migration bezeichneten. “Wir befürchten, dass sich die Entwicklungs-Zusammenarbeit zu stark auf Länder wie Tunesien konzentriert, sobald von dort eine grosse Anzahl Wirtschaftsflüchtlinge kommt.”

Geld in die falschen Länder

Tunesien zum Beispiel gehöre nach internationalen Massstäben keineswegs zu den ärmsten Ländern.

“So kommen die Gelder nicht jenen Ländern und Personen zugute, die es eigentlich am nötigsten hätten, sondern den Ländern, die für unsere Migrationspolitik gerade am wichtigsten sind”, sagt Padrutt.

Nur 830 der total 22’551 Asylsuchenden in der Schweiz stammten 2011 aus den zehn ärmsten Ländern der Welt. Mit dem Fokus auf die Migrationsabwehr riskiere die Entwicklungshilfe, ihr eigentliches Ziel, die Armutsreduktion, aus den Augen zu verlieren, so die Studie.

Nach wie vor Armutsreduktion

“Die Studie hat Denkanstösse vermittelt, das ist gut. Aber die Schlussfolgerung, dass Entwicklungs-Zusammenarbeit zu mehr Migration führe, teile ich nicht”, sagt Martin Dahinden gegenüber swissinfo.ch. Laut dem Deza-Direktor gibt es keine internationalen Studien, die das belegen.

“Ziel der schweizerischen Entwicklungshilfe ist die Armutsreduktion. Bessere Lebensverhältnisse in den Ländern des Südens wirken eindämmend auf die Migration.” Die Deza leiste vieles in diesem Bereich, “vor allem Hilfe vor Ort, wie zum Beispiel rund um Syrien, wo wir uns mit Flüchtlingen, mit Vertriebenen befassen, um ihnen vor Ort eine Lebensperspektive zu geben”.

Globale Herausforderungen

“Allerdings haben wir es heute auch mit anderen Aufgaben zu tun, mit globalen Herausforderungen.” Deshalb spiele Entwicklungs-Zusammenarbeit ebenfalls eine Rolle bei der Ernährungssicherung, beim Klimawandel, bei der Wasser- und Ressourcenthematik, erklärt der Deza-Direktor. “Dies letztlich mit dem Ziel, die Entwicklungschancen armer Länder und Bevölkerungsschichten zu verbessern.”

Auch die Rückkehrhilfe gehöre zu den globalen Herausforderungen. “Wir haben Programme und Erfahrungen seit den 1990er-Jahren im Balkan. Wir verfolgen Migrationspartnerschaften, wo wir uns mit den betroffenen Ländern zusammensetzen und Lösungen suchen.”

Zu viele Ziele

Für den Entwicklungsexperten Pablo Padrutt verliert die Entwicklungshilfe wegen der zu vielen Ziele die Wirksamkeit.

“Es ist nicht ihre Hauptaufgabe, wie das in letzter Zeit stark betont wurde, die Klimaproblematik oder die Geschlechterungleichheit anzugehen. Die Armut sollte im Zentrum stehen. Wir haben uns bei Foraus gefragt, wie die Schweiz in der Zukunft mit der bilateralen Entwicklungs-Zusammenarbeit noch mehr Wirkung erzielen kann.”

Eine wichtige Frage sei die Rechenschaftslegung der Schweizer Institutionen gegenüber den Hilfsempfängern. “Es geht uns nicht nur darum, dass die Steuerzahler in der Schweiz erfahren, was mit den Entwicklungshilfegeldern passiert. Noch wichtiger finden wir, dass die Leute vor Ort Einfluss darauf haben, was sie konkret bekommen. Niemand lehnt natürlich ein Geschenk ab, aber es muss von dort mehr Feedback erfolgen”, so Padrutt.

Foraus frage sich ferner, was eigentlich eine kohärente Entwicklungspolitik sei. “Ist es kohärent, dass wir in der Landwirtschaft mit 4 Milliarden Subventionen an die Bauern und hohen Landwirtschaftszöllen unseren Markt völlig abschotten? Gleichzeitig erwarten wir, dass die afrikanischen Länder ihre Produkte in die Welt exportieren – nur bitte nicht zu uns!”

Resultate anders definieren

In der Wirksamkeitsbeurteilung der Entwicklungshilfe würden heute die Resultate anders definiert, sagt Deza-Direktor Martin Dahinden. “Früher hat man sich zufrieden gegeben, wenn man wusste, wie viele Brunnenlöcher gebohrt, wie viele Schulhäuser gebaut wurden, wie viele Leute einen Kurs besuchten.”

Das reiche heute nicht mehr: “Das Besuchen eines Ausbildungskurses ist nicht das Ziel, sondern dass die Leute dabei etwas lernen und damit ein Einkommen erzielen, mit dem sie ihre Familien ernähren können. Das wird heute beurteilt.”

Kritiker monieren, das heute dominierende Augenmerk auf die Wirksamkeit der Entwicklungshilfe sei problematisch, weil man sich nur noch auf Projekte konzentriere, deren Auswirkungen sich relativ einfach evaluieren liessen, wie zum Beispiel Wasser- oder Bildungsprojekte. Dabei würden andere, für die Entwicklung eines Landes ebenso wichtige Projekte, ausser Acht gelassen.

Man dürfe wegen der Messbarkeit der Ergebnisse eines Projektes nicht den Inhalt der Tätigkeit ändern, sagt der Deza-Chef. “Wasserprojekte sind tatsächlich einfacher messbar. Wir können sagen, 35’000 Menschen haben pro Jahr neu Zugang zu Trinkwasser. Und wir können sagen, dass in einem ruhigen, armen Land Fortschritte einfacher zu erzielen sind als in einem Konfliktgebiet. Aber wir dürfen uns deshalb nicht aus schwierigen Ländern zurückziehen.”

Migration ist eine Folge von Armut, wirtschaftlicher Not, bewaffneter Konflikte und negativen Umwelteinflüssen. Sie bietet gleichzeitig eine Chance, der Armut zu entrinnen.

Mit der Globalisierung haben sich Migrationsbewegungen intensiviert und sind komplexer geworden.

Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) beabsichtigt, die positiven Aspekte der Migration zu nutzen und die negativen Konsequenzen einzudämmen.

Wenn Migration reguliert und gezielt in Entwicklungsstrategien einbezogen werde, könne sie Antrieb für die Entwicklung sein.

Dabei soll darauf geachtet werden, dass Migration unter Wahrnehmung der Rechte und Interessen der betroffenen Menschen und Staaten erfolgt, dass Transferzahlungen und Wissen von Migranten besser für die Entwicklung in den Ursprungsländern nutzbar gemacht und das Potenzial der Diaspora besser ausgeschöpft wird.

Nie zuvor lebten so viele Menschen ausserhalb ihrer Herkunftsländer. Im Jahr 2010 sind es laut der UNO über 200 Millionen – 3% der Weltbevölkerung.

Die Gruppe der Menschen, die heute migrieren, umfasst qualifizierte und unqualifizierte Arbeitskräfte, Studierende und Familien.

Unterschiedlich ist auch der rechtliche Status von Migrantinnen. Darunter sind Flüchtlinge und intern Vertriebene, reguläre und irreguläre Migrantinnen.

(Quelle: Deza)

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