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“Wenn Kleinkinder verhungern, zeigt sich die Dimension der Not”

Der Schweizer Fotojournalist Pascal Mora kommt soeben aus Somaliland zurück, wo er für die Zeitung Blick über die Krisenregion berichtet hat.

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swissinfo.ch: Sie sind zurück in der Schweiz. Was ging Ihnen auf dem Heimflug durch den Kopf?

Pascal Mora: Es war schon beim Fotografieren in meinem Hinterkopf: Ich wusste, wir steigen nachher ins Auto, dann in den Flieger nach Addis Abbeba, umsteigen in Frankfurt, schliesslich bin ich zurück bei den First World Problems und der Hunger ist wieder ganz weit weg.

Hunger ist für uns etwas Abstraktes. Wenn wir Hunger haben, dann essen wir. Wenn wir Durst haben, öffnen wir den Wasserhahn. Dort aber gibt es einen leeren gelben Kanister, und die Menschen müssen schauen, wie sie ihn füllen können. Oder es gibt nichts, weil der Tanklastwagen nicht gekommen ist.

Die Wasserlieferungen von “Save the Children”, mit denen wir unterwegs waren, kamen täglich mit einem Wasserlaster in ein Dorf. Diese Lieferungen waren nur für die nächsten beiden Wochen finanziert. Dies wenigstens dürfte sich dank den Millionen Spendengeldern aus der Schweiz nun ändern.

swissinfo.ch: Gibt es etwas, das Sie besonders beeindruckt hat?

P.M.: Ganz klar die Kinder, etwa jene im Spital, die knapp am Tod vorbeigeschrammt sind, zweijährige hilflose Wesen, die künstlich ernährt werden müssen. Wir waren in einer mobilen Klinik, die seit zwei Wochen Untersuchungen, Erstversorgung, Nothilfe macht. Dort trafen wir auf eine Mutter, Halimo (siehe Bild 4 der Galerie). Sie war sehr verzweifelt, weil ihr geschwächtes Kind nicht einmal mehr essen konnte. Sie weinte, wusste nicht wie weiter.

“Ein Problem ist die Geografie. Die Dörfer sind weit übers Land verstreut.” 

swissinfo.ch: Was sind die grössten Herausforderungen vor Ort?

P.M.: Somaliland ist eine autonome Republik, international zwar nicht anerkannt, aber immerhin sicherer als Somalia. Es gibt auch eine Regierung, die uns eine Eskorte stellte. Das Problem ist aber die Geografie. Die Dörfer sind weit übers Land verstreut. Man fährt stundenlang bis zum nächsten Dorf. Zu Fuss sind es oft Tagesmärsche. Da kann man nicht einfach kurz in die nächste Klinik oder zum Arzt gehen.

swissinfo.ch: Was wissen Sie über den Ursprung der Krise?

P.M.: Ich bin kein Experte. Aber eines scheint mir klar: Während es in Südsudan unter anderem der Krieg ist, der zum Hunger geführt hat, ist es in Somaliland der Klimawandel. Es hat drei Jahre lang nicht richtig geregnet, nämlich nur einen Drittel der benötigten Regenmenge.

So wie sich der Landstrich im Augenblick darstellt, kann er nicht mehr wie bis anhin bewirtschaftet werden. Das Geld der Menschen steckt im Viehbestand. Doch wo man durchfährt, sieht man tote Tiere, der Gestank ist bestialisch, unzählige tote Ziegen. Die Bevölkerung sagt: “Wenn die Ziegen sterben, dann ist das schlimm. Aber wenn die Kamele sterben, dann ist es eine Katastrophe.” Wir haben einige tote Kamele gesehen.

“Man darf Krisen nicht miteinander vergleichen. Aber die schiere Dimension dieser Katastrophe ist gewaltig.”

swissinfo.ch: Sie haben als Fotojournalist Flüchtlingslager in Libanon und Jordanien besucht und aus Krisengebieten wie Syrien und Libyen berichtet. Was war diesmal anders?

P.M.: Man darf Krisen nicht miteinander vergleichen. Aber die schiere Dimension dieser Katastrophe ist gewaltig – und sie blieb auch für uns nicht immer erfahrbar. Wir fuhren zwar unzählige Stunden durch die Region, sahen aber nur einen kleinen Teil davon.

Die UNO spricht von der grössten humanitären Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg. Für mich zeigt sich dies, wenn ich ein Kind von 18 Monaten sehe, das kurz vor dem Hungertod steht. Das macht erstmal betroffen – und dann macht es nachdenklich.

swissinfo.ch: Inwiefern?

P.M.: Wie gesagt, ich bin nicht Experte, aber ich glaube, da wird noch viel mehr auf die Menschheit zukommen. Die Auswirkungen des Klimawandels werden uns noch sehr beschäftigen. Man muss diese Regionen vielleicht ganz neu denken, Dörfer aufgeben, Städte bauen, ich weiss es nicht. Vorerst hilft ohnehin nur, weiterhin zu spenden.

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