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Schweizer lieben ihre Waffen immer weniger

Wer seine Waffe nicht deklariert, muss mit keinen Sanktionen rechnen. Keystone

Die Schweizer Waffenhändler werden derzeit mit Rückkauf-Angeboten von Privatpersonen überschwemmt. Die Gründe: Ein neues Gesetz, das Waffenbesitzer bis am 11. Dezember zur Deklaration verpflichtet, aber auch eine Mentalitätsänderung.

“Diese Pistole hat mein Vater einem SS-Mann abgenommen”, erzählt ein alter Mann und zeigt eine Polaroid-Foto.

Die Szene spielte sich Anfang Dezember an der 16. Internationalen Waffenbörse in Lausanne ab, einer von zwei Veranstaltungen dieser Art in der Schweiz.

Der rüstige Siebziger schreitet die Stände der Waffenhändler mit verschiedenen Fotos von Waffen ab, für die er einen Käufer sucht.

Warum will er seine Waffen verkaufen? “Weil ich doch bald sterben werde”, sagt er, wie wenn das offensichtlich wäre. Und seine Kinder, sind die nicht interessiert? “Aber nein, die wollen nichts damit zu tun haben!”

Wer im Dezember seine Pistolen, Karabiner, Bajonette und andere Stichwaffen loswerden wollte, vielleicht aus einer Erbschaft oder einer verstaubten Sammlung, riskierte, nicht allein mit diesem Anliegen zu sein.

“Walther-, Star- oder Mathurin-Pistolen, Karabiner und so weiter. Wir brechen ein unter den Rückkauf-Anfragen”, erklären die Waffenhändler in Zürich und Lausanne. Die Preise sind dadurch logischerweise nicht sehr hoch.

Raritäten werden rarer

Es gibt aber auch Ausnahmen. Die Waffenhändler ärgern sich über die Rückgabe-Aktionen ohne finanzielle Entschädigung für Waffen, die dieses Jahr überall in der Schweiz organisiert worden waren. Bis Mitte November wurden über 16’000 Waffen zurückgegeben, um anschliessend zerstört zu werden.

“So kommt es, dass Wertobjekte auf dem Schrottplatz landen”, bestätigt Hans Simonet, Waffenhändler aus Murten und Mitglied des Ausschusses im Schweizerischen Büchsenmacher- und Waffenhändlerverband (SBV). “Das tut weh.”

Kein Volk der Schützen mehr?

Ist die Schweiz im Rahmen der Rückschub-Aktionen und Verkäufe nicht mehr das Volk der Schützen, als das sie einmal galt? “Das ist vorbei”, sagt die Frau eines Händlers an ihrem Stand in Lausanne.

“Früher wurden die Waffen von Generation zu Generation weitergegeben. Heute will man sie loswerden, häufig aus ethischen Überlegungen oder um etwas Geld zu erhalten”, ergänzt sie.

“Immer, wenn man von einem Beziehungsdelikt mit Waffen liest, kommen Private zu uns und wollen ihre Waffen verkaufen”, erzählt ein Waffenhändler aus Zürich.

“Nein, die Schweiz bleibt ein Land der Schützen”, kontert Edouard Debétaz, Direktor der Waffenbörse. Er ist zufrieden, mit hundert Ausstellern eine stabile Zahl zu vermelden, trotz der Krise. “Aber es ist unvermeidlich, dass es viele Verkäufe gibt, denn schliesslich wurde die Armee von 400’000 auf 220’000 Personen verkleinert.”

Laut Hans Simonet ist auch das neue Waffengesetz ein Grund für die Verkäufe. Seit dem 12. Dezember 2008 in Kraft, liess es den Besitzern ein Jahr Zeit, um ihre Waffen zu registrieren. “Viele Leute sind nicht mehr sicher, was sie machen können oder machen müssen”, so Simonet.

“Verantwortungsvolle” Schützen rebellieren

Die Mehrzahl der Besucherinnen und Besucher an der Waffenbörse wettert gegen das neue Gesetz und besteht auf ihrer Ehrlichkeit und ihrem Verantwortungsbewusstsein. “Man hat die Vorschriften immer weiter verschärft”, erklärt ein Sportschütze aus Lausanne, der an seinem Sport besonders die Konzentration schätzt. “Aber für wen?”

Die Antwort gibt er gleich selber: “Es geht einzig darum, jene zu ärgern, die sich Mühe geben, verantwortungsvoll zu handeln und alle Sicherheitsvorschriften einzuhalten.”

Und ein anderer ergänzt: “Glauben Sie, dass Leute, die böse Absichten haben, hingehen und ihre Waffen eintragen lassen?”

Ein weiterer Besucher allerdings, Polizist von Beruf, begrüsst die erhöhte Disziplin. “Das Gesetz war lange Zeit zu lasch, doch einige Übergangsbestimmungen waren ein Fehler. Man hat die Leute daran gewöhnt, Verträge zwischen Privaten abschliessen zu können. Davon wieder loszukommen, ist schwierig.”

Fehlende Unterscheidung

Adjutant Claude Perret, Chef des Waffenbüros der waadtländischen Kantonspolizei, der selber einen Stand an der Waffenbörse betreibt, ist nicht überzeugt vom neuen Gesetz, “das nicht unterscheidet zwischen Feuerwaffen und anderen und darum bei den Händlern auf Verständnislosigkeit stösst”. Zudem seien für jene, die ihre Waffen nicht deklarierten, keine Sanktionen vorgesehen.

Er lächelt, wenn er hört, dass die Anhänger der Initiative “Schutz vor Waffengewalt” schätzen, im ganzen Land befänden sich über 2,3 Millionen Waffen. “Ich vermute, dass allein im Kanton Waadt eine Million Waffen aufbewahrt wird.”

“Es gibt auch Rambos, man darf nicht träumen”, erklärt er. “Aber wir halten die Ohren offen bei Familien, Ärzten und anderen Experten, und wir finden sie immer. Wie man bei uns sagt: Nur die Berge treffen sich nie.”

Ariane Gigon, Lausanne, swissinfo.ch
(Übertragen aus dem Französischen: Christian Raaflaub)

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Volksinitiative

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Volksinitiative erlaubt den Bürgerinnen und Bürgern, eine Änderung in der Bundesverfassung vorzuschlagen. Damit sie zu Stande kommt, müssen innerhalb von 18 Monaten 100’000 gültige Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht werden. Darauf kommt die Vorlage ins Parlament. Dieses kann eine Initiative direkt annehmen, sie ablehnen oder ihr einen Gegenvorschlag entgegenstellen. Zu einer Volksabstimmung kommt es…

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Verschiedene tragische Vorfälle (Ermordung des Skistars Corinne Rey-Bellet 2006 und einer jungen Frau durch einen “Scharfschützen” in Zürich 2007) haben die Öffentlichkeit auf das Thema der Aufbewahrung von Armeewaffen daheim aufmerksam gemacht.

Politisch linke Kreise haben daraufhin erfolgreich die Volksinitiative “Schutz vor Waffengewalt” lanciert, die verlangt, dass Armeeangehörige ihre Dienstwaffe ausserhalb des Militärdienstes im Zeughaus aufbewahren müssen.

Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) muss nun bis spätestens 23. Februar 2010 eine entsprechende Botschaft an die Eidgenössischen Räte ausarbeiten.

Laut den Initianten gehören von 2,3 Millionen Waffen in der Schweiz 1,448 Millionen ehemaligen Angehörigen der Milizarmee.

In über einem Drittel der Schweizer Haushalte befindet sich laut Initiativ-Komitee eine Waffe.

Die letzte Revision des Gesetzes, am 12. Dezember 2008 in Kraft getreten, teilt Waffen in drei Kategorien ein:

– Waffen, die deklariert werden müssen (Kaninchentöter, Jagdgewehre, Imitations-, Schreckschuss- und Soft-Air-Waffen usw.)

– Waffen, für die ein Waffenerwerbsschein benötigt wird (Pistolen, Karabiner, halbautomatische Gewehre usw.)

– Verbotene Waffen (Abschussgeräte, Granatwerfer, Schmetterlingsmesser usw.), die aber mit einer Sonderbewilligung zulässig sind.

Waffenbesitzer hatten ein Jahr Zeit, ihre Waffen bis am 11. Dezember 2009 zu registrieren.

Ende November hat der Bundesrat entschieden, dass Armeeangehörige ab 1. Januar 2010 ihre Dienstwaffe kostenlos im Zeughaus aufbewahren können.

Wer die Waffe nach Ende der Dienstzeit behalten möchte, braucht in Zukunft einen Waffenschein.

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