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Steuerprivilegien für ausländische Unternehmungen sind bald Geschichte

Laut Roberto Zanetti, Ständerat der Sozialdemokratischen Partei, ist die Steuerreform ein Eingriff am offenen Herzen, der mit grosser Sorgfalt durchgeführt werden müsse. Keystone

Auf Druck von EU, G20 und OECD ist die Schweiz gezwungen, die Steuerprivilegien für ausländische Holding- und Verwaltungsgesellschaften aufzugeben. Jahrelang wurde mit Brüssel verhandelt und in der Schweiz gestritten. Nun hat der Ständerat die Unternehmenssteuerreform III verabschiedet. Dabei wurde die Reform mit einem "Eingriff am offenen Herzen des Steuersystems" verglichen.

Vielleicht war es mehr als ein Zufall an diesem Montag im Ständerat: Innert weniger Stunden stimmte die Kantonskammer der Einführung des automatischen Informationsaustausches (AIA) in Steuersachen sowie der Unternehmenssteuerreform III (USR) zu. Im Kern bedeutet dies, das künftig sowohl auf das Bankgeheimnis für ausländischen Kunden sowie auf Steuerprivilegien für ausländische Firmen verzichtet wird.

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Mit diesem Schritt werden zwei “Spezialitäten” in der Schweizer Gesetzgebung aufgehoben, die über Jahrzehnte als Magnete für ausländisches Kapital und ausländische Unternehmungen dienten. Bis vor wenigen Jahren wurden diese Eigenheiten im Schweizer System eisern gegen Angriffe von anderen Staaten verteidigt.

Doch im Laufe der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise geriet dieses System zusehends unter Druck. Die G20-Staaten und die EU verstärkten ihre Anstrengungen im Kampf gegen Steuerflucht von natürlichen Personen und Steuervermeidungsstrategien multinationaler Unternehmungen.

BEPS

Beim Aktionsplan BEPS (Base Erosion and Profit Shifting – “Aushöhlen der steuerlichen Bemessungsgrundlage und Gewinnverlagerung”) handelt es sich wohl um die tiefgreifendsten Änderungen und Modernisierungen im internationalen Steuerrecht der letzten 100 Jahre.

Das von der OECD ausgearbeitete Projekt zielt darauf ab, allgemein verbindliche Standards festzulegen, um so die Schlupflöcher in nationalen Steuergesetzgebungen zu stopfen, die es multinationalen Unternehmungen momentan ermöglichen, Steuern zu reduzieren oder sogar gänzlich zu umgehen – eine Praxis, welche den Steuerertrag von Staaten aushöhlt.

Die OECD hat mehr als 400 Praktiken eruiert, die von multinationalen Unternehmungen angewandt werden, um Steuern zu umgehen. Zu diesen Praktiken gehört beispielsweise der Transfer von Gewinnen in Länder mit geringer Steuerbelastung, die Abwicklung von Direktinvestitionen über Steuerparadiese, oder ein missbräuchlicher Einsatz von Verrechnungspreisen innerhalb der eigenen Firmengruppe.

Die EU schätzt, dass auf Grund dieser Steuervermeidungspraktiken den Steuerbehörden in Europa jedes Jahr rund 1000 Milliarden Euro an Steuern entgehen. Die EU und die OECD kämpfen dabei nicht nur gegen Steuerprivilegien, wie sie von Schweizer Kantonen angewendet werden, sondern auch gegen das so genannten “tax-ruling”. Es handelt sich um spezielle Steuer-Deals zwischen Staaten und Unternehmen, die Sonderbesteuerungen vorsehen. Sie werden beispielsweise in Irland, Holland und Luxemburg anwendet.

Zu diesem Zweck hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) den Aktionsplan “Base Erosion and Profit Shifting” (BEPS) ausgearbeitet. Dieser wird von der Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) sowie der Europäischen Union (EU) unterstützt. Angestrebt wird im Rahmen dieses Aktionsplans, dass ab 2017 multinationale Unternehmungen ihre Steuern in dem Land bezahlen, in dem sie auch tatsächlich operativ tätig sind.

Die Eidgenossenschaft war bereits 2007 wegen Steuerprivilegien ins Visier der EU geraten, weil die Kantone grosszügige Steuerprivilegien an Unternehmen gewähren, die ihren Sitz in der Schweiz haben, aber de facto im Ausland tätig sind. Es handelt sich um Holding-, Domizil- und gemischte Gesellschaften, die nur administrativ in der Schweiz tätig sind. Manchmal sind es schlicht Briefkastenfirmen.

Die Schweiz wehrte sich seit Jahren gegen den Druck, dieses Regime bei der Unternehmenssteuer abzuschaffen. Doch letztes Jahr konnte sie dem Druck der EU und der G20-Staaten nicht länger standhalten. Denn es drohten Sanktionen und schwarze Listen. Die Unternehmenssteuerreform III, die nun im Parlament debattiert wird, verfolgt daher das Ziel, das Schweizer Gesetz den internationalen Normen anzupassen. 

Kein Wunschkind

Die Debatte im Ständerat spiegelte die Tatsache, dass die Gesetzesanpassung nur auf Druck von aussen und daher widerwillig erfolgt. “Eigentlich will niemand dieses Paket”, sagte Pirmin Bischof, Ständerat der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP). “Wir alle wissen, dass diese Vorlage kein Wunschkind ist“, doppelte Ständerätin Karin Keller-Sutter von der Freisinnig-Liberalen Partei (FDP.Die Liberalen) nach. Sie erinnerte daran, dass die kantonalen Ansätze bei der Unternehmensbesteuerung über viele Jahre die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Schweiz ausmachten und viel Geld in die Kantonskassen spülten.

Doch beide Parlamentarier betonten, dass es keine Alternativen zur Gesetzesanpassung gebe. Denn ohne die Revision müsste die Schweiz nicht nur mit Retorsionsmassnahmen rechnen, sondern würde auch an einem Pfeiler ihres eigenen Erfolgs für ausländische Unternehmungen sägen, namentlich die Rechts- und Planungssicherheit. Angesichts einer möglichen Phase rechtlicher Unsicherheit könnten Unternehmungen das Land verlassen und einen neuen Standort wählen.

So nahm der Ständerat die Unternehmenssteuer-Reform III mit 31 Ja- und 9 Nein-Stimmen an. Die Steuerprivilegien ausländischer Gesellschaften werden damit abgeschafft. In Zukunft werden ausländische Holdings und gemischte Gesellschaften nach den gleichen Gewinnsteueransätzen veranlagt, die für inländische Firmen gelten.

Diese Änderung hat grosse Auswirkungen. In der Schweiz gibt es fast 25‘000 Gesellschaften mit Sonderstatus, welche Steuereinnahmen in Höhe von 3 Milliarden Franken für den Bund und 2 Milliarden Franken für die Kantone generieren. Um eine Abwanderung dieser Firmen zu verhindern, schlägt die Regierung vor, die Steueransätze für alle in der Schweiz niedergelassenen Firmen generell zu senken.

 

Quadratur des Kreises

“Die Unternehmenssteuerreform III ist ein Eingriff am offenen Herzen des Steuersystems. Der Eingriff muss deshalb mit grösster Sorgfalt und mit Augenmass erfolgen”, mahnte Ständerat Roberto Zanetti von der Sozialdemokratischen Partei (SP).

“Beim Grossprojekt Unternehmenssteuer-Reformgesetz III geht es erstens darum, der internationalen Kritik Rechnung zu tragen und internationale Akzeptanz herzustellen. Zweitens geht es darum, eine international kompetitive Unternehmenssteuerbelastung zu bewahren und damit eine Flucht hochmobiler Steuerpflichtiger zu verhindern. Drittens soll bei alledem die Ergiebigkeit der Unternehmenssteuer für Bund, Kantone und Gemeinden gesichert werden können”, so Zanetti.

Um diese Quadratur des Kreises zu bewerkstelligen, fasst die Regierung zwei wichtige Massnahmen ins Auge. So können die Kantone statt der Steuerprivilegien eine so genannte “Patentbox” einführen. Erträge aus geistigem Eigentum können gemäss dieser Formel steuerlich begünstigt werden, aber die Ermässigung ist an Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in der Schweiz geknüpft. Die Patentboxen entsprechen den internationalen Standards gemäss dem Aktionsplan BEPX und werden in einigen Ländern schon angewandt, auch wenn eine klare Definition durch die OECD noch fehlt.

Darüber hinaus bietet die Regierung Kompensationszahlungen für diejenigen Kantone an, deren Steuerertrag auf Grund der Gewinnsteuersenkung für sämtliche Unternehmungen rückläufig sein sollte. Die Rückzahlungsquote der direkten Bundessteuer an die Kantone sollte gemäss der Regierung von 17 auf 20,5 Prozent angehoben werden. Der Ständerat beschloss am Montag sogar, den Satz auf 21,2 Prozent anzuheben. Durch diese Massnahme werden dem Bund Steuereinnahmen in Höhe von 1,3 Milliarden Franken entgehen.

SP droht mit Referendum

Für die Linke in der Schweiz gehen diese Schritte zu weit. Sie hält es für nicht tragbar, dass die politische Rechte für Unternehmungen Steuererleichterungen einführen will, aber gleichzeitig Sparprogramme anstrebt, die zu Lasten der Landwirtschaft, Forschung und Bildung gehen. SP-Ständerätin Anita Fetz meinte in der Debatte: “Heute suchen die international wertschöpfungsattraktiven Firmen – das sind die interessanten! – längst nicht mehr den steuerlich billigsten Standort. Viel wichtiger sind für diese wertschöpfungsattraktiven Unternehmen top ausgebildete Arbeitnehmende, ein sehr gutes Forschungsumfeld, eine gute Infrastruktur und starke Industrie- und Forschungs-Cluster.”

Die bürgerliche Mehrheit im Rat hat jedoch alle Vorschläge der Linken zurück gewiesen, welche eine Kompensation der Steuerausfälle für den Bund erreichen wollten, darunter eine Verdoppelung der Veranlagung von Dividenden von 50 auf 100 Prozent. Die Zurückweisung dieser Vorschläge hat Konsequenzen: Noch bevor die Vorlage zur Unternehmenssteuerreform III im Nationalrat als Zweitrat diskutiert wird, droht die Sozialdemokratische Partei bereits mit einem Referendum.

Gesellschaften mit besonderem Steuerstatus

In der Schweiz gibt es rund 25‘000 Unternehmungen, die von einem besonderen Steuerstatus profitieren. Es handelt sich in der Regel um Holding- und Verwaltungsgesellschaften, die keine produktive oder kommerzielle Tätigkeit auf Schweizer Boden vorweisen.

Bei diesen Gesellschaften mit besonderem Steuerstatus handelt es sich um rund 7 Prozent aller Gesellschaften mit Sitz in der Eidgenossenschaft, aber von ihnen stammt rund die Hälfte aller direkten Bundessteuern, die auf Unternehmensgewinne erhoben werden. Der Bund wendet einen Gewinnsteuersatz von 7,8 Prozent an.

Den Kantonen garantieren die Holding- und Verwaltungsgesellschaften sogar 21 Prozent der Gesamtheit der Gewinnsteuern. In den Kantonen werden die Unternehmungen mit sehr geringen Steueransätzen veranlagt. Manche Firmen zahlen sogar überhaupt keine Steuern.

Die Gesamtsteuerbelastung (Bund, Kantone, Gemeinden) beträgt für die Unternehmungen mit besonderen Steuerstatut zwischen 7,8 und 12 Prozent. Für die anderen, in der Schweiz aktiven Unternehmen liegt sie hingegen zwischen 12 und 24 Prozent. 

(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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