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Ostern in Corona-Zeiten: Predigt aus der Plastikbox

Junge Frau
Die Schweizer Pfarrerin Christine Rosin. Petra Krimphove

Als die Schweizerin Christine Rosin im Dezember eine Pfarrstelle in Brandenburg antrat, ahnte sie noch nicht, dass ihr erstes Osterfest in der Gemeinde ganz im Zeichen einer Krise stehen würde.

Es ist ein wunderbar milder Frühlingstag in der Karwoche, rund 80 Kilometer nordöstlich von Berlin in einem Dorf inmitten der weiten, hügeligen Landschaft. Die Natur schert nicht, wie die Welt und ihre Bewohner gerade aus dem Tritt geraten sind, sie folgt unbeirrt ihrem Plan, es blüht und spriesst wohin das Auge blickt. Und da hier in der idyllischen Uckermark eh wenig Menschen wohnen und entsprechend kaum jemand unterwegs ist, könnte man fast vergessen, wie die Corona-Krise in der nahen Metropole  das öffentliche Leben quasi zum Erliegen gebracht hat.  

Doch auch hier, im winzigen Dorf Herzfelde, sind die Auswirkungen zu spüren. Pfarrerin Christine Rosin sitzt in Jeans und Lederjacke auf der hüfthohen Kirchenmauer, die ihre alte Feldsteinkirche umgibt, und erzählt: Davon, wie sie eigentlich am Ostersonntag früh morgens um halb sechs mit ihrer Gemeinde das Osterfeuer entzünden wollte. Wie am kommenden Wochenende in der alten Dorfkirche aus dem 13. Jahrhundert die Auferstehung Jesu gefeiert werden sollte, in Gemeinschaft und mit fröhlichen Liedern.

Kirche
Die Kirche in Herzfelde. Petra Krimphove

Daraus wird nun nichts. Der Corona-Virus hat diese Pläne durchkreuzt. Statt Freude über die erwachende Natur und das Osterwunder herrscht Verunsicherung und gerade unter den Älteren der Gemeinde auch Einsamkeit, weil sie ihre Kinder und Enkel wegen der Ansteckungsgefahr nicht sehen dürfen. Die neue Pfarrerin macht aus der Situation das Beste. Derzeit telefoniert sie viel und spricht Mut zu. Christine Rosin ist in der spärlich besiedelten Region für 550 Kirchenmitglieder in fünf Kirchengemeinden zuständig, die zehn Dörfer umfassen. Das Kleinste hat gerade einmal 50 Einwohner, das Grösste immerhin 2000. 

Ein Ostern ohne Kirchgang

Für sie alle wird dies ein besonderes Osterfest werden, eines, das niemand so rasch vergessen wird: Gottesdienste sind derzeit wie sämtliche Veranstaltungen im Land untersagt. Die Gemeinde muss in diesem Jahr auf die Gemeinschaft verzichten. Dabei wäre sie gerade in diesen Zeiten als Quelle der Zuversicht so wichtig. “Es schmerzt, dass man nicht zusammenkommen kann”, sagt Rosin. 

Manche Kollegen halten Online-Gottesdienste vor leeren Kirchen ab, die man zuhause vor dem Computer mitfeiern kann. Sie hat sich dagegen entschieden. “Für mich passt das nicht.” 

Leere Kirche
Pfarrerin Christine Rosin vor leeren Kirchenbänken. Petra Krimphove

Doch natürlich behält die Osterbotschaft ihre Kraft, gerade jetzt: Das Fest symbolisiere schliesslich die Überwindung von Leid und Tod:  “Wenn man die Osterhoffnung in sich trägt, kann man anders durch die Krise gehen”, ist die 1981 geborene Pfarrerin überzeugt.

Da sie die frohe Botschaft von der Auferstehung Jesu nicht persönlich verkünden kann, hat sie vor den Eingangstüren der zu ihrem Sprengel gehörenden Kirchen kleine Kisten aufgestellt. Die füllt sie regelmässig mit neuen Texten und Mitteilungen. Ihre Osterpredigt ist geschrieben, sie wird morgen in die Plastikboxen gelegt. 

Kirchentür mit Plastikbox
Das “Wort zum Sonntag” zum Mitnehmen. Kirche in Herzfelde. Petra Krimphove

Die Pfarrerin hat in der Bibel ein passendes Bild entdeckt: In der Matthäus-Geschichte wälzt ein Engel den schweren Stein vor Jesus´ Grab hinweg, setzt sich auf ihn und spricht den trauernden Frauen Mut zu. Der schwere kalte Stein stehe für die Macht der Angst, die der Engel einfach beiseite räume, so sieht es Christine Rosin. Er verkörpere den Triumph und das Vertrauen, dass sich die Welt zum Guten wende, ermutigt die Pfarrerin ihre Gemeinde: “Ostern lässt eine Kraft in die Welt kommen, die uns die Angst nimmt.”  

Zuversicht in der Krise

Christine Rosin strahlt die Zuversicht der Osterbotschaft auch selber aus. Vielleicht steckt in der Krise wie überall auf der Welt ja auch eine Chance, dass Menschen näher zusammenrücken. “Wer weiss, was daraus noch entsteht”, sagt sie. Und vielleicht ist es gar nicht von Nachteil, dass sie erst seit vier Monaten ihre kleinen Gemeinden leitet. Da sind Beziehungen und Abläufe noch nicht so eingefahren, herrscht noch Raum, Neues auszuprobieren und zu kreieren. 

Vor sieben Jahren war die gebürtige Emmentalerin der Liebe zu einem deutschen Musiker wegen zunächst nach Berlin gezogen, im Anschluss an ihre Ausbildung zur Pfarrerin in der Schweiz und einer ersten Pfarrstelle in der Nähe von Bern. Zuletzt leitete sie gemeinsam mit zwei Kolleginnen eine 9000 Mitglieder grosse Gemeinde in der Hauptstadt. Doch mit mittlerweile zwei kleinen Kindern wuchs in der Familie der Wunsch nach mehr Natur und mehr Raum. “Ich habe nie die Berge vermisst, aber Landschaft”, sagt Rosin. Auf einem Wochenendausflug entdeckten ihr Mann und sie dann Herzfelde mit seiner alten Feldsteinkirche. Als sie herausfand, dass hier die Pfarrstelle seit längerem vakant war, bewarb sich die Eidgenossin und wurde herzlich aufgenommen. Der erste Winter sei nicht leicht gewesen, räumt sie ein. Vom quirligen Berlin in ein winziges Dorf, das Haus noch nicht fertig renoviert, die Tage kurz, kalt und dunkel. Nur wenige Monate später gibt jedoch keinen Zweifel mehr, dass es die richtige Entscheidung war: “Hier können wir durchatmen.”

Vom Vorteil, aus dem Raster zu fallen

Ihr Schweizer Akzent ist kaum zu identifizieren, und doch weiss jeder hier von ihrer Heimat, zumal sie mit ihren beiden Kindern Schweizerdeutsch spricht. Vielleicht hilft ihr ihre Herkunft sogar: Die Pfarrerin passt nicht in das noch immer gepflegte Ossi-Wessi-Raster und zählt für die Gemeinde auch nicht zu den Berlin-Geflüchteten, die von vielen Alteingesessenen auf dem Land durchaus kritisch gesehen werden. “Für die Menschen hier bin ich Schweizerin und werde eher verwundert gefragt, warum ich meine schöne Heimat verlassen habe”, erzählt sie lachend.

Frau vor Kirchentor
Christine Rosin vor ihrer Kirche in Herzfelde. Petra Krimphove

Hier in der ehemaligen DDR kann Kirchenarbeit nicht an die gleichen Traditionen anknüpfen wie in Westdeutschland oder der Schweiz. Die Kirchengemeinden der DDR zählten zur regimekritischen Opposition, als Teil der Zivilgesellschaft mussten sie sich nach der Wiedervereinigung erst wieder etablieren. Für die Gemeindearbeit sei dies nach wie vor eine Herausforderung, sagt sie. Verbindungen schaffen über vermeintlich Trennendes hinweg, das liegt ihr am Herzen. Zwischen Alt-Eingesessenen und Zugezogenen, zwischen Jungen und Alten, zwischen Kirchenmitgliedern und jenen, die keinen Bezug zum Glauben spüren. Christine Rosin mag an ihrem Beruf besonders, dass sie für Menschen in wichtigen Momenten ihres Lebens da sein kann. Beerdigungen seien ihr lieber als Hochzeiten, sagt sie, das gehe vielen Kollegen so: “Auf denen habe ich das Gefühl, wirklich gebraucht zu werden.” Insofern ist sie genau die richtige Frau am richtigen Ort, an diesem ungewöhnlichen Osterfest in der Uckermark.

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