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Schweizer Sitz beim IWF wackelt

Bundesrätin Leuthard, Bundesrat Merz und Nationalbankdirektor Roth erläutern die Rolle der Schweiz im IWF. Keystone

Weil die Entwicklungs- und Schwellenländer mehr Mitsprache erhalten sollen, reformiert der Internationale Währungsfonds (IWF) das Quoten- und Stimmrecht.

Welche Variante auch immer zum Zug kommt: Der Einfluss der Schweiz im IWF wird sich verringern. Längerfristig ist gar der Sitz im Exekutivdirektorium gefährdet.

Seit ihrem Beitritt im Jahr 1992 hat die Schweiz im Exekutivdirektorium des IWF – und damit auch in der Weltbank – einen Sitz.

Denn dank ihrer Ländergruppe – dazu gehören Polen, Serbien/Montenegro sowie die ehemaligen Sowjetrepubliken Aserbeidschan, Tadschikistan, Turkmenistan, Usbekistan und Kirgisien – hat sie gerade genug Stimmrechte, um einen der 24 Sitze zu beanspruchen.

Doch jetzt werden die Aussichten der Schweiz, ihren Sitz auf die Dauer zu behalten, zunehmend fraglicher. Denn der IWF arbeitet an einer Quoten- und Stimmrechtsreform, und diese wird den Einfluss der alten Industrieländer zugunsten der Entwicklungs- und Schwellenländer reduzieren.

Neue Gewichtung zum Nachteil der Schweiz

Es gilt praktisch als sicher, dass die Formel, aufgrund welcher die Quoten berechnet werden, zu Ungunsten der europäischen Industrieländer geändert werde, sagte Thomas Moser gegenüber swissinfo. Er ist der Schweizer Vertreter im IWF.

Denn das Gewicht der Devisenreserven und des Aussenhandels wird verringert werden. Länder wie Belgien und die Schweiz, die einen regen Aussenhandel haben und auf reichen Gold- und Devisenreserven sitzen, werden davon besonders betroffen sein.

Erhöht wird stattdessen das Gewicht des Sozialprodukts. Die Schweiz ist von dieser Neugewichtung nicht begeistert, hatte aber keine Aussichten, sie zu blockieren.

Schwellenländer stärken

Ebenfalls gilt fast als sicher, dass das Sozialprodukt nicht ausschliesslich aufgrund der Marktkurse berechnet werden wird, sondern unter Mitberücksichtigung der Kaufkraft. Dies begünstigt die Entwicklungsländer, in denen die Lebenskosten viel niedriger und die Kaufkraft damit höher ist.

Denn wenn man die Sozialprodukt-Zahlen allein aufgrund der Marktkurse berechnet hätte, wäre das Resultat paradoxerweise gewesen, dass die Quote der USA noch stärker gestiegen wäre als jene der Schwellenländer. Dies wurde allgemein als unannehmbar verworfen.

Schweiz wie Vietnam?

Offen ist praktisch nur noch, wie genau das auf der Kaufkraft basierende Sozialprodukt berechnet werden soll. Die Quote der Schweiz könnte damit auf das Niveau von Ländern wie Vietnam fallen.

In der ersten Runde ist der Schweizer Sitz zwar noch nicht gefährdet – unter anderem deshalb, weil Polen von der Anpassung profitieren wird.

Doch längerfristig könnte es für die Schweiz schwierig werden, ihren Sitz zu behalten. Dies deshalb, weil die Quoten von Russland, Brasilien, Indien und anderen Schwellenländern stark erhöht werden dürften.

Führungsrolle fraglich

In Bern macht man sich deshalb bereits Gedanken darüber, welche zusätzlichen Länder man in die Schweizer Gruppe locken könnte.

Eine mögliche Kandidatin wäre die Türkei, andere denkbare Möglichkeiten wären Norwegen oder die Ukraine.

Doch selbst wenn es gelingen sollte, die Schweizer Gruppe rechtzeitig zu verstärken, ist es fraglich, ob die Schweiz in einer solchen Gruppe noch die unbestrittene Führungsrolle spielen könnte.

swissinfo, Luzian Caspar, Washington

Der IWF und die Weltbank gehören zu den sog. Bretton-Woods-Institutionen, die 1944 am Ende des Zweiten Weltkriegs auf Initiative der USA geschaffen wurden.

Der IWF soll mit Krediten vorübergehende Zahlungsbilanz-Krisen von Mitgliedländern auffangen. Später hat sich die Rolle des IWF geändert.

Weil Industrieländer nicht mehr in Zahlungsbilanzkrisen gerieten, engagiert sich der IWF seit den Achtzigerjahren immer mehr in Schwellenländern, vor allem in Lateinamerika.

In allerjüngster Zeit haben die meisten Schwellenländer ihre Abhängigkeit vom IWF gekappt, indem sie ihre ausstehenden Kredite restlos zurückzahlten. Dem IWF gehen damit zunehmend die “Kunden” aus, wie der Weltbank auch.

Die Reformabsichten des IWF stossen in der Schweiz auf Skepsis, wie der Finanzminister, Bundesrat Hans-Rudolf Merz, an einer Medienkonferenz Mitte der Woche erkennen liess.

Merz und Nationalbankdirektor Jean-Pierre Roth wollen sich an der bevorstehenden IWF-Tagung in Washington dafür einsetzen, dass die Offenheit der Volkswirtschaft und die Bedeutung des Finanzplatzes im künftigen Verteilschlüssel gebührend berücksichtigt werden.

Grundsätzlich positiv stehe die Schweiz aber einer Neuausrichtung der Weltbank-Strategie gegenüber, sagte die Volkswirtschaftsministerin, Bundesrätin Doris Leuthard, an der Medienkonferenz.

Die Neuausrichtung sei wegen der weltwirtschaftlichen Veränderungen der letzten Jahre nötig.

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