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Sergei Aschwanden sichert seinen Olympia-Platz

Judo-Vizeweltmeister Sergei Aschwanden konzentriert sich nun auf olympisches Gold. swissinfo.ch

Der Waadtländer, vor einer Woche an den Judo-Weltmeisterschaften in Osaka Zweiter geworden, ist wieder zu Hause.

In Magglingen geniesst er seinen Erfolg und bereitet sich nun auf die Olympischen Spiele von Athen vor. Er ist überzeugt, dort eine Medaille zu holen. Interview.

Obwohl er in Japan im Final der Kategorie bis 81 Kilo vom Deutschen Florian Wanner geschlagen wurde, bedauert Sergei Aschwanden nicht mehr, dass er die Goldmedaille so knapp verpasst hat.

Die verständliche Enttäuschung der ersten Stunden nach dem Kampf hat neuem Ehrgeiz Platz gemacht: Nächstes Jahr will er auf der Matte an den Olympischen Spielen in Athen glänzen.

Seit 2000 wurde Aschwanden immer besser, heute ist er das Zugpferd im Schweizer Judo. Und die Teilnahme in Athen ist zum wichtigsten Ziel in seiner Karriere geworden.

Nach zwei Europameisterschafts-Titeln (2000 und 2003), einer WM-Bronze- (2001) und einer -Silbermedaille (2003) würde er mit einer Medaille an den OS zum Schweizer Judoka mit den meisten Titeln.

swissinfo hat im sonnigen Magglingen einen Athleten getroffen, der sich rundum wohl fühlt.

swissinfo: Was bedeutet, einige Tage nach Ihrem Erfolg in Osaka, diese Silbermedaille für Sie?

Sergei Aschwanden: Gleich nach dem Kampf war ich total deprimiert, weil ich nicht auf meinem wirklichen Niveau gekämpft hatte. Das musste ich zuerst verdauen und akzeptieren.

Aber nach einigem Nachdenken freue ich mich nun über diese Silbermedaille, und ich finde, sie ist so gut wie Gold.

Ich habe ein schwieriges Jahr hinter mir (zwei schwere Verletzungen und fast sechs Monate ohne Training), und ich glaubte nicht daran, überhaupt bis zu diesem Stadium der Wettspiele in Japan zu kommen.

Ausserdem kenne ich mich nun dank dieser Final-Niederlage besser und weiss, wo ich mich noch verbessern muss.

Ich habe meine Fehler analysiert und bin sicher, dass ich sie nicht wiederhole. Und schliesslich steigert der Rest an Frustration meine Motivation für Athen um das Mehrfache.

swissinfo: Ist Athen wirklich das Ziel Ihrer Karriere?

S.A.: Ja, das ist so. Seit vier oder eigentlich sieben Jahren arbeite ich auf diese Spiele hin. Die Spiele von Sydney, als ich in der ersten Runde durch den späteren Bronzemedaillen-Gewinner ausgebootet wurde, kamen etwas zu früh für mich.

Aber dank meinem zweiten Platz in Osaka habe ich jetzt mein Ticket nach Griechenland. So kann ich mich ernsthaft auf diesen entscheidenden Event vorbereiten.

Ich hoffe, dass ich mein Judo und meine persönliche Entwicklung in diesem Jahr noch weiter aufbauen kann.

swissinfo: Gehört das für Sie zwangsläufig zusammen?

S.A.: Mein Leben ist Judo, und Judo ist mein Leben! Ich esse Judo, ich schlafe Judo, ich lebe Judo. Mit dieser geistigen Haltung und wegen der verschiedenen Herausforderungen, die sich mir stellen, kann ich über meine Grenzen hinauswachsen. Im Übrigen frage ich mich noch immer, wo diese überhaupt sind, denn bisher konnte ich sie immer noch erweitern.

Ich weiss aber, dass ich dank den Prüfungen in meinem Judoka-Leben als Mensch und als Athlet gewachsen bin. Ich kenne mich jetzt besser.

swissinfo: Ihr Vater ist Urner und Ihre Mutter Kenianerin. Eine interessante Mischung?

S. A.: Diese Konstellation hatte und hat natürlich einen Einfluss auf mein Leben und meine Persönlichkeit. Von meinem Urner Vater habe ich die strenge und fleissige Seite. Und dank der afrikanischen Herkunft meiner Mutter kann ich die Dinge mit etwas mehr Distanz angehen.

Meine Eltern haben mich sehr lange moralisch und finanziell unterstützt. Im Übrigen sind mein familiäres Netz und meine nächste Umgebung (Nationaltrainer Leo Held und sein Manager Alberto Manca) für mich das Wichtigste.

Ich weiss, dass diese Menschen mich lieben und mich annehmen, wie ich bin, unabhängig von meinen Leistungen.

Heute bin ich dank meinen privaten Sponsoren, dem Schweizerischen Judo & Ju-Jitsu Verband und swiss olympic finanziell autonom, aber ich brauche ihre Ratschläge und ihre Präsenz.

swissinfo: Ist es einfach, in der Schweiz ein Athlet auf hohem Niveau zu sein?

S.A.: Finanziell zwar nicht unbedingt, aber ich würde doch sagen, ja! Manchmal fast ein wenig zu einfach. In der Schweiz lebt man in einem gefahrlosen Umfeld. Alles ist voraussehbar, sicher.

Beim Sport auf hohem Niveau aber weiss man nicht, was die Zukunft bringt. Es ist ein Dschungel, es geht um fressen oder gefressen werden. Ich brauchte Zeit, bis ich den Mut aufbrachte, mich in das Unbekannte zu stürzen, dieses Gefühl der Unsicherheit anzunehmen und damit umgehen zu können.

Denn Angst und Stress können auch positiv sein. Das gehört auf jeden Fall zur Judopraxis. Bevor ich den Fuss auf die Matte setze, habe ich Angst. Aber dank dieser Mischung kann ein Athlet sich zurücknehmen und grosse Leistungen bringen.

swissinfo: Wie sehen Sie Ihre Zukunft? Werden die Olympischen Spiele von Athen Ihre letzten sein?

S.A.: Das kann ich noch nicht sagen. Das hängt von meiner Gesundheit, meinen Leistungen und meinen Wünschen ab. Ich werde vielleicht noch bis 2008 weiter kämpfen. Aber das werde ich nach den Spielen von Athen entscheiden.

Interview swissinfo, Mathias Froidevaux
(Übertragung aus dem Französischen: Charlotte Egger)

2003: Silber an der WM von Osaka in der Kategorie bis 81 kg.

2001: Bronze an WM in München. Zudem 2 EM-Titel (2000 und 2003).

Osaka öffnet ihm die Tore zu den Olympischen Spielen in Athen.

Sergei Aschwanden wird am 22. Dezember 1975 in Bern geboren. Sein Vater ist Urner, seine Mutter Kenianerin. Er hat einen älteren Bruder und eine jüngere Schwester.

Die ersten sieben Jahre seines Lebens verbringt er in der Bundesstadt, dann zieht die Familie nach Bussigny bei Lausanne.

Er ist schon als Kind sehr energisch. Mit sieben Jahren beginnt er mit Judo, praktiziert aber daneben noch viel anderes wie Musik und Tanz (fünf Jahre lang).

Mit zwölf macht er den braunen Gürtel, seine Technik perfektioniert er, indem er vor allem mit Erwachsenen trainiert. Mit 15 Jahren entscheidet sich Aschwanden, diese Kampfsportart noch beharrlicher zu betreiben.

Nach der Matura beschliesst er 1997 Profi zu werden. Seither macht er laufend Fortschritte. Schon ein Jahr zuvor hatte er Nationaltrainer Leo Held kennen gelernt, was zusätzlich zu seinem Erfolg beiträgt.

Im Jahr 2000 erringt Aschwanden seinen ersten Europameister-Titel. Ein Phänomen ist geboren. Heute ist er das Aushängeschild des Schweizer Judo.

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