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Skepsis überwiegt: Ende des Atomstreits mit Iran

Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad: Wie viel ist sein Einlenken wert? Keystone

Der Iran hat in dem seit Jahren schwelenden Atomstreit in letzter Minute eingelenkt. Die Einigung wurde an einem Gipfeltreffen mit Brasilien und der Türkei erzielt. Ein Schweizer Physiker äussert Skepsis, aber auch vorsichtigen Optimismus.

Waren Angst vor neuen Sanktionen der Vereinten Nationen der Grund für Mahmud Ahmadinedschad, den Deal mit der Türkei und Brasilien über eine Urananreicherung im Ausland zu unterzeichnen?

Und ist damit das jahrelange Katz- und Mausspiel Teherans mit der Internationalen Gemeinschaft beendet, zumindest vorläufig? Internationale Beobachter werteten die neue iranische Linie als vorsichtiges Signal dafür, dass sich die Türen für einen Dialog mit den Weltmächten wieder öffnen könnten.

Diese Meinung teilt auch der Schweizer Physiker und ehemaliger stellvertretender Generaldirektor der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA), Bruno Pellaud: “Sie haben jetzt das akzeptiert, was sie vor ein paar Monaten noch zurückgewiesen hatten”, sagt Pellaud gegenüber swissinfo.ch.

“Sehr trickreich”

Er sei gegenüber den Iranern aber immer noch sehr vorsichtig, sie könnten manchmal “sehr trickreich” sein. Dennoch glaubt Pellaud an eine inhaltlich “substanzielle” Einigung.

Er betrachtet die Einigung als Rückkehr zum Stand von vergangenem Oktober. “Zwar laufen die Sanktionen, aber die interessante Frage iar jetzt, ob die USA und der Westen ihren Kurs ändern und wieder an den Verhandlungstisch zurückkehren werden. Denn der Iran hat sie ein wenig an der Nase herumgeführt”, so Pellaud.

An den Genfer Gesprächen von Oktober 2009 hatten die USA, Russland und Frankreich vorgeschlagen, dass Iran unter Aufsicht der IAEA schwach angereicherten Urans liefern dürfe. In den ausländischen Labors würde das Material weiter angereichert, bevor es wieder nach Iran ginge. Teheran stimmte zuerst zu, um den Vorschlag dann abzuweisen, aus Vertrauensgründen.

Schwach angereichertes Uran ist laut dem Experten Pellaud ein sehr guter Ausgangspunkt für eine militärische Verwendung. “Es ist wie eine Fertigmischung für einen Kuchen. Ein paar Minuten im Mikrowellenherd genügen, und der Kuchen steht gebacken auf dem Tisch.”

Schweiz begrüsst den Schritt

Das Aussenministerium in Bern begrüsste die Einigung in Teheran. “Die Schweiz hat sich stets für eine diplomatische Lösung in der iranischen Nuklearfrage eingesetzt und Iran zu einer aktiven Zusammenarbeit mit der Atomenergiebehörde IAEA aufgefordert”, sagte Sprecher Adrian Sollberger.

Die getroffene Vereinbarung schaffe Hoffnung, dass neuer Schwung in die Verhandlungen mit der internationalen Gemeinschaft kommen werde.

EU und Moskau skeptisch

Die Europäische Union hat mit Skepsis auf Berichte über eine Vereinbarung im Streit um das iranische Atomprogramm reagiert. “Wir sind über das Atomprogramm des Irans sehr in Sorge”, sagte EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy. “Der Iran hat sich bislang stets geweigert, eine ernsthafte Debatte über sein Vorhaben zu führen”, betonte der Belgier am Rande eines Gipfeltreffens der EU und Lateinamerikas.

Russland reicht die Bereitschaft Irans zu einem Uran-Austausch ausserhalb des eigenen Staatsgebiets offenbar nicht. Präsident Dmitri Medwedew sagte, es seien nicht alle im Zusammenhang mit dem Austausch stehende Fragen geklärt. So sei offen, ob der Iran weiter Uran anreichern wolle. In diesem Fall wären die Sorgen der internationalen Gemeinschaft nicht ausgeräumt.

Viele Fragen offen

Zweifel herrschten auch in Diplomatenkreisen in Wien. Wenn das Land nicht wie gefordert die Anreicherung von Uran aussetze, werde der unter Vermittlung Brasiliens und der Türkei erzielte Kompromiss wohl keine Zustimmung finden, hiess es.

Das würde bedeuten, dass die Einigung nicht ausreicht, um neue Sanktionen gegen die Islamische Republik zu verhindern. “Das Abkommen könnte als Hinhaltetaktik verstanden werden”, sagte ein Diplomat.

Das Verhalten des Iran liess zudem erneut Zweifel an seinen Absichten aufkommen. Kurz nach der Unterzeichnung des Abkommens kündigte das Land an, dass es an der umstrittenen Uran-Anreicherung auf 20% festhalten wolle.

Laut der erzielten Vereinbarung soll der Iran Brennstoff für einen Forschungsreaktor im Austausch für Uran erhalten, das im Ausland verarbeitet wird. Dafür sollen 1200 Kilogramm niedrig angereichertes Uran ausser Landes gebracht werden. Würde diese Menge sehr hoch angereichert, wäre sie für den Bau einer Atombombe ausreichend.

Tim Neville, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Englischen: Renat Künzi)

29. März 2006: Der UNO-Sicherheitsrat fordert Iran auf, seine Urananreicherung binnen 30 Tagen einzustellen. Der Iran missachtet die Frist.

23. Dezember: Der Sicherheitsrat verhängt Sanktionen.
3. März 2008: Der Sicherheitsrat und auch die Europäische Union beschliessen schärfere Zwangsmassnahmen gegen Teheran.

8. Juli: Iran droht bei einem Angriff auf seine Atomanlagen mit militärischen Gegenschlägen.
26. November: Der Iran hat nach eigenen Angaben die Zahl seiner für die Urananreicherung benötigten Zentrifugen auf 5000 erhöht.

9. April 2009: Ahmadinedschad berichtet von einer betriebsbereiten Uranfabrik in der Stadt Isfahan.

5. Juni: Der Iran hat laut Internationaler Atomenergiebehörde IAEA weitere 1000 Gaszentrifugen im Atomzentrum Natans in Betrieb genommen und bisher knapp 1,4 Tonnen niedrig angereichertes Uran produziert.

1. Oktober: Vertreter des Irans, Deutschlands und der fünf Vetomächte im Sicherheitsrat kommen zu Atom-Gesprächen in Genf zusammen.

7. Februar: Der Iran verkündet, man habe niedrig angereichertes Uran von 3,5 auf 20% gebracht und sei in der Lage, es auf 80% anzureichern. Damit könnten Atomwaffen hergestellt werden.

11. Februar: US-Präsident Barack Obama kündigt als Reaktion umfangreiche neue Sanktionen gegen den Iran an.

17. Mai: Der Iran lenkt bei Gesprächen mit Brasilien und der Türkei ein und will sein Uran von jetzt an im Ausland anreichern lassen.

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