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“Grand Stan”: Schweizer Presse feiert Grand-Slam-Sieger

Stan Wawrinka holt bei den French-Open in Paris seinen zweiten Grand-Slam-Pokal. Reuters

Stan Wawrinka "triumphiert", "setzt sich die Krone auf", "ist am Firmament angekommen", "royal", "stratosphärisch". Die Schweizer Presse übertrifft sich im Verteilen von Superlativen für den Sieger von Roland-Garros. Der Westschweizer gewann im Final des French-Open in Paris gegen die Nummer 1 im Tennis, den Serben Novak Djokovic.

Er hätte allen Grund gehabt, ängstlich und verzagt in den French-Open-Final zu gehen, weil er es mit einem Gegner zu tun gehabt habe, der in der Saison 2015 zum alles überragenden Herrscher über die Tenniswelt geworden war, schreibt die Neue Luzerner Zeitung. Novak Djokovic – in der Szene bereits als „The Unstoppable“ genannt, habe seit letztem Herbst „alles, absolut alles von Rang und Bedeutung gewonnen“, ausser Roland-Garros.

„Doch einer hatte etwas gegen diese Dramaturgie, diesen Spielfilm. Und wie: Auf der grossen Pariser Bühne bewies Stan Wawrinka endgültig, dass er auch ein Mann für die ganz grossen Tennismomente ist“, so die Zentralschweizer Tageszeitung. Der Westschweizer sei in einer Epoche, die zuletzt vom Machtquartett Djokovic, Federer, Nadal und Murray beherrscht wurde, „zur fünften Kraft“ aufgestiegen. „Viele hatten das nach dem grandiosen Davis-Cup-Exploit, der grösstenteils in Wawrinkas Verantwortung fiel, schon wieder vergessen“, erinnert die Luzerner Zeitung.

Zu Wortspielereien und Gleichklängen greift der Blick. Unter dem Titel „Grand Stan!“ schreibt die Boulevard-Zeitung: „Stan the Man ist zweifacher Grand-Slam-Champion! Er fegt auch die seit 29 Matches unbesiegte Weltnummer 1 vom Platz.“ Auf den Doppelseiten mit grossen Bildern und dicken Buchstaben zielt der Blick auch auf Privates: „Stan, sagen Sie noch etwas zu den weltberühmten Shorts?“, fordert der Reporter und zitiert den Schweizer Tennishelden mit den Worten: „Nein, dazu sage ich nichts mehr. Sonst werde ich ausgebuht. Ich mag diese Shorts (lacht). Aber offenbar bin ich der Einzige. Alle reden darüber und machten sich lustig; aber hey, diese Shorts haben die French Open gewonnen! Wenn ihr wollt, könnt ihr sie ab heute jeden Tag im Museum von Roland-Garros bestaunen.“

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„Niemand macht sich mehr lustig“

Niemand habe daran geglaubt, „aber Stan Wawrinka hat es getan“. Nun mache sich niemand mehr über die Shorts lustig, schreibt die Westschweizer Tageszeitung Le Temps in Anspielung auf Wawrinkas Tennishose. „Dieses Sammlungsstück wird nun mit einer der hervorragendsten Leistungen im Tennis assoziiert werden.“ Novak Djokovic habe als „unaufhaltsam“ gegolten auf dessen Weg zum Sieg in Paris, dem einzigen grossen Turnier, das der Nummer 1 noch gefehlt habe.

Obwohl die Prognosen dem Schweizer im Finalspiel eine ehrenvolle Niederlage in hartumkämpften fünf Sätzen vorausgesagt hätten, habe Wawrinka gewonnen, schreibt Le Temps und zitiert zur Begründung den Schweizer Tennisprofi: „Einen Final spielt man nicht, um zu verlieren.“    

„Wenn es im Kopf stimmt, ist Wawrinka kaum aufzuhalten“, titelt die Berner Zeitung (BZ). „Niemand spielt besser Tennis als Wawrinka in Hochform. Der Romand, einst ein Zauderer, hat die sechs letzten Finals alle für sich entschieden.“ Er erzeuge mit Aufschlag, Vor- und Rückhand derart viel Druck, dass der Widersacher nur auf Fehler hoffen könne, analysiert die BZ und beruft sich auf die Statistik: „Nadal waren im Viertelfinal gegen Djokovic mit seinem gefürchteten Vorhand-Tops nur 3 Gewinnschläge gelungen, Wawrinka produzierte im Final deren 25.“

Obwohl der 30-jährige Westschweizer erneut eines der vier Topevents gewonnen habe, gehöre er aber noch nicht zu den „Big 4“ des aktuellen Tennis. Eigentlich gehöre auch Andy Murray nicht in diese Kategorie, denn „jeder aus dem Trio Federer/Nadal/Djokovic hat mindestens 7 Grand-Slam-Titel und 54 ATP-Turniersiege gesammelt sowie wenigstens 141 Wochen die Weltrangliste angeführt“.

Nummer 4

Dank seinem Triumph am French Open in Paris machte Stan Wawrinka in der ATP-Weltrangliste fünf Positionen gut. Der Romand ist nun hinter Novak Djokovic, Roger Federer und Andy Murray im 4. Rang klassiert. Der ehemalige Weltranglisten-Erste Rafael Nadal fiel indes nach seinem Viertelfinal-Out in Rolland Garros vom 7. auf den 10. Platz zurück.

Wawrinka, der auf Position 4 vorrückt, ist (wie Murray) noch nie die Nummer 1 gewesen“, hält die BZ fest und zieht tiefenpsychologische Gründe zur Erklärung des Unterschieds heran: „Einerseits ist er anders als die erwähnten Stars, die als Legenden in die Geschichte des Tennissports eingehen werden, ein Spätzünder, anderseits emotional weniger stabil. Wawrinka braucht psychisch mehr Energie, um sein bestes Tennis abzurufen. Äussere Einflüsse beeinträchtigen zuweilen seine Leistungen. Das erklärt seine für Aussenstehende zuweilen erstaunlichen Schwankungen.

Wawrinka habe nie als Supertalent gegolten, aber es mit Beharrlichkeit und harter Arbeit über viele Jahre an die Weltspitze geschafft. Jetzt sei er so gut, dass ein dritter Grand-Slam-Titel keine Überraschung mehr wäre. „In Wimbledon werden jedenfalls zwei Siegesanwärter aus der Schweiz teilnehmen.“

„Der Bär und die Franzosen“

Ein wenig relativiert wird die helvetische Euphorie in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ), die mit Blick auf die Pressekommentare der Grande Nation schreibt, dass der Applaus für Wawrinka im Austragungsland zögerlich sei. Der französische Journalist Philippe Bouin pflege Stan Wawrinka gerne mit einem Bären zu vergleichen: „Er wirkt stets ein bisschen brummig und behäbig, doch der Eindruck täuscht gewaltig: Stans Prankenhiebe sind blitzschnell.“ Obwohl die bärenstarke Vorstellung des Westschweizers Bouins Einschätzung vollauf bestätigten, „scheinen die Franzosen das Bärenhafte von Wawrinka halt nicht so sehr zu mögen wie die Eleganz eines Roger Ferderer‘“.

In der Online-Ausgabe von l’Equipe werde Wawrinka als „der neue Scharfrichter von Djokovic“ betitelt. Aber der Fokus des Berichts liege weniger auf dem Sieg des Schweizers als auf dem Debakel des grossen Favoriten. „Noch ist für Wawrinka der Weg weit bis zu jener Bewunderung, die einst „Rodgeur“ in Frankreich empfangen durfte.“

Zwar habe der erste französischsprachige Finalsieger von Roland-Garros seit Yannik Noah 1983  viel an Goodwill gewonnen, seit er an der diesjährigen „Quinzaine“ durch Pfeifkonzerte begrüsst wurde. „So richtig ins Herz schliessen wollen die Franzosen den „Petit Suisse eben nicht.“ Zu frisch seien die unguten Erinnerungen an den Davis-Cup-Final vom letzten November in Lille, als sich Wawrinka über die unterlegenen Franzosen abfällig geäussert hatte.

Die Zaghaftigkeit der Zuneigung habe sich auch bei der Siegerehrung gezeigt: „Dauerte der Applaus für den siegreichen Wawrinka 75 Sekunden, so war die stehende Ovation für den unterlegenen und tapfer mit Tränen kämpfenden Djokovic erst nach zwei Minuten vorbei“, hat die NZZ gemessen.

Umso heftiger ist der Applaus in der französischsprachigen Schweiz: „Wahnsinnig, unermesslich, stark, magistral. Stan Wawrinka mit geröteten Augen, in einer Hand den Pokal der Musketiere, in der anderen das Mikrofon“, verdiene den Oscar für die beste Rolle. Seine Interpretation im Final von Roland-Garros sei schlicht perfekt gewesen, schreibt die Tageszeitung 24 heures.    

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