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Kantone ziehen im Steuerwettbewerb die Handbremse

Dumping-Steuern: Das passt nicht allen Einwohnern der Innerschweizer Kantone. Keystone

Seit Jahren liefern sich die Innerschweizer Kantone einen harten Wettbewerb um tiefe Steuern. Jetzt kommen Zweifel auf, ob sich der Wettbewerb noch lohnt. Denn das durch tiefe Steuern ausgelöste Bevölkerungswachstum drückt nun auf die öffentlichen Finanzen.

Die Innerschweiz mit ihren Seen, Bergen und tiefen Steuern für Personen und für Unternehmen ist ein Natur- und ein Steuerparadies. Das hat zur Folge, dass die Bevölkerung in den Innerschweiz stärker wächst, als im nationalen Schnitt und auch, dass sich vor allem Reiche hier ansiedeln.

Bisher war der EU die privilegierte Behandlung der Holdings ein Dorn im Auge. Im Inland beschwerten sich zuweilen andere Kantone über die harte Konkurrenz der Innerschweiz mit ihrem Steuer-Discount. Doch nun ertönen auch innerhalb der Innerschweiz kritische Stimmen. “Was wollen wir eigentlich?”, fragte der christdemokratische Schwyzer Regierungsrat und Baudirektor Othmar Reichmuth vor einigen Wochen in der Presse.

Reichmuth zählte die negativen Konsequenzen der steuerlichen Attraktivität auf: Fast 50% mehr Einwohner in 30 Jahren, mehr als 3000 zusätzliche Autos jährlich, “steigende Mieten und Baulandpreise, verstopfte Strassen und Züge jeden Morgen und jeden Abend. Ich brauche keine Autobahnen mit sechs Spuren, keine Manager mit exorbitanten Salären und keine Ausländer, die von Steuerprivilegien profitieren”.

Konfrontiert mit finanzkräftigen Nachbarn wie Zug, Schwyz oder Obwalden, hat der Kanton Luzern in den vergangenen Jahren alles unternommen, um Unternehmen und Steuerzahlen anzuziehen. So hat Luzern die Gewinnsteuern halbiert.

Die drei Steuersenkungen in den Jahren 2005, 2008 und 2011 hatten Steuerausfälle in der Höhe von 207 Millionen Franken zur Folge. Dazu kamen die Ausfälle bei den Gemeindesteuern.

Die Linke und die Grünen kritisieren, die tiefen Steuern führten zu Einsparungen. Sie verlangen vor allem bei der Unternehmensbesteuerung Steuererhöhungen.

Die Regierung verteidigt ihre Strategie und verweist auf die zwischen 2001 und 2011 um 64% angestiegenen Einnahmen bei der Unternehmenssteuer.

Vom Segen zum Fluch

Baudirektor Reichmuth, ein ehemaliger Käser, hat mit seinen Äusserungen in seiner Heimat in ein Wespennest gestochen. Im Dezember haben zudem die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger der Stadt Luzern eine Steuererhöhung beschlossen. Bis ins Jahr 2007 war die Tourismus-Hochburg Luzern schuldenfrei. In den vergangenen Jahren waren ihre Finanzen in die roten Zahlen abgerutscht.

Othmar Reichmuth wurde – gegen seine Absicht, wie er sagt – von einem Tag auf den andern zu einem Symbol eines gewissen Überdrusses. Laut einer Umfrage der Zeitung Bote der Urschweiz sind 57% der Befragten der Meinung, das Bevölkerungswachstum sei ein “Fluch”. Noch vor vier Jahren bezeichneten sie es als “Segen”.

Seit 1972 ist die Bevölkerung in den Kantonen Schwyz, Luzern, Nidwalden, Obwalden, Uri und Zug laut der offiziellen Statistik um fast 40% gewachsen. Nur die Region Genfersee ist im gleichen Zeitraum stärker gewachsen.

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Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Bis Ende Juni 2013 muss die Schweizer Regierung Vorschläge machen, “um bestimmte Praktiken von Kantonen bei der Unternehmensbesteuerung aufzuheben”. Dieses Ultimatum stellte im Dezember der EU-Ministerrat. Die Forderung wurde vor kurzem vom Steuerkommissar Algirdas Šemeta erneuert. Im Visier der 27 EU-Länder sind die so genannten Sonderbesteuerungen, welche einige Kantone Unternehmen gewähren, die ihre wirtschaftlichen Aktivitäten…

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Neuzuzüger begrenzen

Für 2013 rechnen die Kantone Schwyz und Zug mit einem Defizit in der Staatsrechnung. Ein Teil der Bevölkerung sieht darin eine direkte Folge der Steuersenkungen, ein anderer kritisiert, die Kantone hätten als Folge des Erfolgs ihre Administration zu stark ausgebaut und aufgebläht.

Im Kanton Zug, dem lediglich einen Steinwurf von Zürich entfernten Paradies für Holdinggesellschaften, sind die Mietzinse in den vergangenen Jahren geradezu explodiert. Darum ist es nicht verwunderlich, dass Othmar Reichmuth hier Nachahmer gefunden hat.

Anfang Jahr sagte der Zuger Regierungspräsident Beat Villiger der NZZ am Sonntag, es sei an der Zeit, das Bevölkerungswachstum einzudämmen. Villiger sprach von der Möglichkeit, die Zahl der Neuzuzüger zu begrenzen.

Ländliches Image

“Wir haben es mit einem speziellen Moment zu tun” sagt Nils Soguel, Professor für öffentliche Finanzen an der Universität Lausanne. “Das Bevölkerungswachstum ist auch eine Frage der Identität. Neuzuzüger müssen integriert werden. Das kann zu Problemen führen.”

“Die Aussagen der Politiker richten sich in erster Linie an die Adresse der Wählerinnen und Wähler”, sagt der Volkswirt und Publizist Beat Kappeler “Doch der Überdruss ist nachvollziehbar. Die Bewohner leiden unter dem massiven Zustrom an Kapital. Die Reaktionen zeigen auch, wie sehr die Kantone Schwyz und Zug noch ihr ländliches Image pflegen, obschon sich ihr Erscheinungsbild und ihre Struktur massiv verändert hat. Zürich hat kein Problem damit, dass Hochhäuser gebaut werden, man ist sogar stolz darauf.”

Anteil Superreiche (mehr als 10 Mio. Fr. Vermögen): Schwyz 0.84%, Nidwalden 0.8%, Zug 0.76% liegen an der Spitze. Am andern Ende finden sich die Kantone Wallis mit 0.05% sowie Uri, Freiburg und Jura mit 0.06%.

Laut dem Forschungsinstitut BAK Basel haben die Kantone Nidwalden und Luzern den tiefsten Unternehmenssteuersatz. Auch Zug, Obwalden und Schwyz liegen in diesem Punkt an der Spitze. Der am besten platzierte Westschweizer-Kanton (Wallis) liegt auf dem 16. Rang, gefolgt von Waadt auf dem 17. Rang.

Die beiden Kantone mit den höchsten Unternehmenssteuern sind Basel-Stadt und Genf.

Im internationalen Vergleich hat lediglich Hong Kong eine tiefere Unternehmensbesteuerung. Im europäischen Vergleich hat Irland mit den Innerschweizer Kantonen vergleichbare Unternehmenssteuersätze.

Anstoss geben

“Etwas hat sich in der Einstellung der Bevölkerung geändert, aber ich mache mir keine Illusionen”, sagt der ehemalige grüne Zuger Nationalrat Jo Lang. “Politisch sind wir noch weit von Steuererhöhungen entfernt, auch wenn die Abstimmung in Luzern sicherlich eine gewisse Signalwirkung hat.”

Othmar Reichmuth seinerseits sieht sich nicht als Vorreiter einer neue Welle. “Im Gegenteil”, sagt er. “Ich bin Realist, man kann das Wachstum nicht stoppen. Aber ich wollte einen Anstoss geben.” Immerhin haben seither 25 der 30 Gemeinden im Kanton Schwyz ihre Steuern erhöht.

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