Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

EU droht Schweiz mit schwarzer Liste

Steuerpolitik am Pranger: EU-Steuerkommissar Algirdas Šemeta erhöht den Druck auf die Schweiz. AFP

Brüssel verlangt von Bern konkrete Vorschläge zur Abschaffung der Sondersteuersätze für internationale Unternehmungen. Der Druck aus der EU könnte indes dazu führen, dass die Schweiz sich international noch steuergünstiger positioniert.

Bis Ende Juni 2013 muss die Schweizer Regierung Vorschläge machen, “um bestimmte Praktiken von Kantonen bei der Unternehmensbesteuerung aufzuheben”. Dieses Ultimatum stellte im Dezember der EU-Ministerrat. Die Forderung wurde vor kurzem vom Steuerkommissar Algirdas Šemeta erneuert.

Im Visier der 27 EU-Länder sind die so genannten Sonderbesteuerungen, welche einige Kantone Unternehmen gewähren, die ihre wirtschaftlichen Aktivitäten im Ausland betreiben und in der Schweiz im Prinzip nur ihre administrativen Geschäfte verfolgen. Diese im Ausland tätigen Firmen zahlen wesentlich weniger Gewinnsteuern als die inländischen Firmen. 

Laut EU kommen diese Sonderbedingungen “staatlichen Subventionen” für die Unternehmungen gleich und verzerren so den freien Wettbewerb zwischen der Schweiz und der EU. Sollte die Schweiz nicht innerhalb von sechs Monaten einlenken und diesen Missstand beheben, laufe sie Gefahr, von der EU auf eine schwarze Liste mit Retorsionsmassnahmen gesetzt zu werden, sagte Šemeta.

Mehr

Mehr

Kantone ziehen im Steuerwettbewerb die Handbremse

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Innerschweiz mit ihren Seen, Bergen und tiefen Steuern für Personen und für Unternehmen ist ein Natur- und ein Steuerparadies. Das hat zur Folge, dass die Bevölkerung in den Innerschweiz stärker wächst, als im nationalen Schnitt und auch, dass sich vor allem Reiche hier ansiedeln. Bisher war der EU die privilegierte Behandlung der Holdings ein…

Mehr Kantone ziehen im Steuerwettbewerb die Handbremse

Wachsende Konkurrenz 

Für die Schweiz steht in diesem Dossier einiges auf dem Spiel. Denn die Sondersteuerregelungen tragen einen grossen Anteil an der hohen Attraktivität des helvetischen Wirtschaftsstandorts. Im letzten Jahrzehnt haben Tausende von internationalen Unternehmen ihren Sitz in die Schweiz verlegt. Und dies in einer Zeit des wachsenden internationalen Steuerwettbewerbs.

“Seit 10 bis 15 Jahren besteht auf europäischer und internationaler Ebene ein Trend zur Reduktion der Unternehmenssteuern”, sagt Martin Eichler, Experte für Steuerfragen beim Basler Wirtschaftsforschungsinstitut BAK. Dieser Trend wird auch durch eine Studie des Wirtschaftsberatungs-Unternehmens KPMG bestätigt. Demnach sind die durchschnittlichen Steueransätze für die Gewinne von Unternehmen im EU-Raum von 30,4 auf 22,9% gefallen.

Trotz dieser Entwicklung positioniert sich die Schweiz immer noch gut auf europäischer Ebene. Mit einem durchschnittlichen Unternehmensgewinn-Steuersatz von 21,2% liegt die Schweiz deutlich unter Grossbritannien (28%), Deutschland (29,4 %), Italien (31,4%) und Frankreich (33,3%). Doch die Schweiz liegt deutlich über Irland, das schon vor einem Jahrzehnt die Steuern drastisch gesenkt hat. 

Unternehmen mit Sitz in der Schweiz und wirtschaftlichen Aktivitäten in der Schweiz werden von der Eidgenossenschaft, den Kantonen und Gemeinden besteuert.

Der Bund besteuert die Unternehmen mit einem Ansatz von 7,83% auf die Gewinne.

Die Kantone (inklusive Gemeinden) erheben Steuern zwischen 4,6 und 17,7%.

Für rund 25’000 Unternehmen – Holdings, gemischte Gesellschaften oder Verwertungsgesellschaften –  gelten besondere Steuerbedingungen von Seiten der Kantone. Teilweise sind sie ganz steuerbefreit oder profitieren von besonderen Steuerreduktionen auf ihre Geschäftsaktivitäten im Ausland.

Häufig handelt es sich um Gesellschaften, die ihren Hauptsitz in die Schweiz verlegt haben, um im Ausland tätige Firmen und verwalten.

Laut EU kommen diese Sonderbedingungen einer staatlichen Subvention für die Unternehmungen gleich und schädigen so den Steuerwettbewerb. In diesem Sinn stellen die Steueransätze laut EU sogar einen Verstoss gegen das Freihandelsabkommen von 1971 zwischen der Schweiz und der EU dar.

Nicht der einzige Standortvorteil 

“Seit einigen Jahren steht die Schweiz auch vermehrt im Wettbewerb mit den neuen osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten, die durch attraktive Steuersätze ausländische Unternehmen anziehen wollen. Auf internationaler Ebene muss man zudem Singapur und China erwähnen, die ebenfalls Steuerbegünstigungen für ausländische Unternehmen kennen”, so Martin Eichler weiter.

Tatsächlich sind die Unternehmenssteuersätze einiger osteuropäischer Länder sehr tief. Gemäss der KPMG-Studie liegen sie in Bulgarien bei nur 10%. Es folgen Lettland und Litauen mit 15%, Rumänien mit 16% sowie Tschechien, die Slowakei, Polen und Ungarn mit je 19%.

“Die Steuersätze sind aber nicht der einzige Faktor für die Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit eines Wirtschaftsstandortes. Auch die Qualifikation der Arbeitskräfte, die Produktivität, die politische und wirtschaftliche Stabilität eines Landes, die Rechtssicherheit und die Effizienz der Infrastrukturen spielen eine grosse Rolle. Bei all diesen Faktoren schneidet die Schweiz sehr gut ab”, betont BAK-Experte Eichler.

Suche nach Alternativen 

Falls die Kantone die Gewährung der Steuerprivilegien aufgeben müssten, wäre die  Gefahr trotz der erwähnten Vorteile gross, dass die Schweiz etliche Unternehmungen verlieren könnte, die bisher von den Sondersteueransätzen profitieren.

“Der Entscheid wird von den Politikern gefällt, aber ich glaube, dass die EU sehr gute Argumente hat. Daher wäre es von unserer Seite aus unklug, einfach auf die eigene Souveränität zu pochen. Dann könnten wir als Verlierer aus diesem Machtkampf hervor gehen. Der Zeitpunkt ist meines Erachtens günstig, das ganze System der Unternehmenssteuern zu reformieren und eurokompatibel zu machen”, meint Marius Brülhart, Wirtschaftsprofessor an der Universität Lausanne.

Der Bundesrat scheint sich in genau diese Richtung zu orientieren. Mit der Unternehmenssteuerreform, die demnächst vorgestellt wird, soll die Ungleichbehandlung abgeschafft werden, mit der im In- und Ausland erzielte Gewinne besteuert werden. Die Kantone werden eingeladen, die Sondersätze abzuschaffen und nach neuen Lösungen zu suchen. 

Die niedrigsten Gewinnsteuern  für Unternehmen in Europa:

Bulgarien 10%

Irland 12,5%

Appenzell-Ausserrhoden, Nidwalden, Obwalden, 12,66%

Schwyz 13,95%

Appenzell-Innerrhoden 14,16%

Lettland und Litauen 15,0%

Uri 15,12%

Zug 15,38%

Luzern und Schaffhausen 15,97%

Rumänien 16%

Glarus 16.46%

Thurgau 16,51%

Graubünden 16,68%

St. Gallen 16,88%

Aargau 18,87%

Polen, Slowakei, Tschechien, Ungarn 19%

Bei den Ansätzen der Kantone sind die Bundessteuern inbegriffen.

(Quelle: KPMG)

Gefährlicher Krieg 

Diese Lösungen zeichnen sich bereits ab. So haben drei grosse Kantone Genf, Zürich und Basel vor kurzem die Möglichkeit ins Auge gefasst, die Unternehmensgewinnsteuern generell für alle Firmen auf 13 bis 16% zu senken, wenn die Anwendung der Sonderregelungen nicht mehr möglich sein sollte.

Damit würde sich der Steuerwettbewerb zwischen den Kantonen erneut verschärfen und “eine Nivellierung nach unten” stattfinden. Einige Kantone haben in den letzten Jahren praktisch schon irländische Verhältnisse eingeführt.

“Der Druck aus der EU könnte dazu führen, dass die Schweiz sich international noch steuergünstiger positioniert”, meint Marco Bernasconi, Dozent für Steuerrecht an der Universität Luzern. “Doch gleichzeitig wird dieser Steuerwettbewerb für die Kantone immer gefährlicher.”

Schon heute zahlten die Unternehmungen in einigen Kantonen nur ein Drittel dessen, was sie in anderen Kantonen bezahlen würden, so Bernasconi. “Dieser Steuerkrieg kann fatale Konsequenzen für die öffentlichen Finanzen der Kantone haben.”

(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft