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Streitobjekt und Hoffnungsträger: Eurobonds

Die Eurobonds spalten gegenwärtig die verschuldete EU. Im Bild: Das Zeichen der Europäischen Zentralbank EZB in Frankfurt. Keystone

Die EU-Staaten streiten darüber, ob die Emission von Eurobonds die Schuldenkrise der Peripherieländer lindern würde. Was für und was gegen Eurobonds spricht, sagt Klaus Neusser von der Uni Bern.

Die europäische Schuldenkrise hat sich seit dem ersten Hilfspaket für Griechenland im Mai 2010 zu einem Dauerthema entwickelt, das über die hochverschuldeten Peripherieländer auch die noch weniger verschuldeten Volkswirtschaften des Nordens zu bedrohen beginnt. Seit Beginn der Währungsunion nutzen alle Länder der Eurozone zwar einheitlich den Euro als Zahlungsmittel. Aber eine einheitliche Euro- oder EU-Steuer und eine gemeinsame Budgetpolitik gibt es (noch) nicht.

Uneinheitlich das heisst national weiterhin unterschiedlich bewegen sich das Zinsniveau, die Teuerung, Steuereinnahmen und Staatsdefizite. Italienische Staatsanleihen haben einen anderen Zinssatz als deutsche, auch die Teuerung ist unterschiedlich.

Eine Möglichkeit, neue Finanzquellen gegen Schuldenberge zu erschliessen, wäre die Ausgabe von Eurobonds.

swissinfo.ch: Was die Emission von Bonds sprich Staatsanleihen betrifft: Wo liegt der Unterschied zwischen der Eidgenossenschaft in Bern und der Europäischen Kommission in Brüssel?

Klaus Neusser: Der Hauptunterschied liegt darin, dass der Bund in Bern Steuern einnimmt und somit über die Einnahmen verfügt, um die Anleihen zu bedienen. Die Steuereinnahmen stellen also ein Art Garantie dar.

Dies trifft auch auf die Kantone der Schweiz zu. Diese Voraussetzungen sind bei den Euro-Bonds nicht beziehungsweise noch nicht gegeben.

swissinfo.ch: Für die EU ist die Europäische Kommission eine Art Regierung. Würden Eurobonds eingeführt, wer wäre dann die emittierende Stelle? Diese Kommission?

K.N.: Das ist eben noch unklar. In Euro-Währung herausgegebene Obligationen gibt es bereits seit langem. Bei den jetzt diskutierten Eurobonds geht es aber um etwas anderes, nämlich um EU-Staatsanleihen.

Nicht klar ist, wer genau sie emittieren, das heisst auflegen würde. Eine Variante bestünde darin, dass die Einzelstaaten dies gemeinschaftlich tun würden. Eine andere Variante bestünde darin, dass die Europäische Kommission selber dies tun würde.

swissinfo.ch: Würde dann aus der Europäischen Kommission so eine Art europäische Regierung?

K.N.: Das Recht, Anleihen zu emittieren, würde die Kommission und ihren Präsidenten, José Manuel Barroso, sicher stärken. Doch hinter der Emittentenfrage gibt es ja auch noch die Diskussion um eine europäische Steuer.

swissinfo.ch: Wäre das der Beginn einer gesamteuropäischen Steuerpolitik?

K.N.: Bis jetzt bestimmen die Einzelstaaten ihre Steuern selber und treiben sie auch selber ein. Die Europäische Kommission kann das nicht. Langfristig, so denke ich, steckt aber die Idee in der Köpfen der Kommission, einerseits Bonds zu emittieren und andererseits Steuern einzunehmen.

swissinfo.ch: Darüber wird ja ebenfalls gestritten. Streitet man dabei eher um den heutigen problematischen Zeitpunkt einer Emission, wegen der Verschuldung, oder um das Konstrukt von Eurobonds an sich?

K.N.: Das erste Problem besteht darin, dass alle Eurozone-Staaten an der Emission beteiligt würden, dass aber Länder wie Deutschland oder Finnland, also jene mit guter Bonität, zuletzt haften müssten.

Die Rückzahlung der Eurobond-Staatsanleihen oder die Zinszahlungen müssen ja gewährleistet sein, falls Italien ausfallen sollte.

Das zweite Problem betrifft die Höhe des Zinssatzes. Die Anleihen der Deutschen weisen zur Zeit den tiefsten Zinssatz innerhalb der Eurozone aus, weil das Risiko als das geringste erachtet wird. Je schlechter die Bonität eines Landes eingestuft wird, desto höher klettert der Zinssatz, den die Investoren verlangen, um solche Anleihen zu kaufen.

Würde ein Eurobond aufgelegt, resultierte für die Höhe des Zinssatzes eine Art Euro-Mischung: Zwar höher als Deutschland jetzt bezahlt, aber tiefer als Italien oder Spanien jetzt bezahlen müssen – von Griechenland sprechen wir gar nicht mehr.

Das hätte dann zur Folge, dass auch die Deutschen den höheren Zinssatz mitbezahlen müssen – auch darum sind sie gegen solche Eurobonds. Südeuropäische Länder hingegen sind dafür, weil es ihre Zinsrechnung entlasten würde.

swissinfo.ch: Und die Schweiz? Wie stellt sie sich zu diesem Eurobonds?

K.N.: Für die Schweizer ist dies kein direkt relevantes Thema.

swissinfo.ch: Könnte es nicht sein, dass die Nationalbank bei ihrer Franken-Euro-Wechselkurspflege solche Eurobonds kaufen müsste?

K.N.: Der Schweizerischen Nationalbank ist es freigestellt, welche Wertpapiere sie kauft, um den Wechselkurs zu pflegen. Es muss einfach in Euro sein. Für die Einhaltung eines Wechselkursziels spielt es keine Rolle, welche Art von Papiere sie kauft oder verkauft. Üblicherweise sind solche Devisenreserven breit angelegt.

swissinfo.ch: Und für private Investoren?

K.N.: Kauft ein Investor solche Eurobonds statt deutsche oder italienische, kann er nicht mehr abschätzen, wie viel Risiko von welchem Land dabei ist. Man weiss ja nicht, in welches Land genau das gemeinsam aufgenommene Geld schliesslich fliessen wird. Aber dies ist kein spezifisch schweizerisches Problem.

swissinfo.ch: Was halten Sie persönlich von Eurobonds?

K.N.: Da ich Österreicher bin, bin ich wie Deutsche oder Holländer gegen die Einführung von Eurobonds. Neben den besprochenen Zins- und Haftungsproblemen kommt nämlich dazu, dass mit Eurobonds der Druck auf die überschuldeten Länder, sich ausgabenmässig zu disziplinieren, abnimmt.

swissinfo.ch : Und wenn man jenen Ländern, die gegen Eurobonds sind, also Deutschland oder Österreich, versprechen würde, im Gegenzug zur Emission nordeuropäische Steuervögte nach Italien und Portugal zu senden, die den Staatshaushalt wieder ins Lot brächten?

K.N.: Ich weiss nicht, ob das realistisch ist. Eine autonome Steuerhoheit gehört zu den grundsätzlichsten Funktionen eines Staates. Es fragt sich, ob Griechen oder Spanier einen Deutschen oder Holländer als ihren Finanzminister überhaupt je akzeptieren würden.

Aufs Tapet werden solche Vorschläge schon kommen. Die Finnen haben sich in diese Richtung geäussert. Sie wollten nur dann Geld geben, wenn sie eigene Sicherheiten dafür erhielten. Geld nur gegen die Umsetzung entsprechender Massnahmen: Das ist genau die Diskussion, in der wir uns jetzt befinden.

Jedem Land der Eurozone würde es erlaubt sein, Schulden bis in der Höhe von 60% seines Bruttoinlandprodukts mittels Emission von Eurobonds aufzunehmen.

Diese Obligationen wären durch eine gemeinsame Garantie aller Mitgliedsländer garantiert, was einen möglichst niedrigen Zinssatz als Folge hätte.

Wegen dieser gemeinsamen Garantie entspräche die Kreditqualität nicht dem Durchschnitt der Mitgliedsländer, sondern sie würde die Kreditqualität des stärksten Garantielandes spiegeln.

Dieses müsste für die Eurobond-Schulden eines schwächeren Landes aufkommen.

Deutschland, Finnland und die Niederlande werden deshalb kaum bereit für eine solche Konstruktion sein, falls die Situation rund um den Euro nicht noch viel kritischer wird.

Thomas Wacker, UBS-Analyst, ist nicht grundsätzlich gegen die Konstruktion von Eurobonds.

Sie jetzt einzuführen, wäre aber ein grosser Fehler, obwohl der Wunsch der verschuldeten Länder danach verständlich ist.

Wacker glaubt, dass ein Eurobond-Ausgestaltungsrahmen von den Regierungen der überschuldeten Länder ausgenützt würde, um schmerzvolle Reformen und Budget-Konsolidierungen aufzuschieben.

Das würde dazu führen, dass sich ein weiterer Schuldenberg aufhäufte und schliesslich Europa als Ganzes sich einer noch viel grösseren Schuld als heute ausgesetzt sähe.

Er glaubt nicht an ein Übereinkommen zur Einführung von Eurobonds, ausser für den Fall, dass der Euro wirklich in Gefahr käme. Doch europäische Politiker würden Eurobonds immer dann ins Feld führen, wenn sie unter Handlungsdruck gerieten.

Die vorgeschlagene verstärkte Wirtschaftskooperation der EU-Länder und eine Art Schulden-Plafond für jedes Land seien zwar kleine und notwendige Bausteine für eine stabilere Eurozone. Doch die Schuldenkrise könnten sich nicht bewältigen.

Länder finanzieren sich in erster Linie über Steuern. Standen früher (Eroberungs-)Kriege an oder überstiegen die Ausgaben der prachtvollen Königshöfe (Versailles, Louis XIV) die Einnahmen, verschuldeten sich die Staaten resp. ihre Herrscher zuerst bei einzelnen Privatbanken, dann auf den Märkten mit Staatsanleihen.

Vertrauensproblem: Moderne Staaten garantieren eigentlich ihre Anleihen als sichere Investitionen. Aber nicht immer: Als nach dem 1. Weltkrieg Deutschlands Schuldenberg immens wurde, inflationierte die Zentralbank die Reichsmark, und die Staatsanleihen wurden wertlos.

Russland stand 1998 kurz vor dem Staatsbankrott, Argentinien folgte 2002.

Die europäische Schuldenkrise resultiert aus dem Umstand, dass die Staatshaushalte sich verschuldet haben, um Konjunkturpakete, Bankenunterstützungen und Sozialausgaben finanzieren zu können.

Weil jedoch der bisher stabile Euro als gemeinsame Währung von traditionellen Bugdetdefizit-Ländern wie Griechenland oder Italien im Gegensatz zur Drachme oder Lira nicht mehr inflationiert werden kann, geht den Politikern dieser Länder die Rechnung nicht mehr auf – ihre Schuldenwirtschaft kommt zum Vorschein.

Wenn Schuldenkrisen nicht durch Inflation abgebaut werden, bleiben noch die finanzielle Repression (die Kapitalflucht zur Folge hat) oder – wenn es hoffnungslos wird – Staatspleiten.

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