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Mit Erasmus den Horizont erweitern

Im Austauschjahr in Barcelona geht es nicht nur ums Studieren: Szene aus dem Film "L'auberge espagnole" von Cédric Klapisch, 2002. cinetext.de

Seit 25 Jahren fördert Erasmus den Austausch von Studenten zwischen Europas Hochschulen. Die Schweiz ist seit 20 Jahren dabei, seit 2011 als Vollmitglied. Das Programm boomt. Und es bringt die Studierenden nicht nur akademisch weiter.

“Erasmus fördert das kulturelle Verständnis zwischen den Nationen, stärkt das Gemeinschaftsgefühl, was vor allem in Krisenzeiten ein Stabilisator für Europa sein kann”, sagt Marco Amherd. Der 24 jährige Walliser war Jubiläumsbotschafter der Schweiz an der Erasmus-Feier zum 25-Jahr-Jubiläum von vergangenem Mai in Kopenhagen. Und er ist einer von 230’000 Studenten europaweit, die im vergangenen Studienjahr von diesem Angebot Gebrauch machten.

Nachdem Amherd in Zürich den Bachelor in Wirtschaft und Musik abgeschlossen hatte, absolvierte er sein erstes Masterstudiumjahr am Centre d’Etudes Supérieures de Musique et de Danse im französischen Toulouse. Nach langem Suchen hatte er dort seinen Tutor “von exzellentem Ruf” für sein Instrument, die Orgel, gefunden. Während des 10-monatigen Austauschs konnte er wichtige Beziehungen mit anderen Musikern knüpfen, “was für eine erfolgreiche Karriere elementar ist”.

Studium und Abenteuer

Die meisten jungen Leute, die sich für ein oder zwei Semester an einer anderen europäischen Hochschule einschreiben, wollen nicht nur verbissen ihr Studium fortsetzen und so ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Sie möchten auch andere Länder und Kulturen kennenlernen, ihre Sprachkenntnisse verbessern, neue Leute treffen, Freundschaften schliessen und aus dem gewohnten Alltag ausbrechen.

Ein Erasmus-Austausch sei weit mehr als nur der Wechsel von Universität und Wohnort, sagt Amherd. “Für längere Zeit weg von zu Hause zu sein, half mir auch, unabhängiger und selbstbewusster zu werden, was für mich als Musiker wichtig ist.”

2010/2011 wurden rund 2400 Schweizer Erasmus-Studenten gezählt. Zu deren beliebtesten Destinationen gehören Deutschland, Spanien und Frankreich, die ein grosses Angebot aufweisen. Und die Hälfte der knapp 2700 Erasmus-Studierenden, die im gleichen Zeitraum in die Schweiz kamen, stammten aus diesen drei Ländern.

“Die meisten kommen, um Deutsch oder Französisch zu lernen”, sagt Brianne Magnat, die Präsidentin der Schweizer Sektion des Erasmus Student Network (ESN). “Sie kommen aber auch, weil sie hier der Natur nahe sind und Wintersport betreiben können. Zudem liegt die Schweiz ideal, um Europa zu bereisen.”

Besonders gefragt sind die Eidgenössisch Technischen Hochschulen Lausanne (EPFL) und Zürich (ETH) sowie die Universitäten Genf und Lausanne “wegen ihrem exzellenten Ruf. Und Genf wohl auch wegen der Internationalität und den zahlreichen UNO-Organisationen”, so Magnat.

Attraktives Zielland Schweiz

Die Zahl der Erasmus-Absolventen nimmt von Jahr zu Jahr zu. Aber noch immer kommen mehr Studierende in die Schweiz als umgekehrt, es herrscht also ein kleines Ungleichgewicht.

“Wir haben relativ gute “Incoming-Zahlen”, sagt Karin Christen, Programmleiterin Erasmus bei der ch Stiftung für eidgenössische Zusammenarbeit. “Das zeigt, dass die Schweiz wegen des ausgezeichneten Rufs ihrer Hochschulen grundsätzlich ein attraktives Zielland ist.”

Eine Hürde für ausländische Studenten sieht Christen bei den hohen Lebenshaltungskosten. “Das hohe Preisniveau ist sicher ein Grund, wieso gewisse Leute nicht hierher kommen.” Auch wenn die Fördergelder der EU den Preisindex der verschiedenen Länder berücksichtigten, bleibe die Schweiz ein teures Land.

Damit mehr Studenten es sich leisten könnten, ein paar Monate in der Schweiz zu leben, fordert ESN-Präsidentin Magnat ein besseres Stipendienangebot. Ein weiteres Problem stelle die akute Wohnungsnot in Städten wie Genf oder Zürich dar. “Viele möchten ein Erasmusjahr in der Schweiz machen, finden aber keine Unterkunft und kommen dann gar nicht.” Hier brauche es mehr Unterstützung.

Ein weiteres Hindernis ortet die Erasmus-Verantwortliche Christen bei der Sprache, da viele Studiengänge nicht in Englisch angeboten würden.

Auch Erasmus-Botschafter Amherd findet es wichtig, dass vermehrt auf Englisch unterrichtet wird, vor allem auf der Masterstufe. Dies erleichtere den Studenten auf dem internationalen Markt zu bestehen. Eine Hochschule sollte aber ihre sprachliche Herkunft nicht verstecken und nicht nur in der Fremdsprache unterrichten, “da die Sprache auch die Kultur einer Hochschule prägen kann”.

Die Schweiz ist erst seit einem Jahr wieder Vollmitglied bei Erasmus. Nach dem Nein zum Europäischen Wirtschaftsraum EWR 1992 war sie jahrelang nur noch indirekter Partner. Amherd hofft, dass künftig mehr Studenten in die Schweiz kommen, da die Vollmitgliedschaft ein grösseres Angebot und mehr Partnerschaften mit sich bringe.

Erfahrung fürs Leben

Auch wenn sich die Zahl der Schweizer Erasmus-Studenten in den letzten 10 Jahren verdoppelt hat, hinkt die Schweiz im europäischen Vergleich in Sachen Studenten-Mobilität noch immer hinterher.

“Viele haben in der Schweiz einen Teilzeitjob, der ihnen das Studium mitfinanziert. Der fällt in einem Erasmusjahr weg”, sagt Karin Christen von der nationalen ch Stiftung. “Oder sie scheuen den administrativen Aufwand, den ein Austausch mit sich bringt.”

Brianne Magnat, die Präsidentin des Studentennetzwerks, sieht noch eine weitere Hürde: “Nicht immer werde alle Leistungen, die an der Gastuniversität vollbracht werden, von der Heim-Universität anerkannt. Weil die Studenten keine Zeit verlieren wollen, verzichten sie dann lieber auf ein Auslandjahr.”

“Das so genannte ‘Learning Agreement’, das sowohl von der Heim- wie auch der Gastuniversität unterschrieben wird, soll eigentlich garantieren, dass alle Leistungen anerkannt werden”, erklärt Christen. Dennoch höre man immer wieder, dass es nicht klappe. “Diese Probleme gibt es überall in Europa, sie werden auch immer wieder diskutiert.”

Trotz all dieser Stolpersteine geniesst das europäische Austausch-Programm bei den Studierenden ein positives Image. Und auch wenn nicht alles rund läuft, möchte wohl niemand diese Erfahrungen und Erlebnisse missen.

“Wer aber erwartet, alles müsse wie zu Hause sein, bleibt besser zu Hause”, sagt Marco Amherd.

Am Mobilitäts-Programm beteiligen sich 35 Schweizer Universitäten, ETH, Fachhochschulen, Pädagogische Hochschulen und Höhere Fachschulen.

2010/11 absolvierten rund 2400 Schweizer Studierende und knapp 400 Dozierende einen Erasmus-Aufenthalt. Vor 10 Jahren waren es etwa halb so viele.

In die Schweiz kamen 2010/11 rund 2700 ausländische Studenten, doppelt so viele wie 2001/2002.

Jahresbudget: rund 6 Mio. Euro Fördergelder.

Beliebteste Destinationen bei Schweizer Studierenden: Deutschland, Spanien, Frankreich. Aus diesen Ländern kamen auch am meisten Studenten in die Schweiz.

Beliebteste Schweizer Hochschulen: EPFL Lausanne, Universität Genf, ETH Zürich, Uni Lausanne.

Am Programm, das 1987 als Europäisches Hochschulprogramm lanciert wurde, beteiligen sich 33 Länder (27 EU-Staaten, Schweiz, Norwegen, Island, Liechtenstein, Kroatien, Türkei) und über 4000 Hochschulen.

Jahresbudget: 450 Mio. Euro.

Bis 2013 werden schätzungsweise 3 Mio. Studierende mit Erasmus einen Auslandaufenthalt absolviert haben.

Frankreich, Deutschland und Spanien entsenden am meisten Studenten und nehmen auch am meisten auf.

Das Jubiläum wird im Jahr 2012 europaweit gefeiert, so auch am 27. September in Bern – mit viel Prominenz und einer Studentenparty.

Organisiert wird das Fest von der ch Stiftung sowie vom Erasmus Student Network (ESN).

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