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Englisch ist an Schweizer Universitäten auf Vormarsch

Die englische Sprache kommt an Schweizer Universitäten immer mehr zum Zuge. Keystone

Mehr denn je zuvor können Studierende, die an Schweizer Universitäten eingeschrieben sind, ihren Abschluss auf Englisch absolvieren. Dies trifft besonders für Master-Studenten zu.

Im ersten Jahr seines Masterstudiums an der Universität Bern befand sich Claudio Kummli zusammen mit Kommilitonen und einem Professoren im Vorlesungsraum. Wie er waren alle deutscher Muttersprache. Die zweistündige Vorlesung über Klimaphysik wurde aber vollumfänglich auf Englisch abgehalten.

“Auf Deutsch wäre es um einiges leichter gewesen”, gibt Kummli zu. “Wenn man etwas müde ist, dann ist es wirklich hart, alles zu begreifen. Aber dies sind die Regeln – das Studienprogramm ist auf Englisch”, fügt er an.

Solche Regeln werden an Schweizer Universitäten immer mehr zum Standard. Gemäss der Rektorenkonferenz der Schweizer Universitäten (CRUS) nimmt die Zahl der Lehrgänge auf Englisch von Jahr zu Jahr zu, insbesondere auf Master-Ebene. In den Naturwissenschaften finden die Studienprogramme seit mindestens einer Generation auf Englisch statt. Aber auch in den Sozial- und Geisteswissenschaften hat die Sprache in den letzten Jahren massiv zugelegt.

Laut Sabina Schaffner, Expertin für Sprachpolitik in der Hochschulbildung, ermöglichen die Angebote in Englisch den Universitäten, mehr internationale Studierende und Forschende anzulocken.

“In der kleinen Schweiz zählen Forschung und Bildung zu den wichtigsten Ressourcen”, sagt Schaffner, die das Sprachenzentrum der Eidgenössischen Technischen Hochschule ETH und der Universität Zürich leitet. “Aus wirtschaftlichen und akademischen Gründen sind wir auf mehr Studierende aus dem Ausland angewiesen.”

Gemäss Schätzungen der Rektorenkonferenz sind fast die Hälfte aller Dozenten und 28% der Studierenden zur Zeit keine Schweizer.

Jede der universitären Hochschulen in der Schweiz bietet mindestens ein Masterstudium auf Englisch an, in einigen Universitäten liegt der Anteil weit höher. In Genuss kommen vor allem die Naturwissenschaften, aber auch Management, Business und Wirtschaft werden auf Englisch unterrichtet. Und auch in anderen Fakultäten ist Englisch auf dem Vormarsch, so etwa in der Europäischen Integration, Humanitären Hilfe, Corporate Communication, Anthropologie, Sportwissenschaften und Literatur.

Die Zahl der Masterlehrgänge ist je nach Universität verschieden. Die ETH Zürich bietet mit 38 am meisten an, gefolgt von der Uni Zürich mit 34. Am unteren Ende der Skala liegen die Universität Neuenburg mit 5 und die Uni Luzern mit 1.

Business- und Forschungssprache

Die Förderung internationaler Aufnahmen ist aber nur ein Teil der Geschichte. Die Universitäten müssen ihre Studenten und Studentinnen auch auf Karrieren in Bereichen vorbereiten, in denen Englisch dominiert. Dazu zählen etwa die Industrie, Business und Finanzen und verschiedene Forschungsgebiete.

“In den Naturwissenschaften laufen die ganzen Diskussionen auf Englisch”, sagt Kummli, der zur Zeit an seiner Masterarbeit in Meteorologie schreibt – auf Englisch. “Man muss sich also ausdrücken können.”

Englisch ist aber nicht nur für Wissenschafts- oder Wirtschaftsstudenten von Bedeutung, sondern auch für künftige Akademiker in den Sozialwissenschaften. Laut Schaffner finden Feldforschungen etwa in Psychologie oder Soziologie zunehmend auf Englisch statt. Und auch in den Geisteswissenschaften, die wenig mit der Sprache Shakespeares zu tun haben, ist das immer mehr der Fall.

“Auch wenn man zum Beispiel Experte für italienische Literatur ist, muss man heute allenfalls in Englisch publizieren, während man vor 20 Jahren nur auf Italienisch publizierte”, erklärt Schaffner. Also müssen Studierende, deren Lehrgänge offiziell nicht auf Englisch stattfinden, Artikel in dieser Sprache lesen und Arbeiten auf Englisch verfassen.

Obwohl sich Englisch vor allem auf dem akademischen Niveau durchsetzt, wird dies laut Experten kaum so bleiben.

“Wir können beobachten, dass Englisch in der akademischen Skala weiter nach unten greift”, sagt Simon Milligan, der an der Universität Bern Englisch für Studierende unterrichtet. Er geht davon aus, dass irgendwann “in gewissen Fächern Englisch bereits im Bachelor-Studium gefragt sein wird”.

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Eine Frage der Politik

Da die Universitäten immer mehr Studienmöglichkeiten auf Englisch anbieten, sei es wichtig, so Schaffner, dass sie sich auf eine klare Sprachpolitik einigten.

“Die Verantwortlichen der Hochschulbildung sollten eine gründliche Diskussion darüber führen, was wir erreichen wollen”, sagt sie. “Aus welchen Gründen wollen wir rein oder teilweise englische Master-Programme einführen und weshalb?”

An der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) ist diese Art von Diskussion zur Zeit im Gang. Die Hochschule möchte die Regeln formalisieren und so eine maximale Anzahl Kurse im Bachelor-Studium zulassen: von ein oder zwei Kursen im ersten Jahr bis zu maximal knapp die Hälfte im dritten Jahr.

“Wir möchten die Studierenden vorbereiten und garantieren, dass ihre Englischkenntnisse so gut wie möglich sind, damit sie das Master-Programm bewältigen können”, erklärt Lionel Pousaz, ein Sprecher der EPFL, wo die meisten technischen und wissenschaftlichen Lehrgänge in Englisch gegeben werden.

Ein Balanceakt

Nicht alle aber sind damit einverstanden, dass an den Universitäten mehr Englisch zugelassen werden sollte. Gewisse Akademiker, insbesondere in den Sozial- und Geisteswissenschaften, sehen auch Nachteile.

“Sie merken, dass es auch ein Verlust sein kann”, sagt Schaffner. “Wenn sie nur in einer Sprache forschen, kommen vielleicht andere Dinge zu kurz, sie können Unterschiede in der Bedeutung nicht verstehen.”

Es gibt auch Bedenken über die Erhaltung des linguistischen Erbes der Schweiz. Didier Berberat, Präsident der Association Défense du Français, erklärte jüngst gegenüber der Genfer Zeitung Le Courrier, die EPFL-Sprachpolitik sei “ein gefährlicher Schritt” und warnte vor einem Präzedenzfall, der gesetzt werde.

Er strich hervor, dass Forschungsanträge beim Schweizerischen Nationalfonds nun in Englisch verfasst werden müssten. “In mehreren kantonalen Universitäten gibt es die Bezeichnungen der Forschungsgebiete und Abschlüsse nur noch auf Englisch”, so Berberat.

Pousaz betont aber, dass die EPFL ihre französischsprachigen Wurzeln behalten wolle. “Wir müssen die Balance finden zwischen unserer französischen Identität und der Bestimmung einer Grenze und den Gründen, wieso wir in Englisch unterrichten müssen”, sagt er.

Auch für Schaffner ist klar, dass die Universitäten in der Sprachdebatte eine Ausgewogenheit finden müssen. “Englisch als Lingua Franca existiert in einem mehrsprachigen Kontext. Es ist wichtig, andere Sprachtraditionen beizubehalten und zu schauen, was Forschung in diesen Sprachen anbietet.”

Unterricht auf Englisch lasse sich aber kaum vermeiden. “Wir müssen akzeptieren, dass Englisch sogar in der Kunst und den Geisteswissenschaften langfristig immer wichtiger wird”, erklärt Schaffner. “Und wir müssen damit zurechtkommen.”

(Übertragung aus dem Englischen: Gaby Ochsenbein)

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