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Der Game-Pionier

Mann mit Sandwich
Der Game-Designer Daniel Lutz gönnt sich in Montreal ein Pausenbrot. ZvG

Er programmiert ästhetische Mobile Games und macht in Montreal erfolgreich Karriere als Game-Designer und Creative Director. Daniel Lutz ist der zehnte Schweizer Digitalpionier, den wir in unserer Serie Swiss Digital Pioneers porträtieren.

Mit seinen Game-Apps MonospaceExterner Link und ColorbindExterner Link hat er während des Studiums etwas Geld verdient. Damit kauft sich Daniel Lutz vor exakt zehn Jahren ein One-Way-Ticket, fliegt in die Game-Metropole Montreal und kehrt nie mehr ganz zurück.

In Montreal heuert er als Game-Designer an. Es macht den Game-Studios Eindruck, dass er alleine Game-Apps konzipiert, designt und programmiert – und dafür Preise wie “Best iPhone Game” abgeräumt hat. Dass er soeben einen Abschluss in Game-Design in der Tasche hat, interessiert kaum.

Handyspiel
Colorbind: Mit einfachen Regeln wird ein komplexes Spiel erfunden, bei welchem es nur darum geht, ein paar Punkte miteinander zu verbinden. Das Verbindungsband ist ein virtueller Papierstreifen, der bei Richtungsänderungen “umgefaltet” wird. Daniel Lutz

Das wird er morgen auch den Studierenden der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) nach zehn Jahren Berufserfahrung sagen: Sie sollen Dinge ausprobieren und nicht warten und hoffen, wegen ihres Diploms einen Job in der Game-Branche zu bekommen.

Nach dem Auftritt an seiner einstigen Ausbildungsstätte wird er im kanadischen Montreal zurückerwartet. Die grösste Stadt in Quebec ist seit 2010 zu seiner zweiten Heimat geworden. Inzwischen ist er Creative Director und führt ein Team von 20 Game-Entwicklern.

In der Serie SWISS DIGITAL PIONEERS porträtiert SWI swissinfo.ch interessante Schweizer Persönlichkeiten im Ausland oder mit internationaler Ausstrahlung, die früh das Potenzial des Internets erkannt haben und es für ihre Tätigkeiten erfolgreich genutzt haben. Die Autorin Dr. Sarah GennerExterner Link ist Medienwissenschaftlerin und Digitalexpertin. 2017 erschien ihr Buch ON | OFF.

Der Mittdreissiger ist auf Stippvisite in Zürich. Wir treffen uns an einem milden Wintertag in einer masslos durchgestylten Zürcher Hotellounge. Einige arbeiten an Laptops, im Hintergrund spielt aufdringliche Musik.

Es ist nicht unser erstes Treffen, obwohl es sich so anfühlt. Laut unseren Eltern haben wir als Kleinkinder im Strandbad Mythenquai regelmässig zusammen gespielt. Wir erinnern uns beide nicht daran.

2011 stosse ich auf das Game Colorbind, das mich als erstes Smartphone-Spiel überhaupt ästhetisch begeistert. Später spiele ich FOLTExterner Link, ein ähnlich ausgeklügeltes und grafisch ansprechendes Game von Daniel Lutz. Per Zufall finde ich heraus, dass es sich beim Entwickler um einen Sandkastenfreund handelt. Zu diesem Zeitpunkt lebt er bereits in seiner Wahlheimat.

Wie kommt er dazu, Game-Design zu studieren und ohne Job und Retourticket nach Kanada zu fliegen? “Nach dem Gymnasium war mir klar, dass ich einen gestalterischen Beruf wählen würde”, erzählt Lutz. “Das Erfinderische reizt mich. Man kann im Game-Design eine Welt erschaffen und diese für andere erfahrbar machen.”

Es sei sehr befriedigend, anderen dabei zuzusehen, wie sie beim Spielen des eigenen Games in einen Flow kommen. Als Kind hat er kaum Zugang zu Videogames, aber durch seine Eltern – zwei erfolgreiche Kunsthistoriker – ist er mit der Kreativbranche vertraut.

Ziel Nordamerika

Im Ausland zu leben, hat Daniel Lutz schon lange gereizt. Am ehesten in Nordamerika. Montreal befindet sich in den Top 5Externer Link der weltweiten Game-Entwicklungsmetropolen. 

Lutz beschreibt seine Heimatstadt Zürich als eine Art goldenen Käfig: “Es ist eine sehr lebenswerte Stadt, die einem keinen Grund gibt, wegzugehen.” Aber für junge Kreative ist die reiche und gefühlt fertig gebaute Stadt nicht optimal. Für ihn ist klar: “Wer Neues schaffen will, muss etwas wagen und auch den Wohlstand aufs Spiel setzen.”

In Nordamerika kennt er zunächst niemanden. Eine ZHdK-Dozentin verschafft ihm einen Kontakt in Montreal, aus dem allerdings nichts wird. Heute sagt er, seine Entscheidung, auf gut Glück nach Kanada zu reisen, sei “blauäugig” gewesen. Funktioniert hat es trotzdem. “Heute würde es nicht mehr reichen, alleine eine Game-App programmiert zu haben. Die Konkurrenz ist extrem gross geworden.” Mehrmals im Gespräch betont Lutz, dass er Glück hatte, zur richtigen Zeit am richtigen Ort war. Trotz Demut ist spürbar, dass er sehr hohe Ansprüche an sich und die Qualität seiner Arbeit hat.

Viel riskiert – und gewonnen

Bereits nach wenigen Wochen in Kanada kommt er beim grossen und weltweit tätigen Game-Hersteller Electronic Arts (EA) als Game-Designer unter. Nach gut zwei Jahren wechselt er zu Square Enix, ebenfalls einer der bekanntesten Entwickler weltweit. Dort entsteht unter seiner Leitung Hitman GOExterner Link – ein riskantes Unterfangen. Hitman ist eine Kult-Game-Serie und ist bis dahin nur als Konsolenspiel bekannt.

Die eingeschworene Hitman-Community beargwöhnt Mobile Games, die auf Smartphones gespielt werden. Mit Hitman GO soll der erste mobile Ableger der Game-Serie entstehen. Lutz’ Idee, das “Ballergame” in eine Brettspiel-Logik und cleane Ästhetik umzubauen, ist gewagt, stösst aber auf Interesse. Er gewinnt den internen Ideenwettbewerb. “Bis zum Launch gab es aber auch grosse Skepsis in der Firma”, erzählt er.

Externer Inhalt
An einer Game-Entwickler-Konferenz in San Francisco ermöglicht Daniel Lutz einen Blick hinter die Kulissen des Games Hitman GO.

Die Wette geht auf: Hitman Go wird zum Erfolg. Allerdings steigt damit auch der Druck, einen weiteren Erfolg anzuknüpfen. In der Schweiz wird er bereits als Shootingstar und erfolgreicher Game-Design-Export gefeiert.

Kreativität durch Blödsinn

Auf den Kreativen in der Game-Branche lastet ein starker Druck, finanziell erfolgreiche Spiele zu erschaffen. Lutz empfindet dies als eine Herausforderung: “Es ist eine ständige Gratwanderung zwischen dem, was man persönlich gerne macht und dem, was man aus Sicht der Marktforschung machen muss.”

Um die Angst vor Misserfolg zu senken, ist es ihm als Führungskraft wichtig, eine Atmosphäre zu schaffen, die emotionales Wohlbefinden und Gelassenheit fördert, um dadurch Kreativität zu ermöglichen. Lächelnd sagt er: “Ich bin ein Freund davon, Blödsinn zu fördern.”

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Lutz hat eine weitere Massnahme ergriffen, um die kreative Hemmschwelle in seinem Team zu senken: “Normalerweise sind in den Game-Studios Preise und Trophäen gut sichtbar platziert. Diese Erfolge vor Augen zu haben, schüchtert ein und wirkt kreativitätsschädigend.”

Er hat dafür gesorgt, dass sein Team in einer Atelierstimmung arbeiten kann, wo Entwürfe und Unordnung den kreativen Prozess abbilden. Als Creative Director ist er eine Art Regisseur, der eine klare Vision für ein Game haben und sein Team davon überzeugen muss.

Nach Hitman GO leitet er als Creative Director auch die Umsetzung der mobilen Version des Kultgames Lara CroftExterner Link. Vor drei Jahren gönnt er sich ein Jahr kreative Pause. Lutz lässt durchblicken, dass diese Zeit nicht nur einfach war. Nach so viel Erfolg war der Druck hoch, “noch besser und noch erfolgreicher” zu werden.

Ein Jahr später wird er wieder als Creative Director beim gleichen Game-Studio eingestellt. Sein aktuelles Projekt ist noch geheim. Der Arbeitstitel ist “Dan’s Game”, verrät er schmunzelnd. Er hat drei Monate alleine am Konzept gearbeitet und einen Game-Prototypen programmiert. Nun leitet er 20 Game-Designer, die das Spiel mit ihm zur Marktreife führen. Dazu gehören auch viele Tests bei den Zielgruppen und entsprechende Anpassungen.

Schweizer Markt ist anders

Könnte er sich vorstellen, in der Schweiz Games zu entwickeln? “Die Schweizer Game-Branche ist sehr klein.” Vermutlich zu klein für die Art Spiele, die Lutz gerne entwickelt. In Montreal hat er als Game-Entwickler gute Rahmenbedingungen. Er erzählt von einer Kuriosität der Game-Förderung: “In der Schweiz läuft es über die Kultur-Förderung und ist daher eher künstlerisch orientiert. In Kanada laufen die Game-Subventionen über Wirtschaftsbudgets.”

Das erklärt unter anderem den Aufstieg von Montreal zur internationalen Game-Metropole. Klar vermisst Daniel Lutz auch vieles in der Schweiz. Aber es wird deutlich, wie gerne er in Montreal lebt.

Würde er als digital affiner Auslandschweizer gerne digital wählen? “Klar wäre E-Voting praktisch, aber solange die Sicherheitsprobleme nicht gelöst sind, muss es nicht dringend sein.” Er erzählt, wie es für seine kanadischen Freunde beeindruckend sei, dass er zuverlässig alle drei Monate Post aus der Schweiz bekomme mit den Wahl- und Abstimmungsunterlagen.

Zugang erleichtern

Was macht den Game-Designer und Creative Director zum Digitalpionier? Im Bereich der Mobile Games ist Lutz mit Sicherheit der erfolgreichste Schweizer Export. Seine Games zeichnen sich durch eine bestechende Ästhetik und radikale Einfachheit aus. Er hat ein untrügliches Gespür dafür, dass Games auf einem Smartphone anders konzipiert sein müssen als Konsolengames.

Lutz’ Games ermöglichen auch typischen Non-Gamern ohne eigene Konsole den Einstieg und Zugang zum Gaming über das Smartphone. Gespannt warte ich auf die Neuauflage von FOLT und auf den Launch des Games, das noch “top secret” ist.

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