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Ungarische Kaninchen nach Schweizer Standard

Kaninchen: Schweizer Qualität muss nicht in der Schweiz selbst gezüchtet werden, es geht auch in Ungarn. RDB

Echte Schweizer 'Chüngel', aber in Ungarn gezüchtet: Agroingenieur und Auslandschweizer François-Lionel Humbert erklärt, wie das möglich ist. Und weshalb es ihm als welschem Bauernsohn zur Zeit in Budapest mehr gefällt als in der Schweiz.

Aus der Schweiz werden nicht nur Arbeitsplätze in Europas Osten ausgelagert, sondern auch Tierzucht-Plätze – zum Beispiel für Kaninchen.

Zwar essen die Ungarn kaum Kaninchen, aber sie  züchten welche –  nach hohen Schweizer Tierzuchtstandards, um sie besser exportieren zu können. Wirtschaftlich tönt das sehr einfach, doch agronomisch und agroökologisch steckt viel mehr dahinter:

Am Ort der grossangelegten Fleischproduktion, in Ungarn, braucht es Agro-Ingenieure, um die EU- und die noch strengeren Schweizer Richtlinien im Tierschutz und der Qualitätssicherung konstant einhalten zu können.

François-Lionel Humberts Ungarn-Abenteuer begann eigentlich ganz einfach: Als 25-Jähriger folgte er mit einem ETH-Abschluss in der Tasche seiner ungarischen Freundin nach Budapest. Weder vom Land noch von der Sprache hatte er eine grosse Ahnung.

An einen Job war also vorerst nicht zu denken. Doch in Budapest stiess er auf die Andrassy-Universität, die deutschsprachig ist. Er schrieb sich für “Internationale Wirtschaft” ein – ein wichtiges Fach für einen mittelständischen Bauernsohn und Agro-Ingenieur, der sich der Realität der zunehmenden Globalisierung der Landwirtschaft bewusst sei.

Meister Langohr sei Dank

“Über den ungarischen Swiss Business Club und die Botschaft fand ich dann doch noch einen Nebenjob”, sagt er gegenüber swissinfo.ch. “Ich kontaktierte Meinrad Odermatt von der Delimpex AG, die in Ungarn seit bald 20 Jahren Kaninchen für den Export in die Schweiz züchtet.

Anfang 2009 begann er neben dem Studium mit einem 60%-‘Chüngel’-Job. Jetzt schliesst der Französischsprachige in Ungarn die deutschsprachige Andrassy-Uni ab und arbeitet fast schon zu 100% bei Delimpex.

Ungarn ist anders

Humbert, gewöhnt an Schweizer Landwirtschafts-Strukturen, erschien Ungarns Agrarsektor zuerst ziemlich exotisch: “Es finden sich hier kaum Bauernhöfe wie bei uns. Es gibt einerseits viele Kleinbauern mit Zweitverdienst und andererseits industrielle Grossbetriebe mit einer Fläche von 5000 Hektaren.” Zum Vergleich: Der grösste Landwirtschaftsbetrieb in der Schweiz umfasst 600 Hektaren.

Diese ungleiche Verteilung führt Humbert auf die feudale Vergangenheit Ungarns zurück, auf die 45 Jahre kommunistische Kollektiv-Wirtschaft folgten. Und dennoch: Ungarns Bauern und ihre Produkte hatten immer einen guten Ruf, besonders beim Fleisch. “Als Agroingenieur sah ich ein grosses Potenzial in diesem Land.”

Eigentlich ein gutes Zeichen…

Eine von Humberts Aufgaben in der ungarischen Kaninchenfarm ist die Überwachung der Schweizer Richtlinien. “Die Rückverfolgbarkeit des Fleisches gehört zur Qualitätssicherung.” Wenn diese nicht eingehalten werden, so der Fachmann, könne es zu Fleischskandalen kommen: “Haben Sie sich schon einmal gefragt, weshalb ausgerechnet in Nordeuropa so oft Fleischskandale auffliegen?”

Die Antwort gibt Humbert gleich selber: “Skandale kommen nur dann zum Vorschein, wenn es Richtlinien gibt, die nicht eingehalten werden. Und wir im Osten, in Ungarn, wollen die nordeuropäischen Richtlinien einhalten. Denn im Süden Europas gibt es weniger Richtlinien…”

Ökologisch verträgliches Kaninchenfleisch

Zur Qualitätssicherung gehöre auch, die vorgelagerten Prozesse zu kontrollieren. “Deshalb haben wir begonnen, eigenes Futter herzustellen.” Hauptbestandteil des Futters für Kaninchen ist die Luzerne. Diese muss aber getrocknet sein, da man mit feuchter Nahrung Pilzbefall riskiert.”

Für Humbert ist sehr wichtig, dass Kaninchen zu den wenigen gezüchteten Tierarten gehören, deren Nahrung nicht in direkter Konkurrenz zum Menschen stehe. “Üblicherweise basiert intensive Grosstierzucht auf Soja, Weizen und Mais, die Menschen auch direkt essen können. Die Preise dieser Rohstoffe steigen dann wegen der Tierzucht und verteuern sie für die menschliche Nahrung.” Besonders angesichts des weltweit steigenden Fleischkonsums sei dies ein wesentliches ökologisches Argument für Kaninchenfleisch.

Auch Kaninchen könnte man mit Soja und Mais füttern, aber “wir tun das nicht, weil damit das Risiko verbunden ist, trotz allem genetisch veränderte Nahrung zu erhalten. Und in Ungarn ist  das  verboten.”

Ungarns Sprache ist auch Geschichte

Der Agroingenieur wohnt in der Millionenstadt Budapest: “Bezahlt werde ich nach einer ungarisch-schweizerischen Mischrechnung. Gut – für ungarische Verhältnisse.”

Was rät Humbert seinen Landsleuten, denen die Schweiz zu eng wird? “Budapest biete als Stadt sehr viel. “Und die Andrassy-Universität ist eine gute Anlaufstelle, falls man gut deutsch und englisch spricht.” Man müsse nicht unbedingt ungarisch können, falls man in Budapest leben wolle. Auf dem Land hingegen gehe es ohne Ungarischkenntnisse nicht.

Aber wer sich längerfristig niederlassen wolle, sollte die Landessprache lernen:: “Es nimmt viel Zeit in Anspruch, ich besuchte Sprachkurse an der Uni und an der Arbeit.” Es gebe einen wichtigen Unterschied zwischen Ungarn und der Schweiz, was den Stellenwert der Sprache betreffe.

In der Schweiz hätten, ähnlich wie in englischsprachigen Ländern, die Landessprachen nicht unbedingt viel mit der Identität des Landes zu tun. “Sogar in der Deutschschweiz lässt sich mit Hochdeutsch leben”, weiss der Westschweizer aus Erfahrung, “und unsere Landessprachen spricht man auch anderswo.” In Ungarn aber, da seien Sprache, Geschichte und Identität nicht auseinander zu halten.

Der SBC ist eine lose Vereinigung von Schweizer Geschäftsleuten in Ungarn.

Sie treffen sich in der Regel einmal monatlich, und organisieren gemeinsame Anlässe, seien das Firmenbesuche oder kulturelle oder kulinarische Ausflüge.

Dabei werden persönliche Kontakte gepflegt und der Informations-Austausch gefördert, auch was die geschäftlichen Neuigkeiten im Gastland betrifft.

Auch François-Lionel Humbert hat im SBC als Neuankömmling in Budapest seinen Job als Kaninchenzüchter gefunden.

Kaninchenfleisch ist leichter und bekömmlicher als Rind-, Schweine- oder Lammfleisch.

Als Nebenprodukte fallen Angorawolle und Felle an.

Schliesslich wird auf Kaninchenhirn zu einem Pulver verarbeitet, das in der Gerinnungsdiagnostik (von Blut) Verwendung findet.

Die Andrassy Universität Budapest ist eine deutschsprachige Uni für internationale Beziehungen, mitteleuropäische Studien sowie Staats- und Rechtswissenschaften.

Gegründet wurde sie von der Regierung der Republik Ungarn, in Form einer öffentlichen Stiftung.

Mit Christian Mühlethaler ist auch der Schweizer Botschafter Mitglied des Stiftungs-Kuratoriums.

Mit der Uni St. Gallen pflegt die Andrassy Uni eine Partnerschaft im Forschungsbereich.

Dieses Projekt wird mit fast 800’000 Fr. aus den Mitteln des Schweizerischen Erweiterungsbeitrags unterstützt.

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