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Tod eines Ausschaffungs-Häftlings: Arzt verurteilt

Menschenrechts-Organisationen demonstrierten während des Prozesses vor dem Gerichtsgebäude gegen die Ausschaffungs-Methoden. Keystone Archive

Ein 57-jähriger Berner Arzt ist für den Erstickungstod eines Ausschaffungs-Häftlings 1999 auf dem Flughafen Zürich mitverantwortlich. Er wurde wegen fahrlässiger Tötung zu fünf Monaten Gefängnis bedingt verurteilt.

Zwei Polizisten hat das Bezirksgericht Bülach hingegen freigesprochen. Ein dritter, für die Ausschaffung verantwortlicher Polizeibeamter kommt möglicherweise nicht ungeschoren davon. In seinem Fall ist noch kein Entscheid gefallen, weil weitere Abklärungen nötig sind.

Fahrlässige Fehldiagnose

Gemäss dem am Dienstag (03.07.) eröffneten Gerichtsurteil wird dem Arzt eine Fehldiagnose vorgeworfen, die den Tod des Ausschaffungs-Häftlings mitverschuldet hat. Bei einer sorgfältigen Untersuchung hätte er laut dem Bezirksrichter feststellen müssen, dass der Transport mit einer Mundknebelung nicht verantwortbar war.

Der Familie des Opfers muss der Arzt eine Genugtuung von 50’000 Franken zahlen. Trotz des Freispruchs für die Polizisten bezeichnete der Vertreter der Hinterbliebenen das Urteil als «bemerkenswert», weil das Gericht die Ausschaffungs-Praxis mit Mundknebelung kritisierte.

Mit Klebeband Mund zugeklebt

Der 27-jährige Palästinenser Khaled Abuzarifa sollte am 3. März 1999 im Auftrag der Berner Fremdenpolizei per Flugzeug von Zürich nach Kairo ausgeschafft werden. Weil er sich einem ersten Ausschaffungs-Versuch erfolgreich widersetzt hatte, wurde ihm mit einem Klebeband der Mund zugeklebt, um ihn am Schreien zu hindern.

Auf dem Weg zum Flugzeug starb der auf einem Rollstuhl gefesselte Mann. Ein Gutachten des Zürcher Instituts für Rechtsmedizin (IRM) stellte fest, dass er – wegen des zugeklebten Mundes und seines verengten Nasenganges – zu wenig Luft erhielt und erstickt sein muss.

Der Verteidiger des Arztes sprach in der Hauptverhandlung vor einer Woche von Ungereimtheiten im Gutachten. Ersticken als Todesursache sei eine reine Hypothese, es könne auch ein Herzfehler zu einem Herzversagen geführt haben. Der Anwalt verlangte deshalb ein Obergutachten.

Die Verteidiger der Polizisten argumentierten, die lebensgefährliche Situation sei für medizinische Laien nicht erkennbar gewesen.

Mundknebelung und Stress führten zum Tod

Das Bezirksgericht befand das IRM-Gutachten als «überzeugend und klar begründet». Der Arzt hat laut Bezirksrichter beim Ausschaffungs-Häftling eine untaugliche Kontrolle der Atmungs-Möglichkeiten vorgenommen.

Die den Häftling begleitenden Polizisten hätten sich zu Recht auf seine Aussagen verlassen. Sie hätten den kritischen Zustand des gefesselten Mannes zweifellos realisiert und fahrlässig gehandelt, als sie das Klebeband über den Mund nicht unverzüglich entfernten – trotz dem Hinweis eines Zürcher Polizeibeamten.

Zu einer Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung kam es nur deshalb nicht, weil nicht sicher ist, «ob das Fehlverhalten für den Eintritt des Todes kausal war». Vielleicht wäre der Häftling trotz sofortiger Nothilfe gestorben.

Begleiter ohne Entscheidungskompetenz

Die beiden 30- und 31-jährigen Angehörigen der Sondereinheit Enzian der Berner Kantonspolizei, die den Ausschaffungs-Häftling begleiten mussten, haben nach Ansicht des Richters zwar die Mundknebelung vorgenommen, aber – entgegen ihren eigenen Aussagen im Prozess – keine Entscheidungskompetenz darüber gehabt.

Der für die Planung und Organisation der Ausschaffung zuständige 56-jährige Polizeibeamte habe dagegen seine grosse Verantwortung nicht wahrgenommen. Weil das allfällige Fehlverhalten bei der Vorbereitung nicht genügend abgeklärt wurde, kam das Gericht zu keinem Urteil und wies den Fall an die Untersuchungsbehörde zurück.

swissinfo und Agenturen

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