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Überall die Kunst im Blick

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Von Basel nach Wien, zurück nach Basel und anschliessend nach Wolfsburg – immer der Kunst nach bewegt sich Markus Brüderlin. Jetzt baut der Schweizer in Deutschland einen Japan-Garten.

Aus der Aussenperspektive sieht die Schweiz für den Kurator und Museumsdirektor oft “schon etwas eng” aus.

“Ich liebe die Berge”, schwärmt Markus Brüderlin wie ein Flachländer. Seit eineinhalb Jahren lebt er in Berlin und arbeitet als Kurator und Direktor des Kunstmuseums Wolfsburg in der niedersächsischen Provinzstadt.

“Es ist so flach hier, sehr windig, das Klima ist ganz anders, sogar das Gras ist anders”, sagt er schon fast verzweifelt und schaut aus dem Fenster seines weitläufigen Büros. “Das war schon gewöhnungsbedürftig.” Skizzen für die geplante Japan-Ausstellung liegen am Boden, auf den Tischen Papier- und Bücherstapel, an den Wänden Bilder.

Markus Brüderlin hat sich an Wolfsburg gewöhnt. Doch eine Wohnung hat er sich in Berlin genommen, wo die Kultur die Natur dominiert. “Zur Zeit ist Berlin der Nabel der Kunstwelt und entsprechend wichtig für die Pflege der internationalen Kontakte”, sagt der Kunstvermittler.

Jetzt pendelt er zwei Mal die Woche an seinen Arbeitsplatz in Wolfsburg. Das ist mit dem Zug bequem in einer Stunde zu erreichen.

Eine neue Welt mit Beuys

Geboren und aufgewachsen ist Markus Brüderlin in Basel, “in einem kunstsinnigen Elternhaus”, wie er betont und überhaupt Basel: “Da bekommt man die Kunst ja bereits mit dem Löffel eingeflösst”, sagt er, auf die Präsenz des Kunstmuseums anspielend.

Das Schlüsselerlebnis sei allerdings 1977 die Documenta in Kassel gewesen, eine Art Initiation für seine Laufbahn als Kunstvermittler. “Die Überschreitung des Kunstwerk-Begriffs hat mich damals fasziniert und begeistert”, erinnert sich Brüderlin und erzählt von Kunstwerken, die eine Verbindung mit der Natur eingehen.

Etwa die Installation des US-amerikanischen Konzept- und Land-Art-Künstlers Walter de Maria, bei der ein Eisenstab einen Kilometer tief in den Boden versenkt wurde: “Es ging dabei um die Thematisierung des Unsichtbaren.”

Seine ursprüngliche Absicht, Naturwissenschaften zu studieren, gab Brüderlin auf und stürzte sich in Kunstgeschichte, Philosophie und Germanistik.

Fast täglich habe er an der Universität den Vorträgen des deutschen Aktionskünstlers, Kunsttheoretikers und Pädagogen Joseph Beuys gelauscht: “Mir ging eine neue Welt auf, eine Welt, die man dann so in Basel doch nicht mitbekommen hatte.”

Zwischen Kunst und Kunstvermittlung

Während der Studienzeit machte Brüderlin selbst Kunst. Warum er dennoch kein Künstler geworden sei, das frage er sich heute nicht mehr: “Künstler sein ist eine grundsätzliche Lebensentscheidung, eine schwierige, grossartige und wohl nicht revidierbare Entscheidung. Ich habe die Kunstvermittlung gewählt.”

In Wien promovierte der Basler mit einer Dissertation zum Thema “Abstrakte Kunst im 20. Jahrhundert” und arbeitete als Kunstpublizist und freier Ausstellungsmacher.

“Wien hatte in den 80er Jahren eine tolle junge Kunstszene, die rasant aus dem Dämmerschlaf der Nachkriegszeit erwachte und sich an die Spitze einer international präsenten Kunstbewegung setzte”, erzählt Brüderlin. In dieser Szene hat er aktiv mitgemischt.

1994-96 arbeitete er als Kunstkurator des österreichischen Bundesministers für Unterricht und Kunst, wo er für die Verteilung von Fördergeldern zuständig war: “Ich hatte dort, wohlgemerkt als Schweizer Staatsbürger, österreichische Steuergelder zu verteilen.” Vier Millionen Franken jährlich vergab er an innovative Kunstprojekte.

Zaha Hadid in Wolfsburg

1997 kehrte Brüderlin nach Basel zurück, wo er von Beginn weg als leitender Kurator am Aufbau der Fondation Beyeler im Gebäude des Stararchitekten Renzo Piano in Riehen beteiligt war.

Dort ereilte ihn 2005 die Anfrage aus Wolfsburg, sich als Direktor des Kunstmuseums zu bewerben. Seit Anfang 2006 ist Markus Brüderlin dort im Amt und hat bereits mit zahlreichen Ausstellungen Aufsehen erregt. Zuletzt mit “Swiss Made – Präzision und Wahnsinn” über 150 Jahre Schweizer Kunst.

Wolfsburg mag eine Provinz-, Industrie- und Arbeiterstadt sein, “doch sie hat ein bemerkenswertes kulturelles Programm”, zerstreut der Hausherr des Kunstmuseums allfällige Bedenken und verweist auf den futuristischen Ausstellungsbau der irakischen Stararchitektin Zaha Hadid direkt beim Bahnhof.

Gerade hat die Basler Bevölkerung ein Projekt derselben Architektin für den Neubau des Stadtcasinos abgelehnt. Brüderlin gerät in Rage: “Ich war entsetzt, als ich das hörte, mit dieser Haltung hat sich Basel in der Entwicklung 30 Jahre zurückgebombt.”

Plötzlich werde die mentale Enge der Schweiz, vom Schriftsteller Paul Nizon in den 1970er Jahren in seinem Buch “Diskurs der Enge” beschrieben, wieder spürbar. “Da bin ich dann, trotz Heimweh nach den Bergen, wieder froh, hier in Wolfsburg zu sein, wo wir einen Bau von Zaha Hadid haben. Der steht jetzt da und glänzt.”

swissinfo, Susanne Schanda, Wolfsburg

Markus Brüderlin ist 1958 in Basel geboren worden.
Studium in Wien.
1994-96 Kunstkurator des österreichischen Ministers für Unterricht und Kunst.
Gründer des Kunstraums Wien und der Zeitschrift Springer.
1997-2005 Leitender Kurator der Fondation Beyeler in Riehen.
Seit Januar 2006 Direktor des Kunstmuseums Wolfsburg.

Markus Brüderlin zeichnet verantwortlich für die Ausstellung “Swiss Made – Präzision und Wahnsinn” im Kunstmuseum Wolfsburg. Sie zeigt noch bis zum 21. Oktober 2007 Positionen der Schweizer Kunst von Hodler bis Hirschhorn.

Am 22. September 2007 wird im Kunstmuseum Wolfsburg die nächste Ausstellung eröffnet: “Japan und der Westen – Die erfüllte Leere”.

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