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Uhrenstädte im Jura sind Unesco-Weltkulturerbe

Keystone

Das Welterbe-Komitee hat die Aufnahme von La Chaux-de-Fonds und Le Locle in die Unesco-Liste gutgeheissen. Die beiden Neuenburger Uhrenstädte zeugen von der spezifischen Industrialisierung des Juras und ergänzen die bestehenden neun Welterbe der Schweiz.

Weniger als ein Jahr nach der Aufnahme der Rhätischen Bahn (Albula, Bernina) und der tektonischen Arena Sardona auf die Welterbe-Liste der Unesco kann die Schweiz eine weitere Attraktion zu ihren neun bestehenden Unesco-geschützten Kultur- und Naturerbestätten hinzufügen.

In der letzten Juni-Woche hat das Unesco-Komitee in Sevilla über weitere Kandidaturen entschieden, darunter auch über das Dossier der beiden Uhrenstädte im Neuenburger Jura. Die Städte, Beispiele für eine gelungene Symbiose von Urbanistik und Uhrenindustrie, figurieren nun ebenfalls die Liste der Weltkulturerbe.

Was ist denn an diesen beiden Städten, deren urbanistischer Verlauf einem Tal des Neuenburger Jura folgt, so besonders? “La Chaux-de-Fonds und Le Locle sind einzigartige Zeugen einer ganzen Industrieepoche”, sagt der Kandidaturdossier-Verantwortliche Jean-Daniel Jeanneret gegenüber swissinfo. Die beiden Städte zeugten durch ihre Einheit, Originalität und Authentizität, vom Ende des 18. Jahrhunderts hindurch bis heute.

“Die Aufnahme in die Unesco-Liste bestätigt nun auf internationaler Ebene, dass diese beiden Städte als eine Art Referenzzentren in Sachen Uhrenindustrie dienen”, so Jeanneret. Das wiederum führe zu einer grösseren Wertschätzung und zum Schutz dieses Neuenburger Kulturerbes.

Ein Blick hinter die Fassade

Obschon das urbane Erbe der beiden Städte nicht sofort ins Auge fällt, ist der historische Wert aussergewöhnlich. Strassen, Gebäude und Fabriken wurden gebaut, um den Bedürfnissen der aufkommenden Uhrenindustrie zu dienen.

Diese wiederum wurde zum Symbol der gesamten Region.

“Um den Wert dieser Städte zu begreifen, muss man sie mit neugierigem Blick mustern”, sagt Jeanneret. “Auf diese Weise lassen sich die versteckten Seiten erblicken. Zum Beispiel die Architektur, die dem Licht grosse Priorität gibt, und die urbane Struktur, die den Verkehr erleichtert.”

Neben diesen rationalen Elementen ist auch das subjektive Gefühl der Schönheit vorhanden: “La Chaux-de-Fonds und Le Locle lassen sich nicht mit historischen Städten wie Murten, Freiburg oder Bern vergleichen.”

Sie hätten ganz andere Eigenschaften, im Zusammenhang mit der Entwicklung einer ganzen Region, des Landes und sogar Europas über die Jahrhunderte hinweg. Darum sei es wichtig, hinter die Fassade zu schauen.

Jeanneret vergleicht es mit der Malerei: “Jene Leute, die sich an die klassische Malerei gewöhnt haben, müssen sich beim Anblick des ersten Impressionisten ebenfalls etwas umgewöhnen.”

Symbiose zwischen Städtebau und Industrie

Die beiden Städte La-Chaux-de-Fonds und Le Locle entstanden innert weniger Jahrzehnte aus Dörfern auf 1000 m Höhe als Folge der dominierenden Uhrenindustrie. Trotz des rigiden Klimas, der relativen Abgelegenheit und des Fehlens von Rohstoffen konnten die Bewohner die Fortschritte der Industrialisierung für sich umsetzen.

Der städtische Bestand besticht zwar nicht auf den ersten Blick, hat aber einen einmaligen historischen und urbanistischen Wert. Strassen, Gebäude und Fabriken wurden speziell auf die Bedürfnisse einer jungen und wachsenden Industrie ausgerichtet.

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Der Jura fast wie Amerika

Trotz der Krise im 19. Jahrhundert entwickelten sich die beiden Städte zu einer “einzigen Uhrenwerkstatt”, wie es Karl Marx ausdrückte. Vergleichbar mit der Entwicklung von Städten in Amerika entwuchs auch im Jura eine grosse Multikulturalität der Bevölkerung: Viele Einwanderer, meist Italiener, wurden in die Jura-Berge gerufen und fanden dort Arbeit.

Zur städtebaulichen und architektonischen Entwicklung gesellten sich Fortschritte auch im sozialen und gesellschaftlichen Bereich. Der Erfolg der Uhren-Industrialisierung ist also auch das Resultat einer kulturellen und schulischen Entwicklung, die damals gegenüber dem Rest der Schweiz weit fortgeschritten war.

Krise von 1973 als Bruch

Doch ab 1973 kam es zur Krise in der Uhrenindustrie, was den beiden Städten einen schweren Schlag versetzte. Tausende von Arbeitsplätzen gingen damals entlang des gesamten Jura-Bogens verloren.

Dank dem öffentlichen Sektor konnte dieser Rückgang aufgehalten werden. Die beiden Städte entwickelten sich zu Kompetenzzentren für gewisse Technologien.

Innerhalb dieses Kontextes sei auch die Aufnahme ins Weltkulturerbe der Unesco zu sehen, mit all den positiven Auswirkungen, die das im Wirtschafts- und Tourismusbereich mit sich ziehe.

Le Corbusier hat es nicht geschafft

Die Kandidatur der beiden Neuenburger Jura-Städte war nun erfolgreich, nicht jedoch das Dossier der Architektur und Urbanistik von Le Corbusier. Der Entscheid wurde auf 2010 verschoben.

Diese Kandidatur wurde gemeinsam von Argentinien, Deutschland, Belgien, Japan und der Schweiz – unter der Ägide von Frankreich – aufgelegt. Sie umfasst 22 Gebäude, die von der unverwechselbaren Kreativität und Vielseitigkeit von Le Corbusier zeugen.

Vier davon befinden sich in der Schweiz: Die Villa Jeanneret-Perret und Schwob in La Chaux-de-Fonds, das ‘Kleine Haus’ am Genfersee und das Haus Clarté in Genf.

Stefania Summermatter, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Italienischen: Alexander Künzle)

Am 27. Oktober 2008 reichte die Schweiz ihre Kandidatur für einen der 21 Sitze des Welterbe-Komitees der Unesco ein.

Dieses Komitee verwaltet das Welterbe der Menschheit und wählt die Orte und Themen, die auf die Unesco-Liste kommen.

Die Komiteewahlen finden im Oktober in Paris statt.

Vom 22. bis 30. Juni fand in Sevilla (Spanien) die 33. Sitzung des Komitees statt.

Bis heute wurden in der Schweiz im Bereich des Kulturerbes die Berner Altstadt, der Stiftsbezirk St. Gallen, das Benediktinerinnen-Kloster St. Johann in Müstair, die Burgen und die Stadtbefestigung von Bellinzona und in diesem Jahr die Kulturlandschaft Weinbaugebiet Lavaux aufgenommen.

Im Bereich des Naturerbes sind es die Stätten Jungfrau-Aletsch-Bietschhorn und Monte San Giorgio im Tessin.

Jüngst gutgeheissen wurde im Bereich des Kulturerbes die “Rhätische Bahn in der Kulturlandschaft Albula/Bernina”, im Bereich des Naturerbes die “Glarner Hauptüberschiebung”.

Weltweit sind bis heute rund 900 Orte in über 140 Ländern dem Welterbe zugeordnet. Am besten vertreten ist Italien.

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