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Wie der Schweizer Bundesanwalt an der Fifa scheiterte

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Michael Lauber, Schweizer Bundesanwalt. Keystone / Peter Klaunzer

Gegen den Schweizer Bundesanwalt Michael Lauber ist ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet worden, wegen seinen geheimen Treffen mit Fifa-Präsident Gianni Infantino. Die Bundesanwaltschaft ermittelt in einer Reihe von Korruptionsfällen in Zusammenhang mit der FIFA. Eine Übersicht.

Der Schweizer Teil der Untersuchungen gegen die Fifa beginnt mit einer öffentlichkeitswirksamen Aktion, über die weltweit berichtet wird: Am 27. Mai 2015 führt die Polizei eine Razzia im Hotel Baur au Lac in Zürich durch und nimmt dabei sieben Funktionäre der Fifa und ihr angeschlossener Organisationen fest. Die Schweizer Justiz handelt auf Ersuchen der US-Behörden, die diese Personen verdächtigen, seit den 1990er-Jahren Bestechungsgelder und Provisionen angenommen zu haben.

Die Bundesanwaltschaft (BA) hatte am 10. März 2015 aber auch ein eigenes Strafverfahren eröffnet, wegen Verdachts der ungetreuen Geschäftsbesorgung und der Geldwäscherei. Sie vermutet, dass es bei den Vergaben für die Fifa-Weltmeisterschaften von 2018 an Russland und für 2022 an Katar zu Unregelmässigkeiten kam. Die Bundesanwaltschaft nutzt die Razzia im Hotel Baur au Lac, um Dokumente zu beschlagnahmen.

Nach diesem ersten Erfolg in Zürich leitete die Bundesanwaltschaft eine Reihe von Ermittlungen gegen die Fifa ein. Die Fälle, über welche die Bundesanwaltschaft informierte, sind:

  • 24. September 2015Externer Link: Gegen FIFA-Präsident Sepp Blatter wird ein Strafverfahren eröffnet. Der Walliser wird der ungetreuen Geschäftsbesorgung und möglicher Veruntreuung verdächtigt, weil er einen für den Verband ungünstigen Vertrag mit dem karibischen Fussballverband unterzeichnet und eine ungerechtfertigte Zahlung von 2 Mio. Franken an Michel Platini geleistet hat, den damaligen Präsidenten der Union der Europäischen Fussballverbände (UEFA).
  • 6. November 2015Externer Link: Gegen vier Mitglieder des Organisationskomitees für die Fussball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland wird ein Strafverfahren eingeleitet. Horst Rudolf Schmidt, Theo Zwanziger, Wolfgang Niersbach und der ehemalige Spieler Franz Beckenbauer stehen unter Verdacht von Betrug, ungetreuer Geschäftsbesorgung, Geldwäscherei und Veruntreuung. Später wird auch der Schweizer Urs Linsi, ein ehemaliger FIFA-Sekretär, auf die Liste der Angeklagten gesetzt. Bei der Untersuchung geht es um eine Summe von 7 Mio. Euro, die zur Tilgung einer Schuld von Franz Beckenbauer zweckentfremdet worden sein soll. Das Geld soll zur Finanzierung verschiedener Zahlungen an ein katarisches Unternehmen verwendet worden sein.
  • 20. März 2017Externer Link: Gegen den ehemaligen FIFA-Generalsekretär Jérôme Valcke, den Direktor des Unternehmens der BeIN Media Group und derzeitigen Präsidenten des Klubs Paris Saint-Germain, Nasser Al-Khelaïfi, sowie einen im Bereich der Sportrechte tätigen Geschäftsmann wird ein Strafverfahren eingeleitet. Jérôme Valcke wird verdächtigt, nicht gebührende Vorteile angenommen zu haben, um den Prozess der Vergabe von Übertragungsrechten für mehrere Weltmeisterschaften zu beeinflussen.

Nach Angaben der BundesanwaltschaftExterner Link wurden seit 2015 im Bereich Weltfussball insgesamt 25 Strafverfahren von unterschiedlichem Gewicht und Umfang eröffnet.
 

Der einzige Fall, der bisher zu einer Anhörung vor dem Bundesstrafgericht führte, ist der, der im Zusammenhang mit der Fussballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland steht. Die Bundesanwaltschaft erhob vergangenen August Anklage gegen Horst Rudolf Schmidt, Theo Zwanziger, Wolfgang Niersbach und Urs Linsi. Das Verfahren gegen Franz Beckenbauer wurde abgetrennt.

Unterdessen sind jedoch alle Anklagepunkte verjährt, und die Schweizer Justiz musste die Anklage gegen die fünf Männer fallen lassen. Der Prozess hatte zwar am 9. März begonnen, musste dann aber wegen der Coronavirus-Krise vertagt werden und schliesslich einfach abgebrochen, da die Verjährungsfrist nur bis zum 27. April 2020 lief.

Unter den anderen abgeschlossenen Fällen führt die Bundesanwaltschaft die Verurteilung per Strafbefehl eines ehemaligen Angestellten einer Schweizer Bank wegen Urkundenfälschung und Verletzung der Meldepflicht und einer weiteren Person wegen Urkundenfälschung an. Beide wurden im Rahmen einer Untersuchung in Zusammenarbeit mit den USA gegen ehemalige südamerikanische Fussball-Funktionäre verurteilt.

Vier weitere Fälle wurden eingestellt.


Etwa 20 Strafverfahren sind noch offen. Am weitesten fortgeschritten ist das Verfahren gegen Jérôme Valcke, Nasser Al-Khelaïfi und einen dritten Mann. Die BA erhob Anklage wegen Bestechung, ungetreuer Geschäftsbesorgung und Urkundenfälschung. Einige Anklagepunkte wurden jedoch fallen gelassen, nachdem die FIFA ihre Klage gegen Nasser Al-Khelaïfi zurückzogen hatte, da sie nach eigenen Angaben eine “gütliche Einigung” mit ihm erzielt hatte. Der Prozess soll am 14. September vor dem Bundesstrafgericht beginnen, aber die Zeit drängt, da gewisse Vorwürfe im November verjährt sein werden.

Ein Teil des Strafverfahrens gegen Sepp Blatter wurde von der Bundesanwaltschaft eingestellt. Die Ermittlungen zu den 2 Millionen Franken, die er Michel Platini gezahlt hat, gehen weiter.


Die Bundesanwaltschaft führt verschiedene Erklärungen an, um zu rechtfertigen, wieso fünf Jahre nach dem aufsehenerregenden Auftakt der FIFA-Untersuchungen nur so wenige Resultate vorliegen. Erstens lagen viele der Ereignisse bereits lange zurück, als die Ermittlungen begannen, was das Risiko erhöht, dass sie nicht abgeschlossen werden können, bevor die Verjährung eintritt.

Zweitens sind die Verfahren komplex und erfordern internationale Zusammenarbeit, die nicht immer gegeben ist. So blieb zum Beispiel ein Rechtshilfeersuchen an die katarischen Behörden unbeantwortet. Auf Grundlage ihrer Erfahrungen schätzt die BA die durchschnittliche Dauer von Strafverfahren im Bereich der Wirtschaftskriminalität auf 4 bis 6 Jahre, in komplexen Fällen mit internationalen Verzweigungen sogar noch länger.

“Ich verstehe, dass es seine Zeit dauern kann, denn die Welt des Sports ist die Quintessenz der Globalisierung”, sagt Patrick Oberli, stellvertretender Chefredaktor der Rubrik Sport bei Tamedia und Spezialist für Korruption im Fussball.

Er weist auch darauf hin, dass die FIFA über 200 Mitgliedsverbände hat, die mehr als 200 verschiedenen Gesetzgebungen unterliegen. “Es ist tatsächlich sehr kompliziert, Untersuchungen abzuschliessen, weil man mit vielen Ländern zusammenarbeiten muss”, sagt er. “Und die Schweiz ist nicht die USA, sie hat nicht die gleichen Druckmittel.”

Die Ermittlungen in den USA haben zu mehreren Prozessen und zahlreichen Verurteilungen geführt, während die meisten Schweizer Ermittlungsverfahren noch laufen und bei einigen die Verjährung von Anklagepunkten droht. 


Verschärfend dazu kommt der Skandal um Michael Lauber, der nun für weitere Verzögerungen sorgt: Weil der oberste Schweizer Ermittler wegen seiner Geheimtreffen mit der FIFA-Spitze zumindest im Fall Jérome Valcke befangen ist, können die Beschuldigten zahlreiche Befragungen nochmals durchführen lassen. Damit gewinnen sie allenfalls die Zeit, die es braucht, um sich in die Verjährung zu retten. Dem Ruf der Schweizer Justiz wird dadurch einen Schlag versetzt. 

Besonders die inzwischen nachgewiesenen Verbindungen zwischen dem Chef der Bundesanwaltschaft und dem FIFA-Chef werfen Fragen auf”, sagt Patrick Oberli. “Es ist legitim, sich zu fragen, ob die Schweiz wirklich alles in ihrer Macht Stehende tat, um diese Untersuchungen zu einem Abschluss zu bringen.”

  • Petrobras-Odebrecht: Der brasilianische Bauriese Odebrecht wird von der brasilianischen Justiz beschuldigt, Politiker und Führer des Ölgiganten Petrobras bestochen zu haben, um öffentliche Aufträge in mehreren lateinamerikanischen Ländern zu erhalten. Der Schweizer Aspekt des Falls konzentriert sich auf die Nutzung von Bankkonten und Finanzintermediären zur Zahlung von Bestechungsgeldern und zur Geldwäscherei.
  • 1MDB: Staats- und Regierungschefs, Geschäftsleute und Politiker werden beschuldigt, insgesamt mehr als 4,5 Milliarden USD aus dem malaysischen Staatsfonds 1MDB veruntreut zu haben. Verschiedene Schweizer Banken liessen Transaktionen der veruntreuten Gelder zu.
  • Gunvor: Dem in Genf ansässigen Rohstoffhändler Gunvor werden schwerwiegende Mängel vorgeworfen, weil er es versäumt hatte, die Bestechung von Amtsträgern in der Demokratischen Republik Kongo und der Côte d’Ivoire zu verhindern.
  • Usbekistan: Personen aus dem direkten Umfeld der Tochter des ehemaligen usbekischen Präsidenten Islam Karimow werden beschuldigt, mehrere Schweizer Bankkonten zur Geldwäscherei und zur Verschleierung der Herkunft sowie der Bestimmung von Geldern benutzt zu haben.

(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)

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