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Unternehmen und Menschenrechte: Schweiz muss mehr tun

Das Schmelzwerk Vinto in Bolivien gehörte zum Clencore-Konzern, bevor es verstaatlicht wurde. Reuters

Die Schweiz müsse sich den internationalen Normen anpassen und ihre Unternehmen müssten Rechenschaft über ihre soziale Verantwortung ablegen: Diese Meinung vertritt John Ruggie, der Autor der UNO-Richtlinien im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte im Interview mit swissinfo.ch.

Im Bereich der sozialen und ethischen Verantwortung von Unternehmen seien die Europäische Union und die USA weiter fortgeschritten als die Schweiz, sagt John Ruggie, der ehemalige Sondergesandte der UNO für Unternehmen und Menschenrechte. Die von Ruggie erarbeiteten Richtlinien wurden im Juni 2011 vom Menschenrechtsrat einstimmig verabschiedet. Kürzlich sprach Ruggie in Genf zum Thema Menschenrechte und Schweizer Unternehmen.

swissinfo.ch: Seit 2011 hat lediglich rund ein Dutzend der Staaten Aktionspläne erarbeitet, um Ihre Prinzipien umzusetzen. Sind Sie enttäuscht?

John Ruggie: Ich denke, dass verschiedene Regierungen Zeit gebraucht haben, um sich dem Anliegen anzunehmen. Selbst die USA – mit ihrem extrem komplizierten Regierungssystem – haben die Lancierung eines nationalen Aktionsplanes in Aussicht gestellt. Dasselbe haben Kolumbien und Moçambique angekündigt. Ghana hat um Unterstützung gebeten für die Erarbeitung eines Plans.

Nationale Aktionspläne sind nur eine Komponente des Ganzen. Die einzelnen Elemente der Leitlinien sind bereits in den nationalen politischen Bestrebungen und in einigen Fällen in das nationale Recht integriert.

swissinfo.ch: Eine Umfrage hat ergeben, dass knapp die Hälfte der Grossunternehmen in Partnerschaften für nachhaltige Entwicklung engagiert sind und dass 20% von 4000 befragten Führungskräften davon ausgehen, dass ihre Verwaltungsräte in diesem Bereich ihre Aufsichtspflichten wahrnehmen. Nachhaltige Entwicklung ist noch weit entfernt davon, angewendet zu werden.

JR: Die Arbeiten kommen voran. Wie bei jedem Abkommen braucht es Zeit, um die Hindernisse zu überwinden und es in die Praxis umzusetzen. Ein globales Unternehmen wie Coca Cola zum Beispiel ist in 200 Ländern aktiv.

Politisches Engagement konkret in die Tat umzusetzen fordert seine Zeit, vor allem, da die Staaten nicht Besitzer der Abfüllanlagen oder der Zuckerraffinerien sind. Die Menschen müssen ausgebildet, überwacht und begleitet werden.

Volksinitiative in Sicht

Ein neu gegründeter Verein plant die Lancierung einer Volksinitiative. Diese hat zum Ziel, dass Unternehmen mit Sitz in der Schweiz Menschenrechte und Umweltstandards auch bei ihren Aktivitäten im Ausland respektieren müssen.

Der Verein Konzernverantwortungs-InitiativeExterner Link besteht aus rund 50 Nichtregierungs-Organisationen.

Bundesrat und Parlament seien bisher nicht bereit, den “erforderlichen nächsten Schritt zu machen und rechtlich verbindliche Anforderungen an Unternehmen mit Sitz in der Schweiz zu formulieren”, kritisiert der Verein. Damit werde die Respektierung von Menschenrechten und Umwelt im Ausland weiterhin dem Goodwill der Schweizer Unternehmen überlassen.

Das Kernanliegen der geplanten Initiative ist präventiver Natur: Eine Sorgfaltsprüfungspflicht bezüglich Menschenrechte und Umwelt. Diese Sorgfaltsprüfung umfasst eine Risiko-Abschätzung, Massnahmen zur Vermeidung und Beendigung allfälliger Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden sowie eine umfassende Berichterstattung darüber.

Die Pflicht zur Sorgfaltsprüfung erstreckt sich auf alle Geschäftsbeziehungen eines Unternehmens und orientiert sich an den 2011 im Menschenrechtsrat einstimmig beschlossenen UNO-Leitprinzipien. 

swissinfo.ch: 2006 haben Sie in einem Interview mit swissinfo.ch der Schweiz für ihr Engagement für die Einhaltung der Menschenrechte durch ihre multinationalen Unternehmen gratuliert. Würden Sie das heute auch noch tun?

JR: Ich denke, die Schweiz war 1999 gegenüber den Anstrengungen der Vereinten Nationen sehr positiv eingestellt. Genauso war sie es, was mein Mandat betraf. Sie spielte in einer Reihe von Bereichen eine wichtige Rolle. Heute hat die Schweiz keine Führungsrolle mehr. Sie ist nahe dran, aber andere Staaten sind weiter.

swissinfo.ch: Kritiker monieren, dass die Schweiz auf Selbstregulierung setzt und bei Verstössen keine Sanktionen vorsieht. Wie sehen Sie das?

JR: Da die USA und die EU von ihren Firmen zwingend einen Bericht verlangen über die Einhaltung von Menschenrechten und Nachhaltigkeitsregeln, denke ich nicht, dass die Schweiz um diese Frage herumkommt. Die Schweiz wird verpflichtet werden, verbindliche Massnahmen einzuführen. Das bedeutet nicht, dass alle Richtlinien in einen einziges Gesetz verpackt werden müssen. Das wäre unmöglich. Wir müssen eine clevere Mischung von Vorschriften finden.

swissinfo.ch: In den letzten Jahren hat sich die Schweiz zu einem globalen Zentrum für Rohstoffhandel entwickelt. Kritiker warnen vor den damit verbundenen Risiken. Insbesondere die Reputationsrisiken seien eine Zeitbombe für die Schweiz. Sehen Sie das auch so?

J. R:. Die grosse Frage dreht sich um die Transparenz. Im Moment wissen wir sehr wenig darüber. Es ist möglich, dass alles in Ordnung ist im Rohstoffhandel, aber wir wissen es nicht.

Die Schweiz und auch die EU müssen Fortschritte machen in dieser Frage. Ich hoffe, dass es eher früher als später zu Regeln kommt, denn es handelt sich um ein wichtiges Thema nicht nur bezüglich der Frage der Reputation der Firmen, sondern auch jener der Länder. Das Vertrauen und der Glaube der Menschen in die Wirtschaft muss wieder hergestellt werden. Und es braucht die Bereitschaft der Regierungen, das zu tun, was im öffentlichen Interesse liegt.

(Übersetzt aus dem Englischen: Andreas Keiser)

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