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Warum Auslandschweizer selten wählen gehen

Tim Guldimann
Tim Guldimann vertrat im Parlament die Interessen der Auslandschweizer. Keystone/Dominic Steinmann

Über die Hälfte der Schweizer Stimmbürger nimmt nicht an Wahlen teil. Besonders niedrig ist die Wahlbeteiligung unter Auslandschweizern.

Paradoxerweise ist einer der wichtigsten Gründe für die niedrige Wahlbeteiligung von Schweizerinnen und Schweizern die direkte Demokratie: In der Schweiz gibt es vier Mal im Jahr Volksabstimmungen, an denen die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger über Sachfragen entscheiden können.

Das senkt die Bedeutung von WahlenExterner Link: In einer Befragung gaben Wahlabstinenzler als Grund für das Nichtwählen am zweithäufigsten an, dass man mit Volksabstimmungen einen grösseren Einfluss ausüben könne. Das gilt umso mehr, als die Regierungszusammensetzung in der Schweiz im Vergleich zu den meisten Demokratien sehr stabil ist und alle grossen Parteien in der Regierung vertreten sind. Sprich: Wählen ist in der Schweiz einfach nicht so wichtig.

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Dazu kommt: Der zeitliche Aufwand der politischen Partizipation ist bei vier Abstimmungen pro Jahr deutlich grösser als in anderen Ländern, so dass sich die Bürger und Bürgerinnen selektiver beteiligen, quasi ihre Kräfte einteilen.

Wahlfaule Auslandschweizer

Die Wahlbeteiligung der Auslandschweizer ist seit Jahren noch deutlich geringer als jene der Inländer. Das hat mehrere Gründe: Erstens müssen sich Auslandschweizer in einem Stimmregister eintragen lassen, was eine gewisse Hürde darstellt.

“Früher mussten sich Auslandschweizer sogar alle vier Jahre registrieren lassen”, sagt Ariane RustichelliExterner Link, Co-Direktorin der Auslandschweizer-Organisation (ASO). Diese Hürde wurde zum Glück in der Zwischenzeit abgeschafft. Es reicht eine einmalige Registrierung. “Das hat das Wählen für Auslandschweizer erheblich vereinfacht”, so Rustichelli.

Dennoch waren im Jahr 2015 lediglich knapp 142’000Externer Link der 762’000 Auslandschweizer und Auslandschweizerinnen in einem Stimmregister eingetragen.

Weit weg von der Schweizer Realität

Von den registrierten Auslandschweizern gingen 2015 nur zwischen 13 und 32 ProzentExterner Link auch tatsächlich wählen – während die Gesamtwahlbeteiligung je nach Kanton rund 37 bis 60 Prozent betrug. Über alle Auslandschweizer gesehen betrug die Wahlbeteiligung im Durchschnitt nur etwa 4,5 Prozent.

Klar ist das Wählen für Auslandschweizer etwas aufwändiger: Sie müssen rechtzeitig das Couvert abschicken, während Inlandschweizer notfalls im letzten Moment zum Wahllokal rennen können. Aber das kann nicht der einzige Grund sein.

“Es gehen nur diejenigen Auslandschweizer wählen, die sich auch wirklich für Schweizer Politik interessieren”, erklärt Rustichelli. Und das sei gut für die Legitimation des Stimm- und Wahlrechts von Auslandschweizern, das kürzlich in Frage gestellt wurde.

Vincent Croset, Delegierter der Auslandschweizer-Organisation (ASO) für Grossbritannien, weist auf Twitter auf die Unterschriftensammlung für eine E-Voting-PetitionExterner Link der ASO hin:

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“Manche Auslandschweizer leben weit weg von der Schweizer Realität”, erklärt Rustichelli. Bei diesen Auslandschweizern sei häufig eine Art Selbstbeschränkung zu beobachten. “Sie wollen nicht bei etwas mitreden, das ihr Leben nicht beeinflusst.”

Und dann gibt es noch einen recht banalen, aber äusserst ärgerlichen Grund: “Viele Auslandschweizer erhalten die Unterlagen schlicht zu spät und können deshalb nicht wählen”, so Rustichelli.

Ursachenforschung

Um die Gründe für die Wahlabstinenz der Auslandschweizer besser zu kennen, müsste laut Rustichelli mehr Datenmaterial vorliegen. “Uns fehlen Informationen über die Auslandschweizer”, sagt Rustichelli und sieht besonders die universitäre Forschung in der Pflicht.

Einer, der sich mit dem Wahlverhalten von Auslandschweizern wissenschaftlich befasst, ist Thomas MilicExterner Link vom Zentrum für Demokratie Aarau (ZDA)Externer Link. Er nennt einen weiteren Grund, warum Auslandschweizer seltener wählen als Inlandschweizer: Im Ausland fehlen die Wahlkampagnen, welche in der Schweiz die Wahlbeteiligung enorm steigern können.

“Ein Auslandschweizer muss selber aktiv werden und sich beispielsweise bei swissinfo.ch informieren, während Inlandschweizer automatisch an Wahlplakaten vorbeigehen”, sagt Milic. “In der Schweiz schwankt die Stimmbeteiligung stark, während diese bei Auslandschweizern auffallend stabil ist.” Auslandschweizer sind insofern die verlässlicheren Urnengänger – jene die mitmachen, tun es immer.

Laut Milic spielt ebenfalls eine Rolle, dass Auslandschweizer in der Regel weniger mit dem sozialen Umfeld über Schweizer Politik debattieren, weil dieses nicht-schweizerisch sei. So würden sie weniger animiert, wählen zu gehen.

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