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Wenn die Aktie auf der Kuhweide steht

Schottische Hochlandrinder hoch über dem Lago Maggiore im Tessin. (Foto: Ulrich Pfaendler, Schaffhausen) Ulrich Pfaendler

Der Schweizer Landwirt Guido Leutenegger hält im Tessin mehr als 500 schottische Hochlandrinder. Wer in seinen Betrieb investieren will, kauft Kuhaktien namens Lotti. Die Ausschüttung der Dividende ist aussergewöhnlich: Die Aktionäre erhalten Fleisch.

Die wild-zotteligen und rotbraunen Rindviecher mit ihren langen Hörnern sehen einfach sympathisch aus. Und besonders süss sind die kleinen Kälber. Auch Guido Leutenegger (53) hat sich in die schottischen Hochlandrinder verliebt. Das war Mitte der 1990er-Jahre. Mit zwei Kühen und einem Stier fing es an.

Inzwischen hält Guido Leuteneger 500 Hochlandrinder. “Und 20 zusätzliche Tiere kommen jetzt direkt aus Schottland – zur Blutauffrischung”, sagt Leutenegger, der mit seinen Rindern im Tessin acht Alpen bestösst, vom Centovalli über Gesero bei Bellinzona bis ins Val Colla. In der Südschweiz hat man sich an den Anblick der schottischen Hochlandrinder gewohnt, zumal sie  auch im Winter draussen stehen – in tiefer gelegenen Gebieten und im Talgrund.   

Der aus Kreuzlingen stammende Leutenegger hatte die Idee, mit den pflegeleichten Tieren verlassene oder nicht mehr bestossene Alpen vor der Vergandung  zu retten. Er schrieb Bürgergemeinden im Tessin an, um die Alpen zu pachten. Die Antworten waren durchwegs positiv. 

In Coglio im Maggiatal errichtete der ehemalige Primarlehrer und Thurgauer Lokalpolitiker seine “Betriebszentrale” und den Stall Rondine, den er eigentlich nur für Notfälle wie Krankheiten braucht, weil die Tiere immer auf der Weide sind.

Die Pick-Up-Trucks mit Kennzeichen TG zeigen, dass er zwischen seinem Heimatkanton und der Wahlheimat hin und her pendelt. Im Thurgau hat er noch einen Betrieb von 25 Hektaren gepachtet. Doch das Maggiatal ist die neue Heimat des dreifachen Familienvaters.

Gefragtes Kuhinvestment

Aussergewöhnlich an Leuteneggers Betrieb “Natur Konkret”: Die Hälfe der Kühe, nämlich 250, gehören privaten Investoren. Die Idee zur “Kuhaktie” hatte der innovative Landwirt vor vier Jahren, als er einen befreundeten Banker um einen Kredit bat. Als dieser Sicherheiten wollte, bot er seine Kühe an. Der Banker fand das nicht ausreichend.

Doch  was der Bank nicht gefiel, konnte  Private faszinieren. Leutenegger erfand die Kuhaktie. Mit 2500 Franken ist man dabei und eine Urkunde bescheinigt den Besitz auf 10 Jahre. “Auf der Weide steht eine Aktie namens Lotti”, scherzt Leutenegger.

Die Dividende wird in Natura ausbezahlt: Fleisch, Wurst und Käse im Wert von 350 Franken pro Jahr, das per Post zugestellt wird. In 10 Jahren macht dies immerhin 3500 Franken beziehungsweise einen Gewinn von 1000 Franken.  Das Produkt ist ökologisch, denn die Rinder ernähren sich  zu 100 Prozent aus Wasser, Gras und Heu.

Leutenegger wirbt denn auch mit dem Slogan “Ökofleisch aus der Südschweiz”. Geschlachtet werden im Übrigen nur männliche Tiere. Und dies bei ausgesuchten Metzgereien in Graubünden. Dort wird das Fleisch vakuumverpackt und per Post verschickt. 

Anfänglich inserierte er in der Alternativpresse und bei Naturverbänden. Doch das Echo war gering. “Zu viele Vegetarier”, lacht Leutenegger. Dann ging er in die Wirtschaftsteile der Zeitungen und die Nachfrage explodierte. Während der Finanzkrise pries er seine Kühe als nachhaltige Investitionen an.

Zu Besuch bei der Aktie

“Ich war selbst erstaunt über den Erfolg der Aktion – gerade bei Leuten aus der Finanzbranche”, erzählt Leutenegger. Doch offenbar verleiht die Urkunde über ein schottisches Hochlandrind eine Faszination, die eine  gewöhnliche Finanzmarkt-Aktie nicht besitzt.  

Denn die Aktionäre sind auch eingeladen, ihren Besitz zu besuchen und zu sehen.  Und davon machen viele Teilhaber Gebrauch. Insbesondere am Wochenende kommen diese  ins Tessin, um ihre Aktie zu besichtigen – fast ausschliesslich Deutschschweizer.

Als wir an einem Freitag mit Leutenegger in seiner “Betriebszentrale” in Coglio sitzen, läutet denn auch ununterbrochen das Telefon. “Die Leute wollen wissen, wo ihre Kuh stationiert ist”, erzählt der Kreuzlinger Unternehmer.  

Winterhaltung umstritten

Im Sommer stehen viele Alpweiden zur Verfügung.  Doch das Hauptproblem für den Betrieb besteht darin, genügend Land in tiefer gelegenen Zonen für die Überwinterung der Tiere zu finden. Denn die schottischen Hochlandrinder bleiben das ganze Jahr draussen.

Passanten und Wanderer haben sich an dieser Winterhaltung im Freien  immer wieder gestossen. Sogar der Kantonsveterinär wurde wegen angeblicher Tierquälerei eingeschaltet.

Eine Feldstudie des Departements für Nutztiere der Universität Zürich erbrachte aber mittlerweile den Nachweis, dass sich die Hochlandrinder durchaus wohl fühlen, wenn sie den ganzen Winter über draussen sind. Als Indikatoren gelten der Zustand der Klauen und die tägliche Zeit fürs Wiederkauen.

Preis für Innovation

Guido Leutenegger ist über den Ausgang dieser Studie verständlicherweise glücklich. Doch es reicht ihm noch nicht. Er will auch wissenschaftlich nachgewiesen haben, dass das von ihm produzierte, fettarme Fleisch qualitativ einem hohen Standard entspricht.. “Subjektiv sind wir überzeugt, doch wir wollen einen offiziellen Beleg”. Daher wurde die Forschungsanstalt Agroscope mit einer Analyse beauftragt.   

Bei den Verbrauchern kommt das Fleisch jedenfalls gut an, auch wenn es mit einem Kilo-Preis von durchschnittlich 35 Franken deutlich teurer ist als herkömmliches Rindfleisch. 50 Prozent der Erzeugnisse gehen im Versand an die Aktionäre aus dem Kuhinvestment, die andern 50 Prozent werden an Einzelkunden  verkauft, darunter auch ein Luxushotel in Ascona.

Das gesamte Betriebskonzept von “Natur Konkret”, ein Unternehmen, das mittlerweile im Sommer 14 Personen beschäftigt, kommt in der Öffentlichkeit an. Im Jahr 2010 erhielt Guido Leutenegger für sein Projekt “Eine Aktie namens Lotti” jedenfalls den Leserpreis der Zeitschriften “Schweizer Bauer” und “Terre&Nature”  im Rahmen des “Agropreises 2010”.

Das Schottische Hochlandrind, Highland Cattle oder Kyloe genannt, ist eine Rasse des Hausrindes. Sie war die älteste registrierte Viehrasse, die ersten Tiere wurden 1884 registriert.

Sie stammt aus dem Nordwesten Schottlands und von den Hebriden, wo sie seit Jahrhunderten durch natürliche Selektion die ihr zugeschriebenen Eigenschaften entwickelt hat.

Das kleinwüchsige und relativ leichte Hochlandrind gilt als gutmütig, robust und langlebig,

Es eignet sich für die ganzjährige Freilandhaltung auch auf für schwere Rinder ungeeigneten Böden, kalbt leicht und viel und ohne menschliche Hilfe. Es liefert mittelrahmige Milch und cholesterinarmes Fleisch.

In der ganzen Schweiz gibt es rund 250 Tierhalter von  Schottischen Hochlandrindern.

Die Zahl der Tiere dürfte sich auf 8000 belaufen. Seit den frühen 1990er-Jahren werden sie immer beliebter. Gehalten werden sie vor allem in den Kantonen Tessin, Zürich und Graubünden.

Die Tierhalter sind in der “Highland Cattle Society” organisiert, der schweizerischen Vereinigung der Züchter und Halter von Hochlandrindern, die 1995 in Bassin VD gegründet wurde.

Ziel des Vereins ist es, die Rasse in Reinzucht zu erhalten und die Zuchtarbeit zu unterstützen.

Sie organisiert Veranstaltungen zur Absatzförderung, Erfahrungsaustausch und Weiterbildung. Präsident der Highland Cattle Society ist Guido Leutenegger.

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