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Wenn die Bühne bis an den Horizont reicht

George (Markus Maria Enggist, links) und Lennie (Fredi Stettler) sind einander Familie. swissinfo.ch

Nach dem grossen Erfolg mit "Dällebach Kari" kommt dieses Jahr John Steinbecks "Von Menschen und Mäusen" aus dem Amerika der 1930er Jahre als Dialektstück auf die Freilichtbühne des Gurtens.

Die Bühne beim Aussichtsturm hoch über der Stadt Bern ist eine wilde Wiese mit kahlen Stellen und grossen Steinquadern. Eine gelbe Baracke steht auf der rechten Seite, links dichtes Gebüsch und im Hintergrund hohe Bäume im Gegenlicht des Sonnenuntergangs.

Vor den Bäumen verspricht ein verwittertes Plakat: “There’s a Bright Side SOMEWHERE” (“Irgendwo scheint die Sonne”). Einen Platz an der Sonne oder die Verwirklichung des amerikanischen Traums von einem eigenen Stück Land suchen auch die Hauptfiguren, die Wanderarbeiter Lennie und George.

Schon bevor die beiden traurigen Helden auftreten, taucht die langsam untergehende Sonne die Szenerie in eine Melancholie, die sich durchs ganze Stück zieht. “Soledad”, heisst der Hof, auf dem George und Lennie Arbeit suchen, “Einsamkeit”.

Das Unheil der starken Hände

Auf dem Hof sind alle einsam, die Knechte, der Gutsbesitzer, sein Sohn und dessen Frau. Nur Lennie und George sind gemeinsam einsam. “Lennie ist meine Familie und ich bin seine”, erklärt George ihre Schicksalsgemeinschaft. Seine Aufgabe ist es, den bärenstarken und geistig zurückgebliebenen Lennie vor seiner eigenen Kraft zu schützen.

Lennie will alles streicheln, was weich und zart ist, doch unter seinen tapsigen Händen kommt mal eine Maus zu Tode, mal ein junger Hund. Als sich Jenny, die Frau des Gutsbesitzersohnes, zutraulich zu ihm setzt, nimmt das Unheil seinen Lauf.

Stille Dramatik

Die Berner Regisseurin Livia Anne Richard hat das Stück “Of Mice and Men” des amerikanischen Literaturnobelpreisträgers John Steinbeck aus dem Jahr 1937 ins Berndeutsche übertragen und auf die luftige Freilichtbühne des Gurtens gestellt.

2006 und 2007 hatte Richard auf dem Gurten grossen Erfolg mit ihrer Inszenierung von “Dällebach Kari” über das Leben des Berner Stadtoriginals. Auch der Stoff von Steinbeck präsentiert Verlierer, die in dieser Welt viel Sehnsucht, aber keine Chance haben.

Die Schauspieler geben ihr Bestes. Und das ist bei Markus Maria Enggist als George und Fredi Stettler als Lennie viel.

Wenn letzterer auf der Wiese sitzt und treuherzig zu seinem Freund aufblickt, oder wenn er verloren mit hochgezogenen Schultern dasteht, verzweifelt in die Ferne schaut und seine Finger ineinander verkrampft, kann man sich der stillen Dramatik des Geschehens nicht entziehen.

Der Gitarrist Hank Shizzoe untermalt die Ausweglosigkeit der Geschichte mit einem herben Countryblues.

Die Jenny dagegen wird im ersten Teil des Stücks etwas eindimensional als frustrierte Schlampe gezeichnet, die jedem Mann nachstellt. Erst gegen Schluss gewinnt sie Tiefe und Kontur.

Die Wirkung der Natur

Freilichttheater ist, wenn das Bühnenbild bis an den Horizont reicht und Geräusche sowie das wechselnde Licht der Abenddämmerung mitspielen. Das gelingt auf der Spielwiese des Gurtens gerade deshalb, weil keine überflüssigen Kulissen die Wirkung der Natur beeinträchtigen.

So ist es schliesslich tiefe Nacht, als das Stück zu seinem bitteren Ende findet. Wenn die Zuschauer dann fröstelnd aufstehen und langsam zur Station der Gurtenbahn gehen, die sie wieder zurück in die Stadt bringt, klingt etwas nach, das mit der Stille, dem Mond und der Sehnsucht nach ein wenig Glück zu tun hat.

swissinfo, Susanne Schanda

Seit 2002 arbeitet die Regisseurin Livia Anne Richard mit einem festen Laien-Ensemble für das Theater Gurten.

Im ersten Jahr inszenierte sie Friedrich Dürrenmatts Stück “Ein Engel kommt nach Babylon”.

Gleich zwei Jahre hintereinander, 2006 und 2007, spielte die Gruppe mit grossem Erfolg “Dällebach Kari”, die traurige Geschichte um das Berner Stadtoriginal mit der Hasenscharte.

Noch bis Ende August 2008 ist auf dem Gurten eine Berndeutsche Dialektfassung des Stücks “Von Menschen und Mäusen” des Nobelpreisträgers John Steinbeck aus dem Amerika der 1930er Jahre zu sehen.

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