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Wenn Zeit messen zur Kunst wird

Jean-Pierre Mauerhofer swissinfo.ch

Die Schweizer Uhrenindustrie strotzt vor Gesundheit: In einer kleinen geografischen Region existieren grosse Multis und kleine Ateliers erfolgreich nebeneinander.

Die erste “Journée du patrimoine horloger” will das technologische, architektonische und kulturelle Kapital von La Chaux-de-Fonds und Le Locle aufzeigen. Die Städte kandidieren für das Unesco-Weltkulturerbe.

Jean-Pierre Mauerhofer

Per gli oggetti di alta classe, la lavorazione a mano effettuata da uno specialista costituisce un valore aggiunto

Das Atelier von Jean-Pierre Mauerhofer ist klein: Neben ihm sind im selben Raum lediglich drei Mitarbeiterinnen, während ihnen auf der Türschwelle ein Hund interessiert bei der Arbeit zuschaut.

Gearbeitet wird in absoluter Ruhe und mit höchster Konzentration. Mauerhofer ist beschäftigt mit dem Anbringen von Gravierungen und Fassungen für wertvolle Objekte – natürlich Uhren. Eine Geduldsarbeit, die zum guten Teil mit traditionellen Werkzeugen wie Pinzetten und Spezialskalpellen ausgeführt wird.

Der Handwerker zeigt uns, was er gerade macht: Verzierungen und Schriften – darunter das berühmte “swiss made” – auf eine Quarzuhr eingravieren.

Verschiedene Erfolgsgründe

“Der Erfolg der Schweizer Uhrenindustrie basiert auf verschiedenen Faktoren”, sagt Jean-Pierre Mauerhofer vom Atelier AGS in La Chaux-de-Fonds gegenüber swissinfo.

“Einerseits ist der Schweizer Uhrenmarkt seit jeher ein begehrtes Element; weiter ist es uns gelungen, Berufs- und Spezialwissen zu erhalten und weiterzugeben. Ein eigentliches Kapital, das zur Zeit in der Produktion von Luxusuhren zu sehen ist.”

Am Samstag haben viele Leute das Privileg, das Atelier von Jean-Pierre Mauerhofer zu besuchen: Sein Betrieb nimmt zusammen mit 15 anderen an der ersten “Journée du patrimoine horloger” teil. Eine Veranstaltung, die gemeinsam von den beiden Städten Le Locle und La Chaux-de-Fonds im Kanton Neuenburg, der Wiege der Schweizer Uhrenindustrie, organisiert wird.

Seit 1853 präsent

“Wenn solche Initiativen ergriffen werden, sind wir immer dabei. Damit wollen wir unsere Verbundenheit zu dieser Region unterstreichen, in der wir seit 1853 präsent sind”, sagt Maria Ahnebrink, Sprecherin vom Uhrenhersteller Tissot, gegenüber swissinfo.

“Auch wenn wir uns in den vergangenen Jahren mit über 16’000 Verkaufsstellen in der ganzen Welt zu einem multinationalen Betrieb entwickelt haben, sind unsere Basis und unsere Wurzeln immer hier in Le Locle geblieben.”

Gegenwärtiges und zukünftiges Kapital

Mit der ersten “Journée du patrimoine horloger” soll die Kandidatur von Le Locle und La Chaux-de-Fonds für das Unesco-Weltkulturerbe unterstützt werden. Insbesondere will man damit die von der Uhrenindustrie geschaffene architektonische und technologische Reichhaltigkeit zeigen.

“Wir haben festgestellt, dass dieser Reichtum noch relativ unbekannt ist, sogar bei der lokalen Bevölkerung”, sagt Jean-Daniel Jeanneret. Er ist verantwortlich für das Projekt der Unesco-Kandidatur.

“Wir wollen nicht nur aufzeigen, was schon ist, sondern darüber hinaus hervorheben, wie das Know-how und die vorhandenen Strukturen in der Region Vergangenheit und Aktualität bezeugen. Dies erlaubt es uns, mit Vertrauen in die Zukunft zu blicken.”

Krise überwunden

Zudem sei es der Schweizer Uhrenindustrie in den letzten Jahren gelungen, ihre eigenen Probleme zu lösen, so Jeanneret weiter. Sie befand sich in der 80-er Jahren in einer Krise, dies wegen des Erfolges der billigen Quarzuhren aus Asien, die den Markt überschwemmten.

Der Wiederaufschwung erfolgte in einer ersten Phase dank der Massenproduktion, namentlich von Swatch-Uhren, und später dank der Wiederaufnahme der Produktion von Luxusuhren. Vor allem dieser zweite Faktor erlaubt es den kleinen Ateliers, wie jenem von Jean-Pierre Mauerhofer, mit den in derselben Region ansässigen Grossbetrieben zusammenzuarbeiten.

Handarbeit als Mehrwert

“Ein guter Teil der Uhrenherstellung erfolgt heute in der Fabrik, mit Hilfe von Maschinen. Aber auch die kleinen Handwerksateliers mischen sich in diesen Produktionsprozess ein, insbesondere bei Luxusuhren”, erklärt Mauerhofer.

Konkret bedeute die teilweise von Hand gemachte Arbeit eines Spezialisten bei Produkten höchster Qualität einen zusätzlichen Wert. Dies sei beim Marketing für das Produkt ein wichtiger Faktor.

Pünktchen auf dem i

Die Zeiten haben sich also geändert, aber nicht unbedingt im negativen Sinn. “Gegenwärtig ist es unvorstellbar, dass ein Uhrmacher allein eine Uhr herstellt. Wir können mit den grossen Uhrenfabriken nicht konkurrieren.”

Dennoch habe man eine Form der Zusammenarbeit gefunden, von der beide Seiten profitierten, so Mauerhofer. “Wir kümmern uns hauptsächlich um die Verzierung der Uhr – wir stellen das Punktchen auf dem i her, das sie zu einem einzigartigen Objekt macht.”

swissinfo, Andrea Clementi, La Chaux-de-Fonds
(Übertragung aus dem Italienischen: Jean-Michel Berthoud)

In den ersten drei Quartalen 2007 betrugen die Exporte der Schweizer Uhrenindustrie über 11 Mrd. Fr. (15,2% mehr als 2006).

Gegenüber der historischen Krise 1987 beschäftigt die Schweizer Uhrenindustrie heute 15’000 Arbeitnehmende mehr. Mitte 2007 gab es rund 45’000 Beschäftigte.

In der Schweiz existieren etwa 600 Betriebe in der Uhrenindustrie.

Der Sektor der Uhrenindustrie befindet sich vor allem in der Jura-Region, die sich von Genf bis Basel erstreckt. Dort befinden sich über 90% der Betriebe.

Der Kanton Neuenburg beschäftigt mit rund 30% der Unternehmen am meisten Arbeitnehmende im Sektor der Uhrenindustrie.

“La Chaux-de-Fonds/Le Locle, Uhrmacher-Urbanismus” – so heisst die Kandidatur für das Unesco-Weltkulturerbe. Am Samstag findet in den beiden Gemeinden die erste “Journée du patrimoine horloger” statt. Der Anlass, der vom Bundesamt für Kultur unterstützt wird, will die technologische und urbane Entwicklung der Region aufzeigen.

Neben den zwei lokalen Uhrenmuseen und anderen Kulturstätten beteiligen sich auch ein Dutzend Uhrenfabriken, die ihre Ateliers und Privatsammlungen der Öffentlichkeit zugänglich machen. Dazu gibt es unter anderem Führungen und Filme.

Die beiden Städte reichen ihre gemeinsame Kandidatur für das Unesco-Weltkulturerbe Ende dieses Jahres ein. Die entsprechende Unesco-Kommission wird darüber anlässlich ihrer Sommersession im Jahr 2009 entscheiden.

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