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Urteil im Fall Weil: positiv aber kein Persilschein

Raoul Weil mit seiner Frau. Kehrt der ehemalige UBS-Topmanager als Ehrenmann in die Schweiz zurück? Keystone

Verurteilt werden dürfe nur, wessen Schuld einwandfrei nachgewiesen werde. Im Prozess gegen den ehemaligen UBS-Banker Raoul Weil hätten nicht genügend Beweise vorgelegen. Die Schweizer Medien sind sich einig, dass der Freispruch den Rechtsstaat ehrt. Ob die Banken davon profitieren, beurteilen sie unterschiedlich.

Es war eine Überraschung: Nach nur einer Stunde Beratung haben die amerikanischen Geschworenen des Gerichts in Florida einstimmig entschieden, dass nicht genügend Beweise vorliegen, um den früheren UBS-Banker Raoul Weil wegen “Verschwörung gegen die USA” schuldig zu sprechen. Dabei ging es um die vorgeworfene Beihilfe zur Steuerhinterziehung in 17’000 Fällen. Der Gerichtsprozess in Florida habe ein gerechtes Gesicht der US-Justiz gezeigt, schreibt die Neue Zürcher Zeitung (NZZ). “Der fair agierende Richter wies mehrmals darauf hin, dass Raoul Weil nur verurteilt werden könne, wenn seine Schuld zweifelsfrei bewiesen werde. Das konnte die Anklage nicht.”

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Für den Finanzplatz Schweiz sei positiv, dass wichtige Bereiche ausführlich erörtert und geklärt worden seien. “Zum einen wurde bestätigt, dass die USA im Jahr 2001 selber ausdrücklich Ja dazu gesagt hatten, dass Schweizer Banken US-Kunden betreuen durften, ohne diese automatisch an den US-Fiskus melden zu müssen. Zum Zweiten konnte gezeigt werden, dass das Schweizer Bankgeheimnis viel mehr ist als ein Gesetz, um ausländische Steuersünder vor dem heimischen Fiskus zu schützen”, schreibt die NZZ und erinnert an das historische Instrument zur Wahrung der Privatsphäre auch bei Holocaust-Geldern. “Diese Argumente könnten in noch anstehenden Verhandlungen mit weiteren Steuerbehörden eine bedeutende Rolle spielen. Eine Signalwirkung könnte der Prozess auch auf jene Banken haben, die noch mit den US-Behörden verhandeln.”

Ohne klaren Beweis dafür, dass eine Bank oder ein Banker US-Kunden absichtlich bei der Steuerhinterziehung geholfen habe, bestünden vor einem US-Gericht gute Chancen auf einen Freispruch. Mit diesem Wissen im Hinterkopf könne eine Bank selbstbewusster verhandeln, was auch Einfluss haben könnte auf den Entscheid, ob und wie eine Bank am US-Programm zur Bereinigung der Altlasten teilnehmen will.

Ein Nationalheld?

Erleichtert zeigen sich auch mehrere Zeitungen in der französischsprachigen Schweiz. Das Urteil sei wichtig und ein Sieg für alle Bankiers, deren Namen mit Dossiers skrupelloser Steuersünder in Verbindung gebracht werden könnten, schreibt Le Temps. Es zeige, dass die Justiz unabhängig und ohne Vorurteile funktioniere. Für die Wirtschaftszeitung Agefi ist Raoul Weil “eine Art Nationalheld in der Schweiz”. Er habe den Mut gehabt, auf “unschuldig” zu plädieren, und das Risiko nicht gescheut, fünf Jahre ins Gefängnis zu kommen. Der Fall Raoul Weil sei vermutlich kein Wendepunkt in der mühseligen und endlosen Bereinigung der Vergangenheit der Schweizer Banken mit ihren ausländischen Kunden, aber er könnte einen Teil des verlorenen Vertrauens zurückgeben, schreibt Agefi.

DoJ lässt nicht locker

Obwohl der Fall für die Staatsanwaltschaft ein klarer Rückschlag war, werde er das amerikanische Justizdepartement (DoJ) kaum davon abhalten, es erneut zu versuchen, sagt Rechtsanwalt Nathan J. Hochman, der früher beim DoJ tätig war. “Das DoJ gewinnt 90% seiner Fälle. Aber es ist immer ein beschwerlicher Weg, Topmanager anzuklagen, die ihrerseits Untergebene oder Kunden beschuldigen können”, sagt er gegenüber swissinfo.ch.

“Das DoJ lernt seine Lektion sehr wohl und wird den gleichen Fehler nicht nochmals machen. Es wird dafür sorgen, aus einer stärkeren Position heraus zu handeln, wenn es sich das nächste Mal auf einen Gerichtsfall einlässt.”

Das DoJ wolle nicht nochmals einen Fall verlieren. “Vermutlich wird es sich künftig auf weniger, aber stärkere Argumente abstützen.”   

Auch für die Tribune de Genève lässt das Urteil dem Dutzend Schweizer Banken eine Bresche, die mit der amerikanischen Justiz noch die Klinge kreuzen und zu jedem Preis ein Gerichtsverfahren verhindern möchten.

“Eine Prestigeangelegenheit”

Dass die Schweizer Banken, die derzeit mit den US-Behörden über eine Bereinigung des Steuerstreits verhandelten, stark davon profitieren könnten, damit rechnen nicht alle Zeitungskommentatoren. Um ihre Zweifel zu begründen, blickt die Aargauer Zeitung (AZ) ein paar Jahre zurück: “Als die US-Justiz vor sechs Jahren Raoul Weil, die damalige Nummer drei der UBS, wegen Beihilfe zum Steuerbetrug anklagte, seien sich die Kommentatoren einig gewesen: “Die USA erhöhen die Gangart gegenüber der grössten Schweizer Bank gewaltig. Nur drei Monate und einige Drohungen später knickte die Schweiz im Steuerstreit ein erstes Mal ein. Die UBS erhielt von der Schweizer Finanzmarktaufsicht (Finma) die Genehmigung, Daten von US-Kunden an die US-Justiz zu liefern. Gleichzeitig schloss die UBS mit den US-Behörden einen Vergleich ab und zahlte eine Busse von 780 Millionen Dollar.”

Beim Fall Weil, so die AZ, handle es sich also nicht um irgendeine Zivilklage, sondern um eine Prestigeangelegenheit des amerikanischen Justizdepartements. Entsprechend gross sei die Enttäuschung dort gewesen. Gleichzeitig habe eine Sprecherin aber betont, dass die Bemühungen, Steuerhinterzieher und ihre Helfer zur Verantwortung zu ziehen, weitergehen würden.

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“Juristisch rehabilitiert – mehr nicht”, titelt der Kommentator des Zürcher Tages-Anzeigers und des Berner Bund.  Der Freispruch sei zu begrüssen. Er sei nicht nur gut für Raoul Weil, sondern auch für den amerikanischen Rechtsstaat. Ob der ehemalige UBS-Banker als Ehrenmann in die Schweiz zurückkehren könne, sei eine andere Frage. Was er in der Sache zu welchem Zeitpunkt wirklich gewusst habe, bleibe sein Geheimnis. Ob er als verantwortliches Mitglied der Konzernleitung genügend getan habe, um die Direktive der Bank – das Einhalten sämtlicher Gesetze – umzusetzen, bleibe eine offene Frage, schreiben die beiden Zeitungen.

“Unbestritten ist, dass Teile der Bank Beihilfe zum Steuerbetrug leisteten. Die Organisation liess dies zu – weil sie nicht griffig genug war oder weil die Bankführung bewusst oder unbewusst wegschaute. Die Frage nach der dies­­bezüglichen Verantwortung lässt das Urteil im Fall Weil unbeantwortet.”   

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