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Ist Russland ein Gral oder ein Grab für KMU?

Schweizer KMU hoffen, dass Holcims Erfolg in Russland auch ihnen hilft, die Märkte zu öffnen. Keystone

Während sich die Schweizer Grossunternehmen auf dem grossen russischen Markt zurechtfinden, tun sich kleine und mittlere Unternehmen (KMU) weiterhin schwer mit der Bürokratie und der Korruption.

Die schweizerischen KMU müssen in Russland auf der Hut sein und geschickt vorgehen, wenn sie ihre Investitionen zum Rentieren bringen möchten. Noch gibt es keine Messmethode, um herauszufinden, wie weit die Wirtschaftsreformen in diesem grossen Land wirklich fortschreiten und wie schnell das der Fall sein wird.

In Russland sind rund 150 Schweizer Unternehmen physisch niedergelassen. Sie beschäftigen laut den offiziellen (Schweizer) Statistiken rund 75’000 Mitarbeitende. Russische Ziffern jedoch kommen auf 600 Unternehmen, schliessen dabei aber all jene mit ein, die mit Russland Handel betreiben, auch ohne eigene Niederlassung.

Wie auch immer: Diese Zahlen deuten darauf hin, dass in diesem Markt zahlreiche Schweizer KMU bereits präsent sind – unabhängig von den Schwierigkeiten. Eine davon, Faes, konstruiert Maschinen, die im Schnellverfahren zahlreiche Typen von Folien bearbeiten, laminieren und zerschneiden. Speziell dünne Folien finden in vielen Sektoren Anwendungen, zum Beispiel beim Abpacken von Nahrungsmitteln oder bei der Etikettierung, zum Beispiel von Natels.

Lokale Gegebenheiten

“Der russische Markt wird durch das wachsende Angebot frischer Nahrungsmittel in ländlichen Gegenden angetrieben”, sagt Matthias Weibel, Finanzchef von Faes, gegenüber swissinfo.ch. “So wächst auch die Nachfrage nach Verpackung durch Folien, um diese Nahrungsmittel frisch zu halten.”

Faes verkaufte ihre erste Präzisions-Schneidemaschine vor 20 Jahren nach Russland. Laut Weibel hat das Unternehmen keine Probleme wegen der als endemisch erachteten Korruption gehabt:

“Wir stützen uns in Russland auf einen sehr guten Verteiler, doch werden viele Maschinen von uns auch direkt an den Kunden geliefert.” Faes transportiere die Maschine bis zur Grenze, von wo der Kunde die Lieferung dann übernimmt. Diese Kunden-Unternehmen wüssten, welche Grenzübergänge weniger Probleme machten.

KMU werden übersehen

Die russischen Behörden konzentrierten sich bei ihrem Support auf die grossen Energieanbieter. Deshalb sei das Leben für ein einheimisches mittelständisches Unternehmen nicht immer einfach. Der Vorsitzende der russischen KMU-Interessenvereinigung, Boris Titov, beklagte sich diese Woche gegenüber Schweizer Geschäftsleuten in Moskau, dass die Manufaktur- und Maschinensektoren in Russland oft übersehen würden.

“Zahlreiche ausländische Firmen, die nach Russland kommen, empfinden Korruption und Bürokratie als ein grosses Problem”, sagt er. “Das Grösste jedoch besteht darin, dass die Produktion in Russland selbst nicht effektiv ist. Die Kosten sind hoch, die Märkte schwach und die Steuersituation ziemlich schwierig.”

Titov konkretisiert dies am Beispiel der Sozialkostenbelastung der Löhne für die Belegschaften: Letztes Jahr stieg dieser Anteil sprunghaft von 26 auf 34%. Obschon dieser Prozentsatz jetzt nach Einsprachen der Unternehmen wieder auf 30% fallen dürfte, so Titov, sei es unter diesen Umständen nicht möglich, die Steuerbelastung einigermassen einzuschätzen.

Ausländische KMU neutralisieren russisches Manko

Frank Schauff, Direktor der “Association of European Businesses in Russia”, sagt gegenüber swissinfo.ch, dass im industriellen High Tech-Bereich die ausländischen KMU das Fehlen der Inländischen langsam ausfüllten. “Neun von zehn Unternehmen, die den russischen Markt betraten, hatten Erfolg. Aber nur, weil sie ihre Hausaufgaben gemacht und für die unvermeidbaren Verspätungen Reserven miteinkalkuliert hatten.”

“KMU müssen viel Geduld haben”, so Schauff. “Ein Unternehmen, das auf einem erstbebauten Grundstück konstruiert hat, muss bis zu zwei Jahren warten, bis die Gas-, Strom- und Wasseranschlüsse endlich stehen, unabhängig von allen gemachten Versprechen. Diese Verspätungen können eine Investition abwürgen, im Fall von kleineren Firmen sogar deren Existenz in Frage stellen.”

China im Vorteil

Bruno Zuppiger, Präsident des Schweizerischen Gewerbeverbands, sagt gegenüber swissinfo.ch, dass Russland wohl ein grosses Potenzial für viele Mittelständische bereit hält, sei es im Bereich der alternativen Energien, der Umwelt, im Bau oder im Maschinenbau. Er verweist auf ein schweizerisch gemanagtes grösseres Moskauer Bauprojekt, in dem Villen mit verschiedenen “swiss made” Intérieur-Produkten ausgestattet werden, vom Parkettboden bis zum Badezimmerbereich.

“Wohin immer ich auch reise, finde ich Beispiele von Infrastrukturen, die erneuert werden müssen, wobei man vom Schweizer Fachwissen profitieren könnte”, so Zuppiger.

Trotz allem Potenzial: China erhält im Vergleich zu Russland bessere Noten im Bereich des politischen und behördlichen Supports für ausländische Investitionen. ” Zur Zeit finden sich in China bessere Möglichkeiten, das Geschäftsklima ist offener gegenüber Unternehmen, die mit neuen Ideen kommen”, so der SGV-Präsident.

“Die Behörden dort unterstützen solche Ideen und geben den Firmen die Möglichkeit, sie im chinesischen Markt auszuprobieren.”

Schweizer Politiker wie der Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann ermutigen deshalb Russland, seine Importbarrieren zu heben und ausländischen Unternehmen mehr Spielraum zuzugestehen:

“Als ehemaliger Unternehmer weiss ich, dass nichts passiert, solange der Firmenchef nicht von einem Engagement überzeugt ist”, wie er gegenüber swissinfo.ch sagt. “Wir wären deshalb sehr froh über einen Abbau der Bürokratie und eine Stärkung der Rechte am geistigen Eigentum, so wie es das vorgeschlagene Doppelbesteuerungsabkommen vorsieht.”

Etliche globale Indikatoren zeigen auf, wie stark Russland sein internationales Image als Investitions- und Geschäfts-Standort verbessern muss.

Russland ist vom 2010 Transparency International Korruptionsindex weit hinten auf Position 154 gesetzt worden, innerhalb einer Skala von insgesamt 178 Ländern,

Das 2011er Ranking der Weltbank platziert Russland auf Position 123 von 183 Ländern des Doing Business Survey, der zeigt, wie einfach (oder schwierig) es für Unternehmer ist, voranzukommen. 

Das Land kam vor allem in den Bereichen Steuern, grenzüberschreitendem Handel sowie dem Beginn und der Einstellung von Geschäften schlecht weg.  

Der globale Wettbewerbsindex des Weltwirtschaftsforums setzt Russland auf den 63. von insgesamt 139 Plätzen.  

In seinem Russland-Report von diesem Juni schreibt das WEF: “Im vergangenen Jahr sah Russland einen negativen Trend in seiner Wettbewerbs-Position.” 

“Russlands Produktivität stagnierte wegen einer Reihe von Fehlentwicklungen im wirtschaftlichen Umfeld.” 

Seit der Finanzkrise ist der Handel zwischen Russland und der Schweiz nach oben gegangen.

Die Exporte nach Russland wuchsen 2010 um 26% auf 2,6 Mrd. Franken.

Importiert wurden Güter und Dienstleistungen aus Russland für 1 Milliarde.

Die Schweizer Direktinvestitionen in Russland beliefen sich 2009 auf 6,2 Mrd. Fr.

Die Schweizer Unternehmen dort beschäftigten rund 75’000 Personen.

(Übertragung aus dem Englischen: Alexander Künzle)

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