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Wohnen in der chinesischen Immobilienblase

Die Heizung ist nicht mehr auf dem neusten Stand. Christian Binz

Kein Thema bewegt zur Zeit die Gemüter in Beijing stärker als die rasant steigenden Wohnungspreise. Die Situation im hiesigen Wohnungsmarkt darf man - ohne zu übertreiben - als skurril bezeichnen.

Meine Altbauwohnung im Campus der Forst-Universität ist allerdings ein richtiges Schnäppchen. Die Zimmer sind relativ gross, und die Monatsmiete für meine zwei chinesischen Mitbewohner und mich ist konkurrenzlos günstig.

Die Atmosphäre in unserem Etablissement ist im Grossen und Ganzen jedoch eher – nun ja – rustikal: Der Verputz an den Wänden bröckelt, unsere Eingangstüre klappert im monotonen Stakkato der sibirischen Winterbise, und die von der Lokalregierung zentral betriebene Heizung kommt nur mühsam gegen den Frost an, der unablässig durch alle Ritzen dringt.

Mein Mitbewohner hat mir kürzlich vorgerechnet, dass unsere Wohnung nichtsdestotrotz rund 500’000 Franken Wert sei und ihr Preis weiterhin um mindestens 20% pro Jahr steige. Ihre Besitzerin sei folglich – wie so viele andere Hauseigentümer in den grossen Städten Chinas – eine reiche Frau.

“Könntest du sofort nach Hause kommen?”

Eines Abends kurz nach meinem Einzug ruft mich meine Mitbewohnerin an und bittet mich, sofort bei unserer Wohnung vorbeizuschauen. Sie spricht extrem schnell, ihre weiteren Ausführungen kommen mir deshalb ausgesprochen Chinesisch vor.

Im Eingang unseres Wohnblocks erwartet mich die ältere Frau aus der Wohnung direkt unter mir. Die Dame ist sichtlich erregt und keift mich mit Kraftausdrücken an, die ich (zum Glück) vorher noch nie gehört habe. Sie schwingt einen Besen, mit dem sie Wasser aus ihrer Wohnung putzt. Als ich mich freundlich lächelnd an der Dame vorbeigekämpft habe, sehe ich, dass sich unser Treppenhaus in einen kleinen Wasserfall verwandelt hat. Und mit Erstaunen stelle ich fest, dass das Wasser aus unserer klappernden Türe zu kommen scheint.

In meiner Wohnung ist es ungewöhnlich warm, und der Boden ist mit mehreren Zentimetern Wasser gleichmässig bedeckt. Die Ursache für den Schlamassel: Ein Heizungsrohr in unserer Küche, das offenbar im Inneren der Decke komplett durchgerostet ist. Dampfendes Wasser sprudelt in einer perlenden Fontäne aus dem Leck und verteilt sich gleichmässig in der Küche.

Der Mann mit der grossen Zange

Zeit zum Überlegen bleibt nicht, denn meine Nachbarin steht plötzlich in meiner Küche und treibt mich mit ihrem Besen an, das Problem sofort zu beheben. Ich klettere also unbeholfen auf unsere Waschmaschine und versuche, das Leck in der Decke mit einem Badetuch zu stopfen. Der Versuch bleibt erfolglos, das Wasser sprudelt unablässig weiter.

Meine Mitbewohnerin versichert mir derweil am Telefon, dass sie einen Arbeiter bestellt habe, der sich um das Problem kümmern werde. So versuche ich nun halt, das Wasser aus der Decke in Behältern aufzufangen und gleichzeitig meine Nachbarin zu beruhigen. 

Andere Nachbarn haben von der Situation Wind bekommen und schauen für eine Besichtigung des Schadens vorbei. Die meisten gehen nach kurzer Zeit schulterzuckend ihres Weges. Die Situation scheint für sie abgesehen vom blonden Ausländer nicht weiter bemerkenswert zu sein.

Nach ungefähr einer halben Stunde erscheint ein Mann mit einer grossen, roten Zange. Mit einem weisen Lächeln verweist der ältere Mann im verstaubten dunkelblauen Anzug auf seine riesige Zange und erklärt mir, dass er der bestellte Arbeiter sei. 

Er wirft einen kurzen kennerischen Blick auf den Schaden und verschwindet wortlos so plötzlich, wie er zuvor aufgetaucht ist. Ich stehe in meiner Küche und verstehe die Welt nicht mehr. Neben mir plätschert das Wasser. Meine Nachbarin keift. Ich bin patschnass.

Putzen

Plötzlich versiegt der Wasserstrom wie von Geisterhand. Wenig später taucht der Mann mit der grossen Zange wieder auf. Triumphierend schwingt er sein Werkzeug und erklärt, er habe eine Lösung für mein Problem gefunden. Er habe die Wasserzufuhr für die Heizung unseres ganzen Wohnblocks zugedreht. Ich danke ihm von Herzen und gebe ihm meine Nachbarin mit auf den Heimweg.

Den Rest des Abends verbringe ich putzend. Als meine Wohnung wieder trocken ist (und sauber wie nie zuvor), klopft es an der Tür. Meine Nachbarin macht mich darauf aufmerksam, dass auch das Treppenhaus noch voller Wasser sei. Ich putze also zur Belustigung meiner anderen Nachbarn auch noch das Treppenhaus unseres Wohnblocks.

Wenn die Blase platzt

China sitzt auf einer riesigen Spekulationsblase in seinem Wohnungsmarkt. Das Ausmass der Blase ist so gross, dass die Wohnungskosten für die meisten Familien und jungen Menschen in Beijing und anderen Grossstädten inzwischen unerschwinglich geworden sind. Gleichzeitig dienen viele leere Wohnungen ausschliesslich der Spekulation und wechseln mehrmals pro Woche ihren Besitzer.

Einige Leute werden so unverschämt reich, während sich die grosse Mehrheit aber eher mit rostenden Heizungsrohren herumschlägt. Wenn die Blase dereinst platzt, wird China einen Mann mit einer sehr, sehr grossen roten Zange brauchen.

Immer häufiger reisen auch junge Leute für längere Zeit ins Ausland, sei das zum Studieren, Forschen, für ein Stage oder zum Arbeiten.

Zu ihnen gehört auch Christian Binz, der gegenwärtig in Beijing forscht. 

Bis im Sommer 2011 berichtet er für swissinfo.ch über seine Erfahrungen und Beobachtungen in Beijing.

Christian Binz ist 27 Jahre alt. Er hat an der Universität Bern Geographie mit den Nebenfächern Volkswirtschaft, Philosophie und Chinesisch studiert.

Für seine Masterarbeit untersuchte er das chinesische Innovationssystem für dezentrale Wasserrecycling-Technologie.

Aus dieser Arbeit entwickelte sich seine Doktorarbeit, ein Kooperationsprojekt zwischen der Eawag (Wasserforschungsinstitut an der ETH) und der Chinesischen Akademie der Wissenschaften.

Seit September 2010 lebt er in Peking und arbeitet für sein Projekt, das untersucht, ob China in seinem urbanen Wassermanagement zu nachhaltigeren Lösungen finden könnte.

Christian Binz war insgesamt schon fünfmal in China und hat weite Teile des Landes bereist.

Nebst Reisen ist sein grösstes Hobby die Musik, insbesondere seine Band Karsumpu, wo er Mundharmonika, Piano und diverse “Binztrumente” spielt (www.karsumpu.ch).

Nebenbei ist er begeisterter Filmer, Sportler und Hochseesegler.

Nebst seiner Muttersprache Deutsch spricht er Englisch, Italienisch, Französisch und Chinesisch.

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