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Zu viel Schnee weckt jeweils Erinnerungen an 1999

Der Dezember brachte den meisten Wintersportorten viel Schnee, manchen fast zu viel. Keystone

Vor jeder Skisaison bangen die Wintersportorte um den Schnee. Aber manchmal bekommen sie auch zu viel davon ab. Das ruft vielerorts jeweils Erinnerungen wach an den Lawinenwinter 1999, zum Beispiel in Elm oder Zermatt.

Wenn in kurzer Zeit grosse Mengen Schnee fallen, werden nicht nur die Verhältnisse auf Schienen und Strassen prekär, grosse Gefahr droht auch von möglichen Lawinen.

Abgelegene Dörfer in der Schweiz sind sich gewohnt, von der Umwelt abgeschnitten zu werden. Die meisten Probleme, die grosse Mengen Schnee mit sich bringen, lassen sich im Voraus erkennen und lösen, aber extreme Verhältnissen sind eine grosse Herausforderung.

Das Dorf Elm im Kanton Glarus war in diesem Winter bereits einmal eingeschneit worden – allerdings nur während eines Tages. Es liegt hinten im Sernftal, dort wo die Strasse endet.

Ein paar hundert Personen wohnen im Dorf und auf den Höfen in der Umgebung. Im Sommer zieht die Landschaft Wanderer an, und wenn Schnee fällt, reisen zahlreiche Wintersportfans her.

Haben Sie die Zahnbürste dabei?

Die meisten Bewohner arbeiten ausserhalb des Dorfes, und die älteren Kinder müssen in einem Nachbardorf zur Schule gehen. Wenn die lokale Gefahrenkommission die Lawinengefahr als zu gross beurteilt, geht auf der einzigen Strasse, die aus dem Dorf führt, die Barriere runter.

Die Leute sind sich daran gewöhnt, sagt Betriebsinspektor Daniel Bessler, zu dessen Arbeit auch die Schneeräumung im Dorf gehört. Es kommt jedes Jahr ein- bis zweimal vor.

Die Pendler können sich ab 5 Uhr morgens über eine Lawinen-Telefonlinie nach den aktuellen Verhältnissen erkundigen. Wenn mit starkem Schneefall zu rechnen ist, “kommt es vor, dass die Pendler das Dorf morgens noch verlassen können, wir ihnen aber empfehlen, die Zahnbürste mitzunehmen”, weil es ungewiss ist, ob sie abends heimkehren können.     

Es brauche ein bisschen Flexibilität, sagt Bessler, dann sei das wirklich kein Problem.

Schnee von gestern

Aber der extreme Winter von 1999 ist den meisten Einheimischen noch in Erinnerung. Damals war das Dorf während fast eines Monats von der Umwelt abgeschnitten.

“Das war grossartig”, erinnert sich Bessler, “wirklich aussergewöhnlich”. Die Pendler mieteten Zimmer an ihren Arbeitsorten.

Einige Familien mussten von ihren abgelegenen Höfen evakuiert und im Dorf untergebracht werden. Aber weil die Tiere gefüttert und getränkt werden mussten, blieben die Bauern auf ihren Höfen zurück. “Sie hatten Lawinenausrüstungen dabei für den Fall der Fälle. Aber wir hatten Glück, niemand wurde verschüttet”. Einen Teil der Milch konnten sie selber verarbeiten, aber Brot wurde ihnen mit Armeehelikoptern gebracht.

Die Armee flog auch ausländische Touristen aus, hauptsächlich Niederländer und Deutsche. Aber sie mussten bis Ostern warten, um ihre Autos zurückzuholen.    

Bargeldmangel

Winter 1999 vergisst man auch in der viel geschäftigeren Tourismusdestination Zermatt nicht, wie Tourismusdirektor Daniel Lunggen gegenüber swissinfo.ch bestätigt.

Das Dorf war drei Tage lang abgeschnitten, was aussergewöhnlich ist. Auf dem Landweg konnte man weder ein- noch ausreisen, es gab Stromausfälle und die Telefonleitungen waren unterbrochen.

Zermatt ist aber für solche Situation gut gerüstet: Es hat acht Arztpraxen, einen Notfalldienst und mit Air Zermatt sogar eine eigene Helikopter Gesellschaft, die Personen im Notfall aus- und dringend benötigte Güter einfliegen kann.

“Es mag komisch tönen, aber das Geld ging zuerst aus”, sagt Lunggen. “Wir brachten einen grossen Koffer Bargeld her und verteilten dieses auf vertrauensvolle Art. Wir nahmen einfach die Adresse der Leute auf. Aber jeder Rappen wurde später zurück bezahlt. In solchen Situationen kann man den Leuten vertrauen. Sie verhalten sich, als wären sie Teil einer grossen Familie”.

Der Bargeldmangel hatte sich ergeben, weil mit dem Zusammenbruch der Telefonleitungen auch die Geldautomaten zum Erliegen kamen. Die

Kreditkarten der Kunden konnten von ihren Banken nicht identifiziert werden.

Der Stromausfall hatte auch dazu geführt, dass die Leute ihre Mobiltelefone nicht mehr aufladen konnten. Deshalb übernahm das Tourismusbüro die Aufgabe, die Gäste über das Geschehen zu informieren. Jeden Morgen fand am Bahnhof eine Informationsveranstaltung statt. Broschüren wurden gedruckt und in den Strassen und Hotels verteilt. Manche Informationen wurden auch mit Megaphonen verbreitet.

Zum Glück liessen es die Verhältnisse zu, dass man auf einigen Pisten wieder Skifahren konnte. Die meisten Gäste waren guter Laune. “Die Leute behielten die Ereignisse in positiver Erinnerung”, sagt Lunggen. “Wer keinen Schadens- oder Unfall zu beklagen hatte, fand letztlich sogar Gefallen daran.”

Besser gerüstet

Trotz der positiven Aspekte rechnet Zermatt nicht damit, die gleiche Erfahrung nochmals zu machen. Alle möglichen Massnahmen wurden seit 1999 umgesetzt, auch im Umgang mit Lawinen.

An einigen Hängen wurde ein System installiert, das Lawinen frühzeitig durch Detonationen auslöst, so dass sie im gesicherten Bereich niedergehen, ohne Schaden anzurichten.

Die Gemeinde Zermatt ist für die Ausbildung der Bedienungspersonen zuständig, aber die Kosten der Installationen haben grösstenteils der Bund und Kanton übernommen.

Auch im Glarner Sernftal werden Lawinen durch Sprengung ausgelöst, sagt Nadja da Costa von den Sportbahnen Elm gegenüber swissinfo.ch.

“Die schnellste, aber auch teuerste Sprengung wird vom Helikopter aus ausgelöst”, sagt sie. “Die Kosten sind sehr hoch, aber es ist entscheidend. Sicherheit geht vor.”

In den letzten Tagen des Jahres schneit es in höheren Lagen zum Teil intensiv. Die Schneemengen sind im Norden und Westen des Landes bereits stark überdurchschnittlich.

Auf 2000 Meter über Meer liegen am Alpennordhang und im nördlichen Wallis 120 bis 200 cm Schnee. Im westlichen Unterwallis, im Gotthardgebiet und in Nordbünden liegen 80 bis 120 cm.

In diesen Regionen besteht zum Teil erhebliche Lawinengefahr, heisst es im Nationalen Lawinenbulletin.

Die Gefahrenstellen liegen vor allem an Triebschneehängen aller Expositionen. Dort können bereits einzelne Wintersportler eine Lawine auslösen.

Aber auch spontane Lawinen sind zunehmend möglich. Zudem können an Nordhängen vor allem am Alpenhauptkamm und im Engadin Lawinen in tiefen Schichten der Altschneedecke ausgelöst werden.

(Übertragung aus dem Englischen: Peter Siegenthaler)

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