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Zuviel Champagner für die Cabaret-Tänzerinnen

Getanzt wird wenig in Cabarets - die Frauen sollen zu Alkoholkonsum animieren. Und häufig ist auch Prostitution gefragt. Keystone

Ein neuer Muster-Arbeitsvertrag bringt Verbesserungen für die Cabaret-Tänzerinnen in der Schweiz. Mehrheitlich nur auf dem Papier, kritisieren Schutzorganisationen.

Sie fordern deshalb strengere Kontrollen durch die kantonalen Behörden, die bisher zu wenig effektiv vorgegangen seien.

“In einem Schweizer Cabaret ist Tanzen Nebensache “, sagt Diana, Tänzerin aus der Dominikanischen Republik. Und Dora, ehemalige Striptease-Tänzerin aus Brasilien, doppelt nach: “Wenn du nicht genug trinkst und nicht genug Geld in die Kasse bringst, bekommst du keinen Vertrag mehr.”

Nicht um entblösstes Turnen an einer Stange geht es in den hiesigen Cabarets in erster Linie, sondern darum, die männlichen Kunden zum Alkoholkonsum zu animieren. Jede Flasche Champagner, die im Laden 40 Franken kostet, spült dem Cabaret-Betreiber 500 Franken in die Kasse.

Tabuthema Prostitution



Was auch zur Arbeit der “Tänzerinnen” gehört, ist die Prostitution. Doch davon wollen die Frauen kaum sprechen, schon gar nicht gegenüber Journalisten. Denn wer es wagt, die Zustände anzuprangern oder gar an die Öffentlichkeit zu treten, verliert unweigerlich den Job. Das bedeutet keinen Lohn mehr und das Ende des Aufenthalts in der Schweiz.

Animation zu Alkoholkonsum und Prostitution: Beides ist hierzulande illegal. Ersteres ist im neuen Arbeitsgesetz verboten, das Prostitutions-Verbot ist in der Kurzaufenthalts-Bewilligung L für 8 Monate verankert, welche die Kantone den “Tänzerinnen” ausstellen.

Es waren die neuen gesetzlichen Bestimmungen über die Nachtarbeit im Jahr 2000, welche die Überarbeitung des so genannten Muster-Arbeitsvertrags erforderten. Dieser stammt von der Asco, dem Dachverband der Cabaret-Betreiber, und gilt seit dem 1. Januar dieses Jahres.

Weniger Arbeitstage

In “zähen Verhandlungen” mit der Asco brachten die Vertreterinnen der landesweit tätigen Organisation ProKoRe (Prostitution Kollektiv Reflexion) ihre Forderungen zur Verbesserung der Lage der Frauen ein. “Wir stehen grundsätzlich hinter dem Vertrag”, sagte Marianne Schertenleib vom Frauen-Informationszentrum für Frauen aus Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa (FIZ) am Dienstag vor den Medien.

Als wesentlichste Verbesserungen bringt er den Arbeiterinnen die Reduktion der Arbeitstage von 26 auf 23 Tage pro Monat bei gleichem Lohn, eine Ausgleichszahlung der Arbeitgeber für die wegfallenden 3 Tage und eine 10%-Zeitgutschrift für Nachtarbeit. Das Staatssekretariat für Wirtschaft hat den Mustervertrag für die Branche abgesegnet. Dies, obwohl er über dem Maximum von 21 Arbeitstagen pro Monat liegt.

Löchrige Paragraphen, Zwang und Gewalt



Was die Mitarbeiterinnen der in der ProKoRe vertretenen Schutzorganisationen aber nach wie vor stark kritisieren, sind die illegalen Tricks und Kniffe der Cabaret-Betreiber, mit denen die garantierten Rechte und die festgeschriebenen Verbote umgangen werden. Marianne Schertenleib: “In der Praxis reduzieren Arbeitgeber oft missbräuchlich die Löhne der Tänzerinnen und verlangen verbotene Arbeitsleistungen.”

Eine 2002 durchgeführte Umfrage der ProKoRe in der Branche habe eindeutig gezeigt, dass der Zwang zur Prostitution an der Tagesordnung sei. Ebenso komme es zu psychischer und physischer Gewalt, Zwang zu Alkoholkonsum und zu Doppelagenturverträgen.

Haben Frauen mit Agenturen sowohl in ihrem Herkunftsland wie in der Schweiz Verträge abgeschlossen, koste dies zweifach hohe Gebühren und Provisionen.

Champagner und Sex



Marie-Jo Glardon von der Genfer Prostituierten-Schutzorganisation Aspasie erläuterte den illegalen Zusammenhang von Alkohol-Konsum und Prostitution. So müssten die Frauen beispielsweise eine illegale Hausordnung unterschreiben.

Via Umsatzbeteiligung würden sie zum Champagner-Verkauf angehalten, berichtet Glardon von ihren Erfahrungen. Die Spanne reiche von 200 Franken bei einem Umsatz von 8000 Franken pro Monat bis zu 1300 Franken beim Umsatz von 13’000 Franken.

Champagner gilt denn auch als eigentliche Verdienstquelle der Cabarets. Verhängnisvoll daran: Der Kauf einer Flasche zu 500 Franken impliziere im Normalfall, dass der männliche Gast Anspruch auf Sex in Separés habe.

Ruinös für Gesundheit



Der eigene Konsum von Alkohol habe für die Frauen oft schwerwiegende gesundheitliche und finanzielle Folgen. Einlieferungen ins Spital infolge Alkoholvergiftung seien keine Seltenheit.

Zudem mache Alkohol die Tänzerinnen für sexuelle Dienstleistungen gefügiger, so Glardon weiter. Bei Nichterreichen der Umsätze am Ende des Monats werde ihnen der Lohn oft drastisch gekürzt.

Ein weiterer Trick: Für nicht näher spezifiziertes “unkorrektes Verhalten” liessen die Arbeitgeber die Frauen Strafzettel unterschreiben. Darin verpflichteten sich diese zur Zahlung von 500 Franken Strafgeld Ende des Monats.

Mehr und strengere Kontrollen



Gute Verträge nützten nichts, wenn deren Einhaltung nicht effektiv überprüft würden, so der Standpunkt der ProKoRe-Vertreterinnen. Martha Wigger von der Prostiuierten-Beratungsorganisation Xenia in Bern kam in einer Recherche zum Schluss, dass zu viele Amtsstellen in die Kontrolltätigkeit involviert seien. Damit falle viel unter den Teppich.

Punkto Kontrolle des Animierverbots würden sich in der Stadt Bern zwei Stellen gegenseitig den Schwarzen Peter zuschieben. Ebenso wenig werde kontrolliert, ob die Arbeitgeber die Frauen korrekt bei den Krankenkassen anmeldeten und in welchem Zustand die Zimmer seien, die bis zu 1400 Franken kosteten.

In der “L-Falle”

Weitere Forderung der Organisationen ist die Möglichkeit zu einem Branchenwechsel für Cabaret-Tänzerinnen mit L-Status. Bis heute dürften sie ausser der Arbeit als “Tänzerin” keine andere Tätigkeit ausüben, so die Kritik.

Eine entsprechende Motion im Parlament war allerdings schon 1996 erfolglos. Derzeit konzentriert die ProKoRe ihr Lobbying deshalb auf kantonaler Ebene. Dort fordert sie angesichts der Wirtschaftsflaute in der Branche von den Kantonen auch, dass sie die Kontingente für die “Tänzerinnen” senken sollen.

swissinfo, Renat Künzi, Zürich

2003 waren in der Schweiz 1360 “Tänzerinnen” mit einer L-Bewilligung registriert (Zahlen vom April).
Laut Bund werden in der Schweiz jährlich bis zu 3000 Frauen Opfer von Menschenhandel. Die meisten von ihnen stammen aus Osteuropa.
Wirtschaftliche Not treibt sie vielfach in die Hände skrupelloser Menschenhändler, weil sie Verdienst im Westen suchen.
Ein fataler Kreislauf beginnt: Für Reise, Arbeitsverträge und “Spesen” müssen sie sich stark verschulden.
Im Zielland sind sie, ob mit legalem oder illegalen Status, dem Arbeitsgeber, Agenturen etc. ausgeliefert.
Zur Rückzahlung der Schulden, Erzielen eines höheren Einkommens oder Abzahlen von “Strafgeldern” landen sie in der Zwangsprostitution.
Seit vergangenem Jahr betrachten die Bundesbehörden illegale Prostituierte nicht mehr als Täterinnen, sondern als Opfer. Dadurch werden sie nicht mehr sofort ausgeschafft.
Die Strafen auf Menschenhandel und –schmuggel wurden erhöht.

Der Muster-Arbeitsvertrag ist für die Cabaret-Tänzerinnen das Ticket für das Visum in die Schweiz und die Kurzaufenthalts-Bewilligung L (für 8 Monate).

Seit 1. Januar 2004 gilt ein neuer Muster-Arbeitsvertrag. Er bringt eine Reduktion von 26 auf 23 Arbeitstage pro Monat und eine Kompensation für Nachtarbeit.

Arbeitgeber können “Tänzerinnen” auch mit dem neuen Vertrag zum illegalen Animieren der Kunden zu Alkoholkonsum und zur Prostitution zwingen, kritisieren Schutzorganisationen.

Zusatzverträge, Hausordnungen und Strafzettel sind weitere illegale Tricks der Cabaret-Betreiber, die Frauen um ihre Rechte zu prellen.

Die Tänzerinnen wagen ihre Rechte kaum einzufordern, denn sie riskieren Job, Einkommen und den Verbleib in der Schweiz.

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