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Familieninitiative sorgt für heisse Köpfe

Wird das Schweizer Stimmvolk die Ehe in der Verfassung als "auf Dauer angelegte und gesetzlich geregelte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau" und steuerlich als "Wirtschaftsgemeinschaft" festschreiben? Die Antwort am 28. Februar 2016. Keystone

Die Befürworter sehen darin ein Mittel, zu verhindern, dass Ehepaare im Vergleich zu Konkubinatspaaren steuerlich und bei Sozialversicherungen benachteiligt werden. Für die Gegner ist es ein Trick, um Homosexuellen den Zugang zur Ehe zu verunmöglichen sowie die Individualbesteuerung zu verhindern. An der Initiative "Für Ehe und Familie", unterstützt von der Christlichdemokratischen Volkspartei, scheiden sich die Geister. Entschieden wird am 28. Februar 2016 an der Urne.

Die Frage der so genannten “Heiratsstrafe” gegenüber Konkubinatspaaren ist in der Schweiz seit Jahrzehnten ein Thema. 1984 hielt das Bundesgericht in einem Urteil fest, dass eine Steuer für ein Ehepaar verfassungswidrig ist, wenn sie mehr als 10% über dem Betrag liegt, den das Paar berappen müsste, wenn es unverheiratet zusammenleben würde.

Der Unterschied entsteht, weil bei der Steuerberechnung für Ehepaare die Einkommen zusammengezählt werden, während Konkubinatspaare als Einzelpersonen besteuert werden. Aufgrund der ansteigenden Progression beim Steuersatz bezahlt ein Ehepaar eine höhere Steuer, als wenn es im Konkubinat leben würde.

Wegen dieser Erkenntnis haben alle Kantone Korrekturmassnahmen vorgenommen, um Ehegatten und gleichgeschlechtliche Partner in einer eingetragenen Partnerschaft steuerlich zu entlasten: beispielsweise ein vollständiges oder teilweises Splitting, unterschiedliche Steuersätze, Abzüge oder Steuerrabatte.

Unterschiedliche Bundessteuer

Auf Bundesebene hingegen gingen bisher alle Vorschläge für eine Reform der Steuererhebung unter. Die einzige Änderung, die bei der Berechnung der direkten Bundessteuer vorgenommen wurde, war die Einführung eines Abzugs für Ehepartner und ein erhöhter Abzug für Doppeleinkommen bei Ehepaaren.

Dies ermöglichte es, die Diskriminierung aufgrund der kombinierten Einkommen bei einer Mehrheit der verheirateten Paare und Personen in einer eingetragenen Partnerschaft zu beseitigen. Aber nicht für alle: Heute werden in der Schweiz etwa 80’000 Paare steuerlich dafür bestraft, dass sie in einer Ehegemeinschaft oder eingetragenen Partnerschaft leben.

Der Initiativtext

Die Volksinitiative “Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe” verlangt, folgenden Text in Artikel 14 der Bundesverfassung neu aufzunehmen.

“Die Ehe ist die auf Dauer angelegte und gesetzlich geregelte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau. Sie bildet in steuerlicher Hinsicht eine Wirtschaftsgemeinschaft. Sie darf gegenüber andern Lebensformen nicht benachteiligt werden, namentlich nicht bei den Steuern und den Sozialversicherungen.”

Eine verfassungswidrige Situation, welche die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) als unerträglich beurteilt. Diese lancierte deshalb 2011 die Volksinitiative “Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe”Externer Link und sammelte die nötigen Unterschriften, um diese an die Urne zu bringen.

Man habe auf die Instrumente der direkten Demokratie zurückgegriffen, “um gegen eine absurde Ungerechtigkeit vorzugehen, weil die Institutionen dies nicht tun”, sagt der Tessiner CVP-Nationalrat Marco RomanoExterner Link, Mitglied des Initiativkomitees.

Dass etwas unternommen werden muss, glaubt auch die Landesregierung (Bundesrat). Sie unterstützte deshalb die Genehmigung der Initiative. Im Parlament aber stand das Volksbegehren der CVP dem starken Widerstand aller anderen grossen Parteien gegenüber, mit Ausnahme der nationalkonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP). Das Resultat: Eine Mehrheit der beiden Kammern lehnte die Initiative ab.

Ehe nur zwischen Frau und Mann?

Stark umstritten ist die Definition der Ehe als “auf Dauer angelegte und gesetzlich geregelte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau”. Mit dieser Initiative “will die CVP strenggenommen ein konservatives, rückwärtsgewandtes Konzept der Ehe in der Bundesverfassung verankern, was eine Öffnung der Ehe für Homosexuelle verhindern würde”, sagt Kathrin BertschyExterner Link, Nationalrätin der Grünliberalen Partei (GLP).

Laut Bertschy würde man “für die steuerliche Besserstellung von 80’000 Paaren, die fünf Prozent aller verheirateten oder in einer eingetragenen Partnerschaft lebenden Paare entsprechen, in der Verfassung eine viel breitere Diskriminierung einführen: Es würde ganz klar die traditionelle christdemokratische Vorstellung der Ehe gegenüber allen anderen Arten von Partnerschaften bevorzugt”. Und diese Definition hätte Auswirkungen weit über die Bereiche Steuern und Sozialversicherungen hinaus.

Diese Vorwürfe lehnt Romano rundweg ab. Er erinnert daran, dass man über einen Vorschlag im Ständerat “die Hand gereicht hatte, die Definition der Ehe zu streichen und explizit auch die eingetragene Partnerschaft einzufügen. Doch unser Vorschlag wurde nicht angenommen. Das zeigt, dass die Diskriminierung der Homosexuellen ein instrumentalisiertes Argument ist”.

Die Klippe der wirtschaftlichen Gemeinschaft

Für Bertschy hingegen gibt es im Initiativtext Hinweise, dass das eigentliche Ziel des Begehrens nicht die Unterdrückung von Ungerechtigkeiten im Steuersystem ist. Mit der Präzisierung, dass die Ehe eine Wirtschaftsgemeinschaft sei, “schliesst der Text das beste Werkzeug aus, mit dem der Unterschied in der steuerlichen Behandlung beseitigt werden könnte, nämlich die Individualbesteuerung. Diese würde ermöglichen, alle gleich zu behandeln”. Die Nationalrätin schiebt nach, “man sollte nicht vergessen, dass die steuerlichen Nachteile gegenwärtig mehr zusammenlebende als verheiratete Paare betreffen”.

“Wir wollen das Problem rasch lösen, auf eine einfache Art und Weise”, sagt Romano. “Beispielsweise, indem wir ein Splitting-Modell einführen, wie das der Grossteil der Kantone bereits getan hat. Die Diskussion um die Individualbesteuerung wird von einigen Parteien angeschoben, sie ist aber keine Realität. Generell sind die Kantone sehr skeptisch, weil es für sie einen grossen zusätzlichen Verwaltungsaufwand und lange Gesetzgebungsverfahren bedeuten würde. Käme man eines Tages auf die Individualbesteuerung, könnte man das System immer noch anpassen”.

Zwillingsinitiativen

Gleichzeitig mit der Initiative gegen die Heiratsstrafe hatte die CVP die Initiative “Familien stärken! Steuerfreie Kinder- und Ausbildungszulagen” lanciert.

Diese wurde am 8. März 2015 von drei Vierteln der Stimmbevölkerung und von allen Kantonen abgelehnt.

Eine Verfassungsänderung jedoch erfordert eine Abstimmung mit dem doppelten Ja von Volk und Kantonen. Deshalb wollte eine Mehrheit der beiden Räte nicht die Zukunft verpfänden.

Dies ist laut Romano aber nur ein Vorwand: “Man will ein künftiges politisches Thema vorwegnehmen, um eine Volksinitiative zu stoppen, die eine existierende Tatsache bekämpft, die seit 30 Jahren als illegal gilt.”

AHV zwischen Vor- und Nachteilen

Einwände von Seiten der Initianten gibt es auch im Hinblick auf die Nachteile für verheiratete Paare bei der Sozialversicherung. Die Initiative der CVP zielt in erster Linie darauf, die Kürzung der Altersrenten der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) für verheiratete Paare zu beenden: Gegenwärtig werden die zwei Renten eines Ehepaars auf 150 Prozent der maximalen AHV-Rente gekürzt. Rund 86% aller Ehepaare im Ruhestand erhalten deshalb kleinere Renten, als wenn sie unverheiratet zusammenleben würden.

Trotzdem “muss man in der AHV insgesamt auch all die Vorteile berücksichtigen, zu denen Verheiratete berechtigt sind, und von denen Konkubinatspaare nicht profitieren können”, sagt Kathrin Bertschy. “Die Vorteile für Ehepaare überwiegen die Nachteile eindeutig: Das Bundesamt für Sozialversicherungen gibt an, dass ein positiver Saldo von 800 Millionen Franken pro Jahr resultiert.” Wolle man nun die Beschränkung der Renten von Ehepaaren aufheben, müsste man das ganze System der AHV überarbeiten, betont sie. Umso mehr, als sich dort ein Finanzierungsproblem stelle.

Die CVP hingegen bleibt fest entschlossen, für die Abschaffung dieser Beschränkung zu kämpfen, weil sie diese für eine Ungerechtigkeit hält.

Das letzte Wort hat das Stimmvolk am 28. Februar. Neben dem Ja des Volks braucht die Initiative zur Annahme auch das Mehr der Kantone.

(Übertragen aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)

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