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Förderung von Minderheiten – effizient oder nicht?

Die OSZE ist satolz auf ihre ethnisch gemischten Polizeieinheiten im Süden Serbiens. Keystone

Der grösste Feldeinsatz der OSZE findet im Westbalkan statt. Nicht überall ist man sich einig darüber, ob die internationale Organisation, die in diesem Jahr unter Schweizer Vorsitz steht und sich hauptsächlich mit der Ukraine befasst, auf dem Balkan tatsächlich effizient ist.

Nehmen Sie eine Handvoll politischer Analysten in Belgrad und Priština und bringen Sie die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zur Sprache: Die Chancen sind gross, dass die Analysten beträchtlichen Zweifel an Nutzen und Effizienz der OSZE-Missionen äussern, die der ethnisch angespannten Region im Westbalkan mehr Stabilität bringen sollten.

Bringt man diese Kritik vor Vertretern der OSZE zur Sprache, der 57 Staaten angehören, oder vor Nicht-Regierungsorganisationen im Feld, tönt es – nicht überraschend – anders.

Eine jüngst vom Schweizer Aussenministerium organisierte Reise brachte zwar einige Antworten, liess aber viele Fragen offen.

Es hatte nicht lange gedauert, bis jemand irgendwo im Gang eines Büros – oder vielleicht an einem Esstisch – einige mehr oder weniger schmeichelhafte (englische) Spitznamen für die OZSE aufbrachte, unter denen “Organization for Serving Coffee in Europe” zu den harmloseren gehörte.

Die Schweiz hat in diesem Jahr den Vorsitz in der 57 Mitgliederstaaten zählenden OSZE und wird Serbien, das diese Rolle 2015 übernimmt, unterstützen. Es ist das zweite Mal seit 1996, dass die Schweiz an der Spitze der OSZE steht.

Die Schweizer Präsidentschaft unter Aussenminister Didier Burkhalter machte Versöhnung und Zusammenarbeit im westlichen Balkan zu einer Priorität ihres Vorsitzjahres.

Die OSZE unterhält gegenwärtig 16 reguläre Feldoperationen. Die Kosovo-Mission ist die grösste – mit rund 600 Mitarbeitenden und einem Budget von mehr als 20 Mio. Euro für 2013.

Für die OSZE-Mission in Serbien unter Leitung des Schweizers Peter Burkhard stehen 166 Leute im Einsatz. Das reguläre Budget belief sich nach offiziellen Angaben im vergangenen Jahr auf 7 Mio. Euro.

Massive Präsenz

Besa Shahini, eine leitende Analystin der Denkfabrik Europäische Stabilitäts-Initiative (ESI), gab sich kategorischer. “Ich weiss nicht, wieso die OSZE noch immer 600 Leute im Kosovo braucht. Ich bin nicht damit einverstanden, dass wir sie für die Wahlen [2013] im Norden brauchten – eine andere Organisation hätte ebenso gut helfen können. Die Beobachtermission hätte vermehrt für den Wahlprozess genutzt werden können.” Sie äusserte ihre Vorwürfe bei einer informellen Debatte am Runden Tisch mit jungen Expertenkollegen.

Shahini erklärte auch, die Rolle der OSZE beschränke sich, abgesehen von den Wahlen, im Kosovo weitgehend auf die einer Denkfabrik, welche die Umsetzung verschiedener Minderheiten-Gesetze beobachte und ihren Beitrag in den politischen Prozess einspeise.

Auch von Leon Malazogu, Mitbegründer der Denkfabrik Demokratie für Entwicklung mit Sitz im Kosovo, erhält die Organisation keine besseren Noten. In der zunehmend leidenschaftlicher geführten Debatte am Runden Tisch bezeichnete er die OSZE als “nicht hilfreich” und zu “90% nutzlos”.

“Abgesehen von den Wahlen im nördlichen Kosovo, und einigen nützlichen Berichten über die Rechtsstaatlichkeit kann die OSZE ihre massive Präsenz kaum rechtfertigen.” (Die Mission im Kosovo ist die grösste Mission der OSZE, die Red.)

Malazogu bezog sich auf den Wahlgang vom letzten Jahr, als der Organisation vorgeworfen wurde, sie habe sich auf die Seite der Politiker gestellt, anstatt NGOs zu unterstützen, die Fälle mutmasslicher Irregularitäten aufgedeckt hatten.

Sichtbarkeit

Skepsis besteht auch unter lokalen Medienschaffenden und Korrespondenten aus dem Westen. Jeta Xharra, Kosovo-Direktorin des Balkan Investigative Reporting Network (BIRN), nimmt kein Blatt vor den Mund und kritisiert die OSZE als “impotent”. Die renommierte Journalistin hegt Zweifel, ob der Schweizer Vorsitz der OSZE in diesem Jahr viel Unterschied machen und die Situation verbessern helfen wird.

Walter Müller, Südosteuropa-Korrespondent von Schweizer Radio SRF, würde nicht ganz so weit gehen, aber auch er hat Zweifel an der Effizienz und Visibilität der OSZE-Bemühungen in der Region. “Die Präsenz der OSZE, vor allem im südlichen serbischen Preševo-Tal, war sehr nützlich, um Gewalt zu verhindern. Dennoch frage ich mich manchmal, was die Organisation mit all ihrem Personal tut”, sagt Müller.

2013 hatte die OSZE für ihre insgesamt 16 Feldoperationen und das Hauptquartier in Wien fast 2900 Leute angestellt; das Budget betrug 144,8 Mio. Euro (176,6 Mio. Franken).

Vor Ort

Das Mandat der weltweit grössten Sicherheitsorganisation – die OSZE wurde im Kalten Krieg ins Leben gerufen, als Dialogforum zwischen Ost und West – ist die Förderung der Menschenrechte und das Vermitteln von Sachkenntnissen für die Entwicklung demokratischer Gesellschaften, inklusive Rechtsstaatlichkeit und gute Regierungsführung (Gouvernanz).

Einen Spitzenplatz auf der aktuellen Agenda hat der Schutz nationaler Minderheiten im Kosovo und in Serbien.

Zu den von der Schweizer OSZE-Task-Force unterstützten Projekten gehört ein vier Monate dauernder Kurs in einer Sekundarschule in der Stadt Bujanovac. Ziel ist es, die Albanisch sprechenden Schüler und Schülerinnen zu ermutigen, Serbisch zu lernen, weil mangelnde Sprachkenntnisse die Segregation in einer der ärmsten Gegenden im Süden Serbiens oft verstärken.

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Die Entwicklung einer multi-ethnischen Gemeindepolizei in der gleichen Region ist ein weiteres viel gepriesenes OSZE-Programm.

Gemischte Patrouillen ethnischer Serben, Albaner und Roma trugen nach Aussagen von lokalen Polizisten und OSZE-Vertretern dazu bei, Vertrauen in staatliche Behörden aufzubauen.

Sonja Licht, eine führende Polit-Aktivistin und bedeutende Akteurin des Widerstands gegen den damaligen serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic, lobte die Zusammenarbeit zwischen NGOs und der OSZE.

Am 8. Juni sollen im Kosovo vorgezogene allgemeine Wahlen stattfinden.

Die Wahlen wurden vorverlegt vom November in dem Bemühen, den völligen Stillstand aufzubrechen, der die Parlamentsarbeit lähmt. Zu den umstrittenen Fragen gehört die Schaffung von Streitkräften für Kosovo.

Die OSZE wird den Wahlprozess in den vier nördlichen Gemeinden unterstützen, lokale Wahlkommissionen beraten, Wahllokalen technische Unterstützung bieten und Wahlmaterial transportieren.

Am 8. Juni werden nach Aussagen von OSZE-Sprecher Gaon 120 Leute für die OSZE vor Ort sein.

Beamte und Funktionäre hoffen, dass die Wahlen dem ethnisch angespannten und wirtschaftlich verarmten Land, das sich von Serbien abspaltete und 2008 seine Unabhängigkeit erklärte, Stabilität bringen werden.

Die ersten lokalen Wahlen im Kosovo im November 2013 waren vor allem in den ethnisch serbischen Regionen im Norden des Landes nicht ohne Zwischenfälle verlaufen.

Die OSZE hatte Wahlbeobachter entsandt, um den Urnengang zu beobachten. Sie berichteten über eine Reihe von Vorfällen, bei denen gewalttätige Gegner des Urnengangs Wahllokale zerstörten, vor allem in der geteilten Stadt Mitrovica.

“Bei Konflikten auf niedrigem Niveau spielt die OSZE eine bedeutende Rolle. Sie überzeugte die serbische Regierung zu einem Engagement für den Aufbau von Kapazitäten in den Bereichen Polizei, menschliche Sicherheit und Gleichstellung.”

Licht rief auch ein von der OSZE unterstütztes Projekt für junge Roma in Erinnerung. “Dieses brachte jungen Leuten Hoffnung. Leider stiess es in der Öffentlichkeit nicht auf viel Aufmerksamkeit.”

Guter Ruf

Der Leiter der OSZE-Mission in Belgrad, der Schweizer Peter Burkhard, reagierte prompt, als der angebliche Mangel an Visibilität der OSZE zur Sprache kam: “Im Balkan muss man nicht erklären, was die OSZE ist. Sie hat einen sehr guten Ruf.”

Die OSZE habe allein durch ihre Präsenz geholfen, die Lösung von Konflikten im Süden Serbiens, in der Sandžak-Region zu erleichtern.

Burkhard und zehn seiner leitenden Mitarbeiter sprachen im Belgrader Büro der OSZE vor einer kleinen Gruppe von Schweizer Journalisten über die Serbien-Mission. Zu deren Aktivitäten gehören unter anderem Reformen im Justizwesen, Expertisen im Medienbereich (Pressefreiheit, Medienrecht etc.), Beobachtung des Demokratisierungsprozesses und der Kampf gegen Korruption.

“Die OSZE half Serbien, aus der Isolation herauszukommen”, erklärte Paula Thiede, die Vizechefin der Mission.

Gordana Jankovic, Leiterin des Mediendepartements der Mission, sprach ihrerseits an, was ein inhärentes Thema zu sein scheint: “Wie kann die Schaffung eines guten Gesetzes veranschaulicht werden?” Und fuhr fort: “Wir sind im Hintergrund tätig.”

Der Schweizer Aussenminister Didier Burkhalter – in seiner Rolle als diesjähriger Vorsitzender der OSZE – erklärte das Interesse der Schweiz an der Förderung von Integrationsprojekten im Kosovo und in Serbien.

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Verwirrt?

Im Hintergrund zu bleiben, scheint für Nikola Gaon, den Sprecher der OSZE-Mission im Kosovo, eine unwahrscheinlich Rolle. Er ist eloquent und nichts, schon gar nicht Kritik an seinem Arbeitgeber, schien ihm zu entgehen.

Sei es beim Besuch im Büro des investigativen Journalisten-Netzwerks (BIRN) in Pristina oder während der Diskussion am Runden Tisch mit politischen Analysten – das Sprachrohr der OSZE wusste, wann und wie die Dinge ins richtige Licht zu rücken sind.

Manchmal wurde ihm sein Job einfach gemacht, etwa als Naim Rashiti, Analyst bei der Balkans Policy Research Group, erklärte: “Ich bin froh, spielt die OSZE beim Dialog eine Rolle. Denn die UNO hat die Schlacht für immer verloren.”

Rashiti sieht für die OSZE in der Zukunft eine grössere Rolle als Beobachterin, worauf Gaon erwiderte, die “institutionelle Entwicklung” und die nicht-exekutive Rolle der Organisation seien wichtig.

“Die OSZE ist ein Opfer, sie steckt in einer misslichen Lage wegen den Meinungsverschiedenheiten unter den Mitgliedstaaten. Russland und Serbien bestehen darauf, die Mission so gross zu erhalten, wie sie jetzt ist, mit einem bescheidenden Mandat”, erwiderte Rashiti.

Wer – was die Präsenz der OSZE im Balkan angeht – weiterhin unschlüssig ist, kann Trost finden in einem anderen respektlosen englischen Spitznamen, der im Kosovo für die Organisation zu hören ist: “Organization for Spreading Confusion in Europe”: Organisation für das Verbreiten von Verwirrung in Europa.

(Übersetzung aus dem Englischen: Rita Emch)

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