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Zuwanderungsbremse: Wie viel Inländervorrang darf es sein?

Um die Zuwanderung zu drosseln, sollen arbeitslose Inländer gegenüber ausländischen Bewerbern bei gleicher Qualifikation bei der Stellenvermittlung den Vorrang erhalten. Keystone

Die Masseneinwanderung stoppen, ohne der Wirtschaft zu schaden. Diesen Auftrag, den das Schweizer Stimmvolk vor bald drei Jahren erteilte, muss das Parlament in der Wintersession umsetzen. Auf dem Tisch liegen zwei Umsetzungsmodelle, die inländischen Arbeitskräften bei der Stellenvermittlung einen mehr oder weniger sanften Vorrang gewähren wollen. Was unterscheidet die Modelle voneinander, und was steht dabei auf dem Spiel?

“Die Schweiz steuert die Zuwanderung von Ausländerinnen und Ausländern eigenständig. Die Zahl der Aufenthaltsbewilligungen wird durch Höchstzahlen und Kontingente begrenzt, wobei die gesamtwirtschaftlichen Interessen zu berücksichtigen sind.” Die Umsetzung dieses VolksauftragExterner Links, so klar und simpel dieser auf den ersten Blick erscheinen mag, gleicht der Suche nach dem Ei des Kolumbus. Weshalb?

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Mit neuem Urnengang aus dem Dilemma?

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Schweiz solle die Zuwanderung mit Kontingenten und Höchstzahlen selber steuern, und zwar im gesamtwirtschaftlichen Interesse, steht im Verfassungsartikel 121a, den das Stimmvolk am 9. Februar 2014 angenommen hatte. Weil der Artikel im Widerspruch zum Personenfreizügigkeits-Abkommen (FZA) steht, forderten die Initianten die Schweizer Regierung auf, das FZA mit der EU neu zu verhandeln. Das ist…

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Wenn die Schweiz die Zuwanderung mit Höchstzahlen und Kontingenten begrenzt, verletzt sie damit das Personenfreizügigkeits-AbkommenExterner Link (FZA) mit der EU. Von Verhandlungen über eine Änderung dieses Abkommens im Einklang mit dem Schweizer Volksauftrag will die EU nichts wissen. Setzt sich die Schweiz darüber hinweg, droht wegen der sogenannten Guillotine-KlauselExterner Link nicht nur die Kündigung des FAZ, sondern sämtlicher Abkommen mit der EU. 

Das wäre nicht im gesamtwirtschaftlichen Interesse der Schweiz, warnen nicht nur die Wirtschaftsverbände. Die Appelle ihrer Lobbyisten werden im Parlament gehört. Abgesehen von den Mitgliedern der Schweizerischen Volkspartei (SVP), die das Volksbegehren “gegen Masseneinwanderung” (MEI) lanciert hatte, spricht im Parlament kaum jemand von Höchstzahlen und Kontingenten. 

Mehrheitsfähig scheint hingegen ein Instrument namens “Inländervorrang” zu sein, wonach inländische Arbeitskräfte bei der Stellenvermittlung gegenüber ausländischen einen gewissen Vorrang erhalten sollen. Aber weil die EU den Inländervorrang als Diskriminierung der ausländischen Arbeitskräfte auslegen könnte, darf das neue Instrument nicht zu griffig sein. In der grossen Parlamentskammer (Nationalrat) hat sich während der letzten Session das Modell “Inländervorrang light” durchgesetzt. 

Inländervorrang light

Gemäss diesem Modell können Arbeitgeber verpflichtet werden, offene Stellen den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) zu melden. Die Meldepflicht käme allerdings erst zum Tragen, wenn die Zuwanderung gewisse Schwellenwerte überschreitet.

Eine “Zuwanderungs-Kommission” mit Vertretern des Bundes, der Sozialpartner und der Arbeitsämter soll bestimmen, nach welchen Kriterien diese Werte festgelegt würden. Ein Kriterium wäre dabei die Arbeitslosigkeit in bestimmten Regionen, Branchen und Berufsgruppen.


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Der freisinnige Nationalrat Kurt Fluri, der als Architekt des Modells gilt, verspricht sich bei einer konsequenten Anwendung eine Drosselung der Zuwanderung, weil jährlich 5000 bis 10’000 arbeitslose Inländer anstatt Ausländer angestellt werden könnten. Er stützt sich dabei auf Einschätzungen der RAV. Fluris Modell würde die bilateralen Abkommen nicht gefährden, denn gegen die Einführung einer Meldepflicht scheint die EU nichts einzuwenden zu haben.

Die SVP aber auch einige Verfassungsrechts-Experten bezeichnen das Modell aber als wirkungslos und als Verletzung des Volksauftrags.

Dem Volksauftrag mehr Rechnung tragen will die vorberatende Kommission der kleinen Parlamentskammer (Ständerat) mit einem “verschärften Inländervorrang”. 

Verschärfter Inländervorrang

Bei diesem Modell kommen zusätzlich zur Melde- auch eine Anhörungs- und Begründungspflicht hinzu. Das heisst: Die RAV müssen dem Arbeitgeber innert kurzer Frist geeignete Stellensuchende zuweisen, die dieser zu einem Bewerbungsgespräch einladen muss. Stellt der Arbeitgeber keinen dieser Bewerber an, muss er dies begründen.

Diese Pflichten sollen nur bei Berufsgruppen mit überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit gelten.

Dieses Modell kritisieren vor allem wirtschaftsliberale Kreise mit der Begründung, es sei für die Unternehmen ein Bürokratiemonster.

Vorstellungsgespräche zu führen, sei ein beträchtlicher Aufwand, tönt es in den Branchen, die, wie die Gastronomie oder das Baugewerbe, besonders betroffen wären. Und sogar als existenzbedrohend beurteilen sie in gewissen Fällen die Begründungspflicht.

Juristenfutter

Schützenhilfe erhalten sie von Bruno Sauter, dem Präsidenten der Schweizer Arbeitsmarktbehörden. In einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) warnt er vor einer “Flut von Rechtsfällen”. Als sinnvoll beurteilt er einzig eine Meldepflicht.

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Bevor das RAV eine Person zu einem Vorstellungsgespräch schicken könnte, erklärt Sauter am konkreten Beispiel, müsste der Arbeitgeber gefragt werden, ob diese aufgrund der objektiven und formalen Kriterien – zum Beispiel Ausbildung oder Sprachkenntnisse – infrage komme. “Wenn der Arbeitgeber die Person nicht einstellt, müsste er dies begründen, und das RAV müsste überprüfen, ob die Begründung plausibel ist, ob sich der Stellensuchende korrekt verhalten hat, ob der Arbeitgeber ein ungerechtfertigtes Kriterium für die Absage heranzieht – etwa das Aussehen oder die Nationalität. Klagen von Personen, die sich diskriminiert fühlten, wären so sicher wie das Amen in der Kirche”, sagt Sauter.

Für die Arbeitgeber wäre es brutal: Wenn sie eine Absage nicht korrekt begründen, “droht noch eine Busse von bis zu 40’000 Franken. Für kleinere Betriebe wäre das existenzbedrohend. Dafür entstünde ein gutes neues Tätigkeitsfeld für Juristen”, sagt der Arbeitsmarkt-Experte voraus.

Der freisinnige Ständerat Philipp Müller, der als Schmied des “verschärften Inländervorrangs” gilt, verteidigt sein Modell mit dem Hinweis, dass dank einer gezielten Anwendung jährlich weniger als 1,5 % der Stellenbesetzungen betroffen wären. Viel grösser wäre der Bürokratieaufwand, sagte Müller gegenüber der NZZ, wenn die Initiative im Sinn der SVP mit Kontingenten und Höchstzahlen umgesetzt würde.

Diese sind im Parlament nicht mehrheitsfähig. Ob die SVP das Referendum ergreifen wird, wenn das Parlament einen mehr oder weniger sanften Inländervorrang beschliesst, hat sie noch nicht bekannt gegeben.

Langwierig und kompliziert

Für Arbeitskräfte aus Drittstaaten (ausserhalb der EU/EFTA) wendet die Schweiz seit Jahren ein Kontingentssystem an. Es orientiert sich an der Arbeitsmarktlage, der Arbeitslosenquote, dem Fachkräftemangel sowie an gesellschaftspolitischen Anliegen. Manche Arbeitgeber bezeichnen das Verfahren als kompliziert und langwierig.

Kontingentssystem

Wer für eine Person aus einem Drittstaat eine Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung beantragt, muss nachweisen können, dass es sich um eine hochqualifizierte Arbeitskraft handelt. Es braucht einen Lebenslauf, Kopien der Diplome sowie die Bestätigung, dass der Kandidat oder die Kandidatin eine angemessene Wohnung hat in der Schweiz, eine Stellenbeschreibung, den Nachweis, dass für die Stelle im Inland und in der EU/EFTA keine geeignete Person gefunden wurde sowie einen Businessplan der Firma.

Im Zulassungsverfahren sind neben dem Staatssekretariat für Migration auch das jeweilige kantonale Amt für Migration und jenes für Arbeit und Wirtschaft involviert.

Wenn die Kontingente klein und die Höchstzahlen niedrig angesetzt würden, liesse sich die “Masseneinwanderung” damit zwar spürbar bremsen. Aber dass dies auch im gesamtwirtschaftlichen Interesse wäre, behauptet nur die SVP. Wirtschaftsschädlich ist laut den Wirtschaftsverbänden nicht nur der damit verbundene administrative Aufwand, sondern vor allem das Risiko, dass deswegen die Marktzugangs-Abkommen mit der EU ausser Kraft gesetzt würden.

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