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“Alles hängt von der Sicherheit ab”

Machtübergabe in Bagdad: US-Administrator Paul Bremer (Mitte), der irakische Premier Iyad Allawi links von ihm und Iraks Präsident Ghazi al-Yawar, rechts aussen. Keystone

Die Machtübergabe in Irak ist aus Sicherheitsgründen um zwei Tage vorgezogen worden. Im "neuen" Irak will die Schweiz eine aktivere Rolle spielen.

Zentral für die Zukunft sei die Sicherheitslage im Land, sagt der Leiter des Schweizer Verbindungs-Büros in Bagdad im Gespräch mit swissinfo.

swissinfo: Welche Auswirkungen hat die Machtübergabe auf die offizielle Präsenz der Schweiz in Irak?

Martin Aeschbacher: Die Änderungen werden eher fliessend sein. Wir haben bisher vor allem mit irakischen Behörden und der irakischen Zivilgesellschaft verkehrt.

Das wird sich nicht ändern. Was sich ändern wird, ist die Lage in Irak. Das wird natürlich Einfluss auf unsere Politik und eventuell auf unsere Präsenz haben. Ich erwarte jedoch nicht, dass ab jetzt meine Arbeit ganz anders aussehen wird.

swissinfo: Bislang hat die Schweiz vor allem humanitäre Hilfe geleistet. Laut Aussenministerin Calmy-Rey soll nach der Machtübergabe die Schweiz eine aktivere Rolle spielen. Ist das realistisch?

M.A.: Alles hängt von der Sicherheitslage ab. Es gibt aber gewisse Dinge, die kann man auch in einer schwierigen Lage tun – sei es im humanitären oder im politischen Bereich.

Wir können künftig vielleicht etwas offensiver sein, falls es von der Sicherheitslage her möglich ist, vielleicht ein Stück weit in Richtung Aufbauhilfe gehen. Alles in allem wird es ein gradueller Übergang sein.

swissinfo: Heisst eine aktivere Rolle auch, dass die Schweiz Einfluss auf die politische Gestaltung in Irak nehmen wird?

M.A.: Die Schweiz kann zum Beispiel etwas im Bereich der Menschenrechte tun. Der irakische Menschenrechts-Minister hat bereits Interesse gezeigt. Ob auch im Verfassungs-Bereich eine Schweizer Rolle möglich ist, wird sich im nächsten Jahr zeigen.

swissinfo: Wird die humanitäre Arbeit der Schweiz wegen der prekären Sicherheitslage behindert?

M.A.: Die Arbeit wird insofern erschwert, als zum Beispiel Feldbesuche ausserhalb Bagdads im Moment nicht mehr möglich sind. Projekte können aber in Zusammenarbeit mit irakischen Partnern dennoch durchgeführt werden.

swissinfo: Sie verbringen vermutlich viel Zeit im Büro vor dem Computer. Wäre es nicht effizienter oder einfacher, von Amman aus zu operieren?

M.A.: Überhaupt nicht. Diese Woche verbringe ich ganz bewusst die meiste Zeit in meinem Büro, weil es gefährlich sein könnte. Sonst aber versuche ich, möglichst viel hinauszugehen. Bagdad kann ich nicht verlassen und gewisse Quartiere muss ich meiden. Spazieren ist auch nicht mehr möglich. Ich treffe jedoch Leute, das ist wichtig, sonst könnte ich meine Arbeit auch von Amman oder Bern aus erledigen.

swissinfo: Der Sicherheitsaufwand für das Schweizer Verbindungsbüro ist enorm. Ist er angesichts Ihrer Arbeit gerechtfertigt?

M.A.: Man sollte das nicht so krämerisch sehen, das ist eine typisch schweizerische Art. Eine Schliessung des Büros aus Kostengründen hätte sicher Signalwirkung, denn es wird genau beobachtet, wer da ist und wer nicht.

Zudem hat man dem Gastland und anderen Ländern gegenüber eine gewisse Verantwortung. Mir ist klar, dass was ich tue, eine Menge Geld kostet. Aber es gibt viele Dinge, die ich tun kann und die für die Zukunft nützlich sein können.

swissinfo: Wie gestaltet sich Ihr Kontakt mit den USA und den europäischen Ländern?

M.A.: Die amerikanischen Behörden sind schwierig zu erreichen, die Kontakte sind aber freundlich. Mit anderen Ländern, europäischen und nicht europäischen, arbeiten wir eng zusammen. Es ist immer so: Je schwieriger die Bedingungen, desto enger die Zusammenarbeit.

swissinfo: Haben Sie auch Kontakt zur neuen irakischen Regierung?

M.A.: Die, welche neu sind und bisher keine Funktion hatten, kenne ich noch nicht. Es ist auch nicht der Moment, ein Treffen zu verlangen. Einige Personen, die jetzt Regierungs-Funktionen übernehmen, kenne ich bereits von früheren Tätigkeiten.

swissinfo: Zur Zeit gibt es wenig Schweizer Investoren, die sich auf das Abenteuer Irak einlassen. Wird sich das nach dem Machtwechsel ändern?

M.A.: Wenn die Sicherheit besser wird, werden auch die Schweizer Investoren relativ rasch kommen, und die Wirtschaft wird wieder florieren. Alles hängt von der Sicherheit ab.

Ob die neue Regierung die Sicherheit gewähren kann, ist noch offen. Wir hoffen es. Sie hat aus der Sicherheit ihre erste Priorität gemacht. Das ist richtig so. Die Mittel, die sie hat, sind jedoch beschränkt.

swissinfo: Wie ist die Stimmung in der irakischen Bevölkerung? Glauben die Leute an eine bessere Zukunft?

M.A.: Generell war die Stimmung eigentlich eher pessimistisch, abwartend, misstrauisch und im letzten April mit den Aufständen in Faludscha auf einem Tiefpunkt.

Seit der Ernennung der neuen Regierung hat sich die Stimmung aber verbessert. Man spürt einen gedämpften Optimismus. Die Iraker haben viel erlebt und wissen, dass die Dinge nicht einfach sind.

swissinfo: Glauben Sie an eine echte Souveränität im Irak?

M.A.: In Sachen Souveränität habe ich nicht all zu viele Bedenken. Es ist klar, dass die Souveränität in gewissen Bereichen noch etwas eingeschränkt ist, vor allem im Sicherheitsbereich, weil die Regierung ausländische Truppen braucht.

Klar ist auch, dass wer zahlt, befiehlt. Die 18 Mrd. US-Gelder sind sehr wichtig für das Land. Der Irak ist bis zu einem gewissen Grad wirtschaftlich abhängig.

swissinfo: Als Sie im Frühjahr 2003 nach Bagdad kamen, waren Sie guter Hoffnung. Später sagten Sie in einem Interview, es sei schwierig, Optimist zu bleiben. Und jetzt?

M.A.: Ich weiss, dass die Aufgabe der neuen Regierung extrem schwierig ist. Es wird sicher grosse Probleme geben, namentlich im Sicherheitsbereich. Wir wissen nicht, was in den nächsten Stunden, Tagen, Monaten geschieht.

Wenn die Regierung es schafft, im Sicherheitsbereich Fortschritte zu erreichen, wird es gut kommen.

swissinfo: Wie geht es Ihnen persönlich in dieser Situation? Haben Sie Angst? Fühlen Sie sich eingesperrt?

M.A.: Ich fühle mich erstaunlich gut, auch wenn mir das niemand glauben will. Bis zu einem gewissen Punkt gewöhnt man sich daran, dass man keinen Schritt mehr alleine tun kann.

Sie dürfen aber nicht vergessen: Wenn ich nicht zu den Leuten gehen kann, kommen die Leute zu mir. Ich habe sehr viele Kontakte, vor allem zu Irakern.

Ich war in Bagdad wohl häufiger bei Irakern zu Hause eingeladen, als in Paris bei Franzosen. In diesem Sinne fühle ich mich überhaupt nicht isoliert.

Es ist einfach alles extrem aufwändig, und es bleibt die Angst über die Zukunft des Landes und bis zu einem gewissen Punkt über unsere nähere Zukunft.

Angst habe ich einzig vor den Bomben, denn gegen Bomben kann man sich nicht schützen. Wenn man durch die Stadt fährt, weiss man nie, wo nächstens eine Bombe hochgeht.

swissinfo-Interview: Gaby Ochsenbein

Die USA haben die Macht am 28. Juni 2004 an die irakischen Behörden übergeben.

Die neue irakische Interims-Regierung besteht aus 36 Ministern.

Im Irak sind gegen 150’000 ausländische Truppen stationiert. Ihr Einsatz endet spätestens Anfang 2006.

Freie Wahlen sind für anfangs 2005 geplant.

Der Diplomat und Islamwissenschafter Martin Aeschbacher, 50-jährig, leitet seit Mai 2003 das Schweizer Verbindungsbüro in Bagdad.

Die Schweiz, die sich bisher auf humanitäre Hilfe im Irak beschränkt, will künftig eine aktivere Rolle spielen.

2004 leistet die Schweiz humanitäre Hilfe in der Höhe von 8,3 Mio. Franken.

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