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“Auf dem Fussballfeld spielt A gegen B, basta”

Massimo Busacca: "Ich bin auch nur ein Mensch." Keystone

Nach der Stinkefinger-Affäre in den Schiri-Olymp: Der Tessiner Massimo Busacca ist als erster Schweizer zum Welt-Schiedsrichter des Jahres gewählt worden. Jetzt träumt er vom WM-Final in Südafrika.

Am 6. Februar wird Massimo Busacca 41 Jahre alt. Doch das grösste Geburtstagsgeschenk hat er bereits erhalten. Der Internationale Verband für Fussball-Geschichte und Statistik (IFFHS) mit Sitz in Bonn hat den Tessiner aus Monte Carasso soeben zum “Welt-Referee 2009” gekürt. Das ist bisher noch keinem Schweizer Fussball-Schiri widerfahren. Selbst der legendäre Urs Meier brachte es bei seiner besten Platzierung 2002 nur auf den zweiten Platz.

Busacca ist die Freude über die Auszeichnung anzumerken. Und er ist besonders stolz, viele Glückwünsche aus der Deutschschweiz erhalten zu haben.

Kein Wunder. Vor wenigen Monaten blies ihm gerade in der Deutschschweiz ein eisiger Wind entgegen. Beim Cupspiel des FC Baden gegen Young Boys (YB) im September hatte Busacca den YB-Fans den Stinkefinger gezeigt, nachdem er lautstark provoziert worden war.

Mit 3 Spielsperren sanktioniert

Zuerst stritt er ab, später gab er zu, nachher entschuldigte er sich, und schliesslich wurde er von der Schiedsrichterkommission für seine obszöne Geste mit drei Spielsperren sanktioniert. Der “Fall Busacca” sorgte über die Landesgrenzen hinaus für Schlagzeilen und Diskussionen.

“Meine Geste von damals lässt sich nicht rechtfertigen”, sagt Busacca gegenüber swissinfo.ch. “Sie hat vielleicht einfach gezeigt, dass ich nur ein Mensch bin.” Wenn die Affäre etwas Positives gehabt habe, sei es vielleicht die Tatsache, die Aufmerksamkeit auf die verbale und tätliche Gewalt in den Stadien und auf den Rängen gelenkt zu haben. Es sei doch eine Schande, dass es in der Schweiz Polizei brauche, um Fussballspiele durchführen zu können.

Die Stinkefinger-Affäre war vielleicht der einzige Knick in einer steilen Karriere. Über die Regionalliga und die Serie B landete Busacca, der sich selbst als schlechten Fussballer bezeichnet, 1996 in der obersten Schweizer Spielklasse. 1999 avancierte er zum Internationalen. Bei der WM 2006 in Deutschland war er als einziger Schweizer Schiedsrichter präsent, 2008 pfiff er bei der Euro das Halbfinale zwischen der Türkei und Deutschland.

Ronaldo verwarnt

Besonders grosse Anerkennung brachte dem Unparteiischen schliesslich im Mai 2009 seine Leistung im Champions League Final zwischen Barcelona und Manchester United in Rom, als er Cristiano Ronaldo Gelb zeigte. Respekt vor Fussballgrössen kennt Busacca nicht. “Auf dem Spielfeld spielt A gegen B, basta”, sagt er.

Dass er international inzwischen mehr Anerkennung erhalte als national, glaubt der Tessiner nicht: “Sonst wäre ich nicht fünf Mal in Folge zum Schweizer Schiedsrichter des Jahres gewählt worden.” Trotzdem ist er im eigenen Land nicht ganz zufrieden. Die Rahmenbedingungen für die Schiedsrichter seien unzureichend, kritisiert er seit Jahren, gerade im Vergleich zu den Profi-Fussballern. Trotz seiner internationalen Karriere arbeitet Busacca noch halbtags als Geschäftsführer für die Kantinen der Kantonsverwaltung im Tessin.

“Schiedsrichter im Visier”

Nur langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass auch Fussball-Schiris hochprofessionelle Arbeit verrichten müssen. Einen Beitrag geleistet hat aber sicherlich der Dokumentarfilm “Les arbitres – Schiedsrichter im Visier” (2009), der inzwischen auch am Schweizer Fernsehen lief.

Da sieht man Busacca bei der Arbeit auf dem Spielfeld, man sieht ihn pfeifen, fluchen und lachen. Auf dem Spielfeld tritt er nicht so herrisch und diktatorenhaft auf wie manche seiner Kollegen, er zeigt sich streng, aber auch kommunikativ und versöhnlich.

Träumt vom WM-Final

Busacca ist ehrgeizig und setzt sich Ziele. Aus seinem Traum, dieses Jahr den WM-Final in Südafrika zu pfeifen, macht er keinen Hehl, “falls die Schweizer Mannschaft nicht in den Final kommt”. Doch er gibt sich zugleich bescheiden. Vor und nach jedem Spiel bekreuzigt er sich: “Ich habe meine Grenzen, und Gott steht mir zur Seite.”

Gerhard Lob, Locarno, swissinfo.ch

Die “International Federation of Football History & Statistics” (IFFHS) wurde am 27. März 1984 in Leipzig gegründet. Sie hatte zuletzt ihren Sitz in Bonn (Deutschland). Der Verband zählt heute 200 Mitglieder (Fussballexperten) aus etwa 120 Ländern.

Ziel der IFFHS ist eine umfassende Dokumentation des Fussballs. Zudem werden Titel wie Welttorhüter und Weltreferee vergeben. Allerdings gibt es insbesondere in der deutschen Medienlandschaft auch Zweifel an den von der IFFHS herausgegebenen Ranglisten.

Der IFFHS unter der Leitung des Ostdeutschen Alfredo Pöge hatte nach eigenen Angaben mit grossen finanziellen Problemen zu kämpfen.

In der Ausmarchung Weltschiedsrichter für das Jahr 2009 wurde Massimo Busacca mit 252 Punkten auf den ersten Platz gewählt, vor Vorjahressieger Roberto Rosetti (Italien) mit 147 Punkten und Howard Melton (England) mit 52 Punkten.

In der ewigen Welt-Schiedsrichter Rangliste (1987-2008) liegt der Italiener Pierluigi Collina auf Rang 1. Bester Schweizer ist Urs Meier auf Rang 10.

Die Ehrung des Siegers Massimo Busacca erfolgt am 1. Februar 2010 in London.

Der Fussballverband hat kein Nachwuchsproblem bei Schiedsrichtern. Die jüngsten sind 13 Jahre alt, pfeifen bei den C-Junioren und erhalten 70 Franken pro Einsatz.

Der Weg an die Spitze ist steil, die Selektion streng:

Wer Spiele der Challenge League leitet, verdient 500 Franken plus Spesen pro Einsatz.

In der Super League kriegt man 1000 Franken und ein Zugbillett der 1. Klasse.

Für einen Einsatz in der Champions League erhält der Hauptschiedsrichter 7500 Franken und darf 1. Klasse fliegen.

Profis gibt es unter den Schweizer Schiedsrichtern noch nicht.

Schiedsrichter Chef Urs Meier hat ein Konzept in Arbeit, das drei Profischiedsrichter vorsieht und die übrigen im Beruf um 20 Prozent entlastet. Rund eine Million Franken würde dies den Verband im Jahr kosten.

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