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“Bestnote verspielt”

Sorgenfalten an der Wall Street in New York. Keystone

Die innenpolitische Blockade sei schuld und der Staat lebe über seine Verhältnisse: Dies die allgemeine Meinung in der Schweizer Presse nach dem "historischen" Entscheid der Ratingagentur Standard & Poor's, den USA die Bestnote als Schuldner abzuerkennen.

“Nun ist also amtlich, was fast alle schon wussten”, kommentiert die Basler Zeitung den Entscheid der US-Ratingagentur S & P, Amerika die Bestschuldner-Note AAA abzuerkennen. “Denn so weiss wirklich jeder, dass jeder weiss, dass jeder weiss.”

Der Unterschied der amerikanischen Schuldenkrise zur europäischen bestehe darin, dass der Dollar keine Gemeinschaftswährung wie der Euro, sondern eine globale Leitwährung sei. Mit anderen Worten: US-Staatsanleihen, denen der Triple-A-Status nun aberkannt sei, seien auch der Massstab für andere Kreditpapiere.

Immer schon gewusst

Auch die Neue Zürcher Zeitung spricht vom S & P-Entscheid als “nicht überraschendem, konsequentem Weckruf”. Eine Finanzplanung, die dauerhafte Defizite vorsehe, ohne dafür Finanzierungsquellen (also Steuererhöhungen) vorzusehen, stelle die Glaubwürdigkeit des Schuldners in Frage.

Nicht die Frage, weshalb dieser “beispiellose Entscheid” gerade dieses Wochenende gefällt wurde, sei wichtig, schreibt die Westschweizer Le Temps. Sondern weshalb die Grösse der US-Verschuldung, “von der man seit Jahrzehnten weiss, dass sie eine Art Zeitzünder-Bombe darstellt”, bei den Rating-Agenturen nicht schon früher ein Stirnrunzeln verursacht habe.

Nur Schwarzer Montag oder gar Double Dip?

Kommt es nun zu vorübergehenden Panikreaktionen oder gar zu einer neuen Rezession? Das Trendwort heisst “Double Dip”: “Eine neue weltweite Rezession, nach der gerade überstandenen Rezession – der gefürchtete Double Dip könnte vor der Tür stehen”, wie die Basler Zeitung(BAZ) schreibt.

Sowohl die BAZ als auch die NZZ zeigen auf, wohin die Reise künftig gehen könnte: Der Ratingsschnitt könne auch eine Wende grundsätzlicherer Art bedeuten: Kapitalmärkte ohne eine einzige Leitwährung (den Dollar) oder die US-Anleihen als Massstab. Damit “könnte sich eine Neuordnung der Weltwirtschaft anbahnen”, kommentiert die BAZ.

Die NZZ nennt das “echte Lösungen”. “Dass Regierungen und Parteien in den USA und in Europa unter dem Druck der Märkte endlich beginnen, die strukturellen Fragen zu diskutieren, lässt hoffen.” Kanada, Finnland oder Schweden hätten sich ähnlichen Herausforderungen bereits erfolgreich gestellt.

Die NZZ macht klar: “Die Zeiten andauernder keynesianischer Nachfragestimulierung muss enden.” Die USA und Europa hätten zu lange über ihre Verhältnisse gelebt.

“Die USA schwächeln, und 14 Mio. Amerikaner sind auf der Suche nach Arbeit”, setzt die Luzerner Zeitung die Gedanken fort. Und das Weisse Haus, das bereits die Präsidentschaftswahlen von 2012 fokussiere, soll endlich ein umfassendes Reformprogramm vorlegen.

Rolle der Ratingagenturen

2008 hätten die Rating-Agenturen “durch lächerliche Gutachten über hochriskante Wertpapiere die Finanzkrise zumindest mitverursacht” und damit ihre Glaubwürdigkeit eingebüsst, kritisiert die Luzerner Zeitung.

Auch werde den ” in den USA beheimateten Bonitätsprüfern oft unterstellt, die Euro-Länder bisher unverhältnismässig kritisch und die USA umso nachsichtiger zu beurteilen” (NZZ). Der Entscheid von S & P, das US-Rating so kurz nach der Einigung der Streitparteien auf das Finanzpaket dennoch herunterzustufen, sei deshalb konsequent.

Amerika suche nun nach den Schuldigen, so Le Temps, und werfe S & P vor, sich in die Politik einzumischen. Man könne S & P wohl vorwerfen, sich ungebeten in die Politik einzumischen, schreibt auch der Tages-Anzeiger, müsse andererseits nach dem Debakel über die Anhebung der Verschuldungsgrenzen aber anerkennen, “dass die US-Politik zu einem gefährlichen Ärgernis geworden ist”.

S & P habe aber nie einen Hehl daraus gemacht, dass ihre Analysten nicht nur Zahlen bewerten, sondern auch politische Prozesse, schreibt die Süddeutsche Zeitung. Und die Machtlosigkeit von Präsident Obama, die Bereitschaft eines Teils der Republikaner, das Land in Geiselhaft zu nehmen, lasse eben Zweifel aufkommen, ob die USA wirklich ihren Schuldendienst unter allen Umständen leisteten.

Doch S & P stehe vorläufig allein mit ihrer Einschätzung: Moody’s habe die Herabstufung als “voreilig” bezeichnet, und auch dritte Agentur, Fitch, halte die USA weiterhin für ein AAA-Land.

Wenn das Rating eines Schuldners von AAA auf AA+ gesenkt wird, heisst das, dass ein Gläubiger nicht mehr die hundertprozentige Sicherheit hat, es zurück zu erhalten.

Folglich steigen die Zinsen für diesen Schuldner, respektive für die USA und ihre Wirtschaft wird es teurer, sich neues Geld zu beschaffen.

Dies wirkt sich negativ auf das Wirtschaftswachstum aus und verstärkt Rezessions-Ängste.

Amerika ist kein Schuldner wie jeder andere. Seine Sonderstellung ergibt sich aus dem Umstand, dass die USA mit ihrem Dollar die Welt- oder Leitwährung stellen.

Auch verschuldet sich der US-Staat nicht in Euro oder Franken, sondern nur in Dollar.

Das heisst, dass die USA im schlimmsten Fall Dollarnoten drucken können, soviel sie wollen, um ihren Verpflichtungen nachzukommen.

Beim “Quantitative Easing” läuft es etwas anders, aber mit demselben Effekt: Die US-Notenbank kauft Staatsanleihen.

Alle anderen Länder würden dann unter der inländisch gemachten US-Inflation mitleiden, respektive würde dies alle nicht-amerikanischen Gläubiger schädigen.

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