Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

“Der Bundesrat macht sich zum Gegner”

Gian Marino Martinaglia, Dylan Karlen und Markus Erb (von links) vom Verein "Bürger für Bürger". Keystone

Der Bundesrat soll sich aus den Abstimmungskämpfen heraushalten. Dieses Ziel verfolgt der Verein "Bürger für Bürger" mit einer Volksinitiative, über die Volk und Stände am 1. Juni entscheiden.

Im Bund seien eigentliche “Propagandaministerien” entstanden, sagte Vereinspräsident Markus Erb am Dienstag vor den Medien in Bern. So werde die Initiative “Volkssouveränität statt Behördenpropaganda” offiziell mit dem empörenden Schimpfwort “Maulkorb-Initiative” schlecht gemacht.

Der vom Parlament ausgearbeitete indirekte Gegenvorschlag sei keine Alternative, sagte Erb. Sollte die Initiative verworfen werden, werde sich der Verein ein Referendum dagegen überlegen. Dafür sind in der Schweiz 50’000 gültige Unterschriften nötig.

PR-Lawine

Verärgert zeigten sich die Initianten vor allem über das “immer häufigere Auftreten” von Bundesräten im eigentlichen Abstimmungskampf. Das habe nichts mehr damit zu tun, dass das Volk wissen solle, wie der Bundesrat zu einer Vorlage stehe, sagte Erb.

Im Vorfeld wichtiger Abstimmungen nehme der Bundesrat immer stärker auf die Meinungsbildung der Bürgerinnen und Bürger Einfluss, sagte Gian Marino Martinaglia vom Ja-Komitee.

Mit Hochglanzbroschüren, CDs und Mustervorträgen werde auf allen Medienkanälen mit einer “PR- Lawine” versucht, Vorlagen zu gewinnen.

Zu hohe Ausgaben

Die Initianten kritisierten zudem die Kommunikationsausgaben des Bundes, die jährlich zwischen 60 und 80 Millionen Franken ausmachten. Hinzu kämen die 140 Millionen Franken an externe Agenturen zum Lobbying und zur Beeinflussung politischer Entscheidungsträger.

Die Initianten zeigten sich zudem überzeugt davon, dass die jahrzehntelange, erfolgreiche und von der Initiative wieder aufgegriffene Praxis zu mehr sachlicher Information beitragen werde. Damals wurde unterschieden zwischen einer Zeit bis zum Abschluss der parlamentarischen Beratung und einer Phase des eigentlichen Abstimmungskampfes.

Bundesrat wird Partei

Die Volksinitiative sichere eine faire und ehrliche Information, sagte Komitee-Mitglied Dylan Karlen.

Der Bundesrat mache sich mit seinem Eingreifen in die Abstimmungskämpfe zum Gegner eines Teils der Bevölkerung. Dies fördere auch die in den letzten Jahren erlebte Polarisierung.

Die Information der Landesregierung müsse auf das Bundesbüchlein und einen kurzen Auftritt an Radio und Fernsehen beschränkt werden, betonte Karlen.

Mehr

Mehr

Volksinitiative

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Volksinitiative erlaubt den Bürgerinnen und Bürgern, eine Änderung in der Bundesverfassung vorzuschlagen. Damit sie zu Stande kommt, müssen innerhalb von 18 Monaten 100’000 gültige Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht werden. Darauf kommt die Vorlage ins Parlament. Dieses kann eine Initiative direkt annehmen, sie ablehnen oder ihr einen Gegenvorschlag entgegenstellen. Zu einer Volksabstimmung kommt es…

Mehr Volksinitiative

“Ständige Berieselung”

Gar keinen Gefallen findet das Initiativkomitee am indirekten Gegenvorschlag, der den Bundesrat dazu verpflichtet, kontinuierlich, sachlich, transparent und verhältnismässig über eine Vorlage zu informieren. So würden Bürgerinnen und Bürger einer “ständigen Berieselung” durch die Behörden ausgesetzt.

Würde der Gegenvorschlag in Kraft treten, würden dem Bundesrat unter dem Vorwand der kontinuierlichen Information unbeschränkt Mittel zur Beeinflussung der Stimmberechtigten zur Verfügung stehen.

“Die freie Willensbildung und damit auch das Recht auf Initiative und Referendum wird praktisch abgeschafft,” sagte Erb.

Weiter sieht der Gegenvorschlag vor, dass Bundesrat und Behörden keine von der Haltung der Bundesversammlung (Parlament) abweichende Abstimmungsempfehlung zu vertreten hätten.

Dieser Vorschlag gebe einer völlig anderen politischen Haltung und damit einer anderen Sicht der Dinge Ausdruck, betonte Erb. Zudem sei die Verpflichtung, keine vom Parlament abweichende Empfehlung vertreten zu dürfen, “wirklich ein Maulkorb”.

swissinfo und Agenturen

Die Initiative “Volkssouveränität statt Behördenpropaganda” des Komitees “Bürger für Bürger” wurde im August 2004 mit rund 106’000 gültigen Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht.

Sie will die Information der Regierung vor Abstimmungen auf einen kurzen Auftritt des für eine Vorlage verantwortlichen Bundesrats und auf die schriftlichen Abstimmungsunterlagen beschränken. Darin sollen die Argumente beider Seiten “ausgeglichen” dargelegt werden.

Über die Initiative entscheidet das Schweizer Stimmvolk im In- und Ausland am 1. Juni brieflich oder an der Urne. Da eine Volksinitiative immer eine Änderung der Bundesverfassung verlangt, sind das Volksmehr und das Ständemehr, also eine Mehrheit der Kantone, ausschlaggebend.

Die Volksinitiative wird vom Bundesrat und von der Mehrheit des Parlaments abgelehnt.

Letzten Februar hat das Stimmvolk des Kantons Uri eine kantonale Initiative der SVP deutlich verworfen, welche Aktivitäten der Kantonsregierung im Vorfeld von Abstimmungen verbieten wollte.

Der Bundesrat lehnt die Initiative ab. Die Bürger hätten ein Recht auf Meinungsbildung, sagte Bundespräsident Pascal Couchepin.

Deshalb müssten sie vor Abstimmungen auch die Meinung des Bundesrats kennen.

Dagegen befürwortet der Bundesrat den indirekten Gegenvorschlag zur Initiative, der bei einem Nein zur Initiative in Kraft tritt.

In diesem verlangt das Parlament, dass die Regierung über eine Vorlage sachlich, transparent und verhältnismässig informiert. Aggressive Abstimmungspropaganda ist dem Bundesrat aber untersagt.

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft