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“Föderalismus will die Zersplitterung der Macht”

Die 26 Kantone wollen mehr Gewicht im Bundeshaus. Ulrich Nusko

Der Politikwissenschafter und ehemalige Botschafter in den USA, Alfred Defago, plädiert für einen Föderalismus als "permanente Baustelle". An der Föderalismus-Konferenz in Baden referierten auch Hugo Loetscher und zahlreiche Kantonspolitiker.

Alfred Defago lebt seit anderthalb Jahrzehnten in den USA, einem Land, das selbst zu den wenigen Föderalstaaten auf der Welt zählt. “Schon ein Blick auf die Europakarte zeigt, dass echte föderalistische Staaten eher Exoten sind”, sagte er in seinem Referat in Baden.

In der EU sind es nur Deutschland, Österreich und Belgien. Im globalen Kontext nannte Defago neben den USA Australien, Kanada und Indien.

Bei seinem Vergleich zwischen dem amerikanischen und dem schweizerischen System fällt als erstes der Grössenunterschied auf und auch die Tatsache, dass die Schweiz im Gegensatz zu den USA keine starken “Leader” wolle.

“Die Kleinheit der Schweiz ist zweifellos eine Herausforderung für den Föderalismus, denn sie kann zu Kleinkariertheit und Kantönligeist führen”, sagte Defago gegenüber swissinfo. Aber die Stärke des schweizerischen Föderalismus sei, dass er von unten gewachsen sei.

Defago, der als Dozent für Internationale Beziehungen an der University of Wisconsin-Madison und der Florida Atlantic University wirkt, betonte das Element der Machtkontrolle: “Föderalismus meint – und will ganz bewusst – die Zersplitterung der Macht.”

“Permanente Baustelle”

Der Föderalismus sei kein starres System, sondern ein Prozess, etwas das sich weiterentwickle. Mit anderen Worten: “Eine permanente Baustelle, die für neue Lösungen offen bleiben muss.”

Die nationale Föderalismus-Konferenz in Baden stellte die Frage nach der Wirtschaftlichkeit und Effizienz des Föderalismus angesichts des globalen Wettbewerbs.

Dazu sagte Defago, dass etwa das zentralistisch regierte Frankreich mindestens so grosse Probleme mit der Effizienz habe wie die Schweiz oder Deutschland.

Über die Kantone hinaus

Die vom Bund, der Konferenz der Kantonsregierungen und dem Kanton Aargau als Gastgeber organisierte Föderalismus-Konferenz widmete sich während zwei Tagen mit parallel durchgeführten Podiumsgesprächen unterschiedlichen Aspekten des Föderalismus und seiner Grenzen.

Christian Levrat, der neue Präsident der Sozialdemokratischen Partei (SP) der Schweiz, vertrat die These, dass unsere Wohlfahrt nicht in den Kantonen entschieden werde, sondern in grösseren Einheiten. So sei der Wettbewerb zwischen den Hochschulen kein kantonaler, sondern vielmehr ein internationaler.

Wie negativ sich ein Wettstreit zwischen den Kantonen für das ganze Land auswirken kann, erläuterte Levrat am Beispiel der amerikanischen Biotechnologiefirma Amgen, die einen Standort in der Westschweiz ins Auge gefasst hatte.

“Die Kantone Waadt und Freiburg haben sich so lange bekämpft, um Amgen für sich zu gewinnen, bis sich die Firma schliesslich ganz von der Schweiz abwandte und sich für einen Standort in Irland entschied”, sagte der Sozialdemokrat aus dem Kanton Freiburg.

“Wettbewerb ist zwar schön…”

Alain Thierstein, Ökonom und Professor für Raumentwicklung, stellte die Frage, wie die kleine, offene Volkswirtschaft der Schweiz leistungsfähiger gemacht werden könne. “Die Innovationskraft ist das entscheidende Kriterium für die Zukunft des Landes”, antwortete er selbst.

In der Schweiz sei der Steuerwettbewerb ein Dauerthema, doch das Land müsse einen Qualitätswettbewerb führen, wenn es mehr Wohlfahrt für alle erreichen wolle. “Wettbewerb ist zwar schön, aber auch ziemlich aufwändig und kompliziert”, ergänzte er.

Latein als Landessprache

Luzid und humorvoll verhalf der Schriftsteller Hugo Loetscher an der Konferenz dem Föderalismus zu einer Philosophie. Welches könnte in einem viersprachigen Land die verbindende Sprache sein, fragte er listig.

“Glücklicherweise gibt es Latein”, sagte er in Anspielung auf das CH (für Confoederatio Helvetica) auf unseren Autoschildern, Pro Helvetia und Pro Senectute. “Freundeidgenössisch einigte man sich auf eine Sprache, die der andere auch nicht spricht.”

swissinfo, Susanne Schanda

Am 27. und 28. März hat in Baden im Kanton Aargau die nationale Föderalismus-Konferenz stattgefunden.
Rund 300 Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur beschäftigten sich mit dem Thema “Der Schweizer Föderalismus unter Effizienzdruck. Was sind die Perspektiven?”
Organisiert wurde die Konferenz vom Bund, der Konferenz der Kantonsregierungen und dem Kanton Aargau als Gastgeber.
Die 1. nationale Föderalismus-Konferenz fand 2005 in Freiburg statt.

Die Schweiz ist aus dem Zusammenschluss der souveränen Kantone entstanden und hat 1848 den Bundesstaat gebildet (Confoederatio Helvetica).

Die Kantone haben gewisse Befugnisse wie Aussenpolitik und Verteidigung an den Bund delegiert. Dagegen haben sie Souveränität bei den Steuern, der Ausbildung, der Gesundheit, der Polizei, der Justiz und der Raumplanung.

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