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“Gratisblätter betrachte ich als entbehrlich”

Trotz Online- und Gratiszeitungskonkurrenz: Peter Studer befürchtet keinen Flächenbrand bei den Qualitätsprintmedien. swissinfo.ch

Wieder steht eine etablierte Schweizer Zeitung, der Berner Bund, vor dem Aus. Andererseits drängt Die Zeit aus Deutschland auf den Schweizer Markt. Medienexperte Peter Studer analysiert.

swissinfo: Der Berner Bund, das Traditionsblatt der Schweizerischen Hauptstadt, wird kaum mehr lange existieren. Was bedeutet das für den Medienstandort Bern?

Peter Studer: Grundsätzlich begrüsse ich publizistische Konkurrenz. Auf dem Platz Zürich gibt es eine fast ideale Kombination: Ein linksliberales Blatt – um Haaresbreite links der Mitte – (Tagesanzeiger) und ein eher rechtsliberales (Neue Zürcher Zeitung, NZZ) stehen in einem täglichen Wettbewerb.

In Bern gab es diese Konkurrenz bis jetzt zwischen dem liberal-freisinnigen Bund, einer Hauptstadtzeitung mit starker Betonung des politischen Gehalts, und der Berner Zeitung, einem Konglomerat von vielen kleineren Zeitungen, die sich erfolgreich zu einer etwas blassen Forumszeitung zusammengeschlossen haben.

Die beiden Redaktionen waren in ihren wesentlichen Teilen getrennt. Blättert man die beiden Zeitungen durch, sieht man durchaus unterschiedliche Strategien in der Analyse und in der Kommentierung.

Wenn diese Konkurrenz in Bern nicht mehr spielen sollte, würde ich das sehr bedauern.

swissinfo: Der Bund kränkelt ja schon eine ganze Weile. Was sind die Gründe für seinen Niedergang?

P.S.: Jetzt setzt die Schlussphase ein. Die wesentlichen Fehler wurden sehr viel früher begangen. Die Verlegerschaft des Bundes hat sich während langer Zeit zu wenig strategisch um die Zeitung gekümmert, auch nachdem Ringier und die Neue Zürcher Zeitung an Bord geholt worden waren. Die Vernachlässigung erfolgte im verlegerischen Bereich, nicht im publizistischen.

swissinfo: Wer ist der/die nächste? Muss man gar um die NZZ bangen?

P.S.: Nein, das glaube ich nicht. Bern ist nur eine in einer langen Reihe von mittleren bis grösseren Städten, die diese Entwicklung durchgemacht haben.

Denken Sie an Basel, wo die beiden grossen Zeitungen schon Mitte der Siebzigerjahre fusionierten. Ich bin in Luzern aufgewachsen mit vier Tageszeitungen. Jetzt gibt es noch eine.

Zürich ist schon fast eine Ausnahme in der deutschen Schweiz. Die NZZ wird meiner Meinung nach weiter leben. Sie ist eine nicht nur lokal, sondern auch national und international bedeutende Tageszeitung auf sehr hohem Niveau.

Die NZZ muss durchhalten, gerade jetzt, wo die Inseratenlage negativ ist. Sie muss einfach mit einer schwarzen statt einer roten Null über die Runden kommen.

Hoffentlich beweist sie genügend Weitsicht, um nicht im qualitativ-redaktionellen Bereich zu sparen.

swissinfo: Die Presselandschaft wird durch immer mehr Konzentration und dadurch weniger Konkurrenz geprägt. Ist das problematisch für die Qualität der Inhalte?

P.S.: Das darf man nicht pauschal beurteilen. Die Deutschschweizerische Presselandschaft ist immer noch sehr vielfältig. Und: Viele Konzentrationsbemühungen in den letzten 20 Jahren kamen der Qualität zugute.

Ich denke hier an eine Reihe von mittelgrossen Zeitungen, die sich in Zeitungsverbünden reorganisiert haben. Der Verbund produziert einen gemeinsamen Mantel: Ausland, Inland, Wirtschaft, Kultur. Jede angeschlossene Zeitung bietet einen starken, eigenen Lokalteil.

swissinfo: Sind die Gratisblätter für die Konsumenten eine Bereicherung?

P.S.: Die Gratiszeitungen, die in den letzten zwei Jahren wie Pilze nach dem Sommerregen aus dem Boden schossen, beginnen sich jetzt gegenseitig zu kannibalisieren – wie schon in Paris und London. Von dem halben Dutzend, das jetzt noch da ist, werden vielleicht zwei überleben.

Eine Ausnahme ist 20Minuten, das Erfolgsmodell des Tamedia-Konzerns. Das ist eine Geldmaschine mit wenig Kosten und hohen Werbeerträgen.

Die Leistung der Gratiszeitungen bewegt sich im Nachrichtenbereich. Aber wir sind ja heute überbenachrichtigt und unterinformiert. In diesem Sinn betrachte ich die Gratisblätter als entbehrlich.

swissinfo: Ist unter den verhärteten Bedingungen eine unabhängige Berichterstattung überhaupt möglich?

P.S.: Dass sie möglich ist, sehen wir an den nationalen und regionalen Qualitätszeitungen. Das Niveau dieser Erzeugnisse ist im europäischen Vergleich recht gut.

swissinfo: Wie könnte die Qualität der Presse auch in Zukunft gewährleistet werden?

P.S.: Alle früheren Parlaments-Vorstösse zur direkten Presseförderung sind gescheitert. Dafür haben wir eine stark regulierte Radio- und Fernsehlandschaft, wie wir in den letzten paar Wochen bei der Konzessionszuteilung durch Medienminister Leuenberger erlebt haben.

In Bezug auf die gedruckten Medien gibt es ausser einer bescheidenen Subventionierung der Postverteilung eigentlich nichts. Und das will die herrschende politische Meinung offenbar so behalten.

swissinfo: Und was sehen Sie persönlich für ein Potential?

P.S.: Im Moment müssen die Qualitätszeitungen ein wenig den Kopf einziehen, sehr besonnen handeln.

Sie müssen darauf vertrauen, dass mit der massiv wachsenden Zahl der Fachhochschul- und Universitätsabsolventen hoffentlich ein Publikum heranwächst, das von der Zeitung auch Analysen und Kommentare erwartet – selbst wenn es etwas kostet.

swissinfo: Die deutsche Wochenzeitung Die Zeit hat eine Schweiz-Auflage gestartet. Ist das eine Bereicherung?

P.S.: Wir haben seit kurzem eine Galerie von Sonntagszeitungen. Aber sonst ist der Wochenzeitungsbereich im Moment ziemlich ausgedünnt. Wir haben die Weltwoche, die einen sehr eigenwilligen politischen Rechtskurs verfolgt. Und das so prägnant, dass viele Leute das eben nicht lesen wollen.

Andere sind verschwunden. Ich denke an Facts, das letzte Opfer des Wochenzeitungssterbens.

Die Funktion einer nachhaltigen Analysierung und Kommentierung kann natürlich eine Wochenzeitung besonders gut leisten. Auf den Nachrichtenschrott kann sie verzichten.

Für eine liberal eingefärbte Wochenzeitung mit einem guten Schweizerischen Angebot besteht da durchaus eine Möglichkeit.

Allerdings sind da andere bereits gescheitert, der Spiegel zum Beispiel.

swissinfo: Weshalb investieren alle Printmedien so stark in den Online-Bereich?

P.S.: Tamedia hat soeben einen grossen Online-Verbund ins Leben gerufen, der auch die Basler Zeitung und die beiden Zeitungen in Bern mitbedient.

Die Online-Portale bieten eine Ergänzung zu den Tageszeitungen. Diese besteht in der sehr raschen Bedienung der wachsenden Anzahl Menschen, die den Grossteil des Tages am Computer verbringen und dort schnell auch massenmediale Informationen aufnehmen wollen. Nicht nur Nachrichten, sondern auch zusammengesuchte Ergänzungen.

Überhaupt ist das Internet für Kleininserate – weil sofort nach dem Kaufakt löschbar – höchst nützlich. Das bricht bei den Tageszeitungen weg.

swissinfo-Interview: Etienne Strebel

Peter Studer ist 1935 geboren und in Luzern aufgewachsen.

Er hat in Zürich und Paris Rechte studiert.

Für den Zürcher Tages-Anzeiger war er unter anderem als USA- und Bundeshauskorrespondent tätig. 1978-1987 wirkte er als Chefredaktor und von 1987-1989 in der Geschäftsleitung.

1989 wechselte er zum Schweizer Fernsehen (SF). Er leitete dort als Chefredaktor die Abteilung Information und später auch Kultur.

Seit 2000 arbeitet er als freier Publizist, aber auch als Dozent an Fachhochschulen und Universitäten.

Von 2001 bis Ende 2007 präsidierte er den Schweizer Presserat.

Publikationen:

“Medienrecht für die Praxis”
“Kunstrecht”

Daneben publizierte er zahlreiche Aufsätze in Tageszeitungen, Fachzeitschriften und Sammelbänden

2005 verlieh ihm die Universität St. Gallen die Ehrendoktorwürde für Verdienste um Medienethik, Medienrecht und Kunstrecht.

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