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“Informatik ist nicht sexy”

Informatik ist mehr als nur die Vernetzung von Computern. Keystone

In der Schweiz gilt die Informatik als Schlüsseltechnologie. Trotzdem hat das als Jahr der Informatik ausgerufene 2008 keinen grossen Widerhall gefunden. Der emeritierte ETH-Professor Carl August Zehnder zieht Bilanz.

swissinfo: Das Gros der Bevölkerung scheint vom Jahr der Informatik nicht viel mitbekommen zu haben. Weshalb?

Carl August Zehnder: Leider ist das so. Wir wussten natürlich schon zum Voraus, dass wir Konkurrenz haben würden, zum Beispiel durch die Euro 08.

Aber das war nicht das Hauptproblem. Leider ist die Informatik heute für die Öffentlichkeit schlicht kein Thema. Sie ist für die Jungen selbstverständlich und für die Alten nicht präsent.

Informatik ist für unsere Gesellschaft eine Infrastruktur geworden. Und Infrastruktur ist nicht sexy. Infrastruktur ist selbstverständlich: Man schimpft, wenn es schief läuft. Aber man reagiert überhaupt nicht, wenn es läuft.

swissinfo: Wurden die Ziele des Jahrs der Informatik nicht erreicht?

C.A.Z.: Doch, teilweise. Als Erfolg können wir die Entwicklung an den Kantonsschulen und Gymnasien verbuchen, wo das Ergänzungsfach Informatik eingeführt wird.

Zudem konnten die Kontakte innerhalb der Informatikwelt verbessert werden. Den Profis ist bewusster geworden, was auf diesem Gebiet läuft. Verbands-Zusammenschlüsse sind in Vorbereitung.

In der Öffentlichkeitsarbeit stehen wir aber nicht dort, wo wir sein wollten.

swissinfo: Wie meinen Sie das?

C.A.Z.: Ich illustriere das mit folgendem Beispiel: Der 29. August wurde von uns als “Tag der Informatik” aufgezogen. An unseren Veranstaltungen im Technopark und am Turbinenplatz in Zürich haben gut 10’000 Leute, darunter viele Schüler, mitgemacht. Auch Bundesrat Leuenberger war anwesend.

Berichtet haben die elektronischen Medien darüber nicht. In den Radio-Frühnachrichten wurde über die Informatik nur negativ vermeldet, dass das Informatik-Projekt zwischen der Zürcher und der Waadtländer Kantonalbank geplatzt sei.

10’000 Menschen reichen somit nicht, dass über einen Informatikevent berichtet wird. Bei einem Botellòn, einem Massenbesäufnis, genügen dagegen wenige Hundert.

swissinfo: Worauf ist das zurückzuführen? Schreitet in der Informatik die Entwicklung zu rasant voran?

C.A.Z.: Nochmals: Weil Informatik Infrastruktur ist! Aber diese ist ebenso wie das Wissen über die Informatik gar nicht so kurzlebig. Wir müssen aber zwischen Konzeptwissen und Produktwissen unterscheiden.

Das Produktwissen ist kurzlebig. Wenn ich einen neuen Computer kaufe, muss ich schon nach kurzer Zeit neue Dinge anschaffen, seien es Programme oder Geräte. Ein Hauptgrund: Die Industrie will ihre Produkte verkaufen und bringt daher laufend Neuerungen. Das kennen wir alle. Aber das ist Produktwissen.

Auf der anderen Seite gibt es das viel langlebigere Konzeptwissen über Grundsätzliches in der Informatik. Vermittelt wird Konzeptwissen namentlich an den Hochschulen, denn wir dürfen den Studierenden nicht mehrere Jahre lang Wissen vermitteln, das nach zwei Jahren obsolet ist. Wir geben ihnen Wissen mit, das 10 Jahre und mehr hält.

swissinfo: Was schlagen Sie vor, um die Unterscheidung von Konzept- und Produktwissen in die Öffentlichkeit zu tragen?

C.A.Z.: Wir müssen fertigbringen, dass die Öffentlichkeit das langlebige Konzeptwissen überhaupt wahrnimmt. Die grössten Knacknüsse liegen dabei heute bei den Gymnasien.

Leider wird dort in Informatik-Einführungskursen heute nicht mehr Informatik vermittelt, sondern blosse Informatik-Anwendung, etwa die Bedienung von Excel und Word. Das hat mit Informatik nichts zu tun.

Wenn Mittelschülerinnen und Mittelschüler nur solches Produktwissen lernen, verstehen sie anschliessend von wirklicher Informatik so wenig wie der Rest der Bevölkerung. Informatikanwendung studiert man nicht. Denn Schreibmaschinenschreiben hat man früher auch nicht studiert. Man hat Schreibmaschinen benützt, wie Textverarbeitung heute.

Die Mittelschulen präsentieren heute viel zu wenig echte, anspruchsvolle Informatik. Die gäbe es. Aber es fehlen vielerorts die Lehrkräfte dazu.

swissinfo: Was würden Sie heute an einer Mittelschule als Informatik vermitteln?

C.A.Z.: Wer heute eine Matur macht, sollte wissen, wie Automaten grundsätzlich funktionieren. In einem Automaten wiederholen sich Abläufe, die unter bestimmten Bedingungen auch gestoppt werden können. Und genau darum geht es beim Programmieren, nicht um die Entwicklung umfangreicher Programme für die Praxis.

In der Druckknopf-Generation, in der wir leben, müssen aber alle Studierenden wenigstens im Prinzip verstehen, was passiert, wenn sie auf einen Einschaltknopf drücken. Und sie müssen wissen, was Daten sind und wie Information gewonnen werden kann – alles immaterielle Güter.

Das gehört zur Informatik, der neuen Grundwissenschaft des 21. Jahrhunderts. Genau analog wurden im 20. Jahrhundert Physik, Biologie und Chemie in die Schule integriert.

swissinfo-Interview: Etienne Strebel

Das Jahr der Informatik war ein Projekt zur Förderung der Informatik in der Schweiz.

Mit vier nationalen Grossveranstaltungen unter Mitwirkung von Bundesräten, mit regionalen Events sowie Medien- und Informationskampagnen in allen Landessprachen wollten die Veranstalter auf die Bedeutung der Informatik für die Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft hinweisen.

Ziel war, das Interesse der Jugendlichen an der Informatik zu wecken. Dabei waren die Mädchen eine wichtige Zielgruppe.

Am 10. Dezember wurden die Gewinner des Scratch-Wettbewerbs ausgezeichnet. Scratch ist eine interaktive Programmiersprache, die es Kindern und Jugendlichen ermöglicht, auf spielerische Art in die Welt des Programmierens einzutauchen.

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