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“Italien könnte die Steuerabkommen verzögern”

Wird das Bankgeheimnis im 2011 weiter aufgeweicht? Ex-press

In den nächsten Wochen beginnen die Verhandlungen mit Deutschland und Grossbritannien zur Lösung des Steuerstreits. Opposition dagegen kommt insbesondere von Finanzminister Giulio Tremonti, der auf eine einheitliche europäische Lösung pocht.

Ende Oktober einigten sich der ehemalige Finanzminister Hans-Rudolf Merz und der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble darauf, Verhandlungen im Steuerbereich aufzunehmen.

Auf Geldern von deutschen Bankkunden in der Schweiz soll künftig eine Abgeltungssteuer erhoben werden, die anonym an die Steuerbehörde in Berlin weitergeleitet wird.

Kurz zuvor hatte Merz mit Grossbritannien eine ähnliche Vereinbarung erzielt.

Neue EU-Richtlinie

Mit der Einigung auf eine Abgeltungssteuer mit zwei wichtigen EU-Ländern versucht die Schweizer Regierung, den von der EU geforderten automatischen Informationsaustausch abzuwehren.

Anfangs Dezember haben sich die EU-Finanzminister auf die neue EU-Richtlinie zur Amtshilfe geeinigt. Der EU-Steuerkommissar sieht darin einen Erfolg im Kampf gegen Steuerbetrug und Bankgeheimnis.

In der Richtlinie ist der automatische Informationsaustausch festgehalten. 25 EU-Staaten wenden ihn an. Die Schweiz erhebt wie Österreich und Luxemburg eine Quellensteuer, allerdings mit einer Übergangsklausel. Diese könnte nach den letzten Kompromissvorschlägen für die Revision der Richtlinie 2014 oder 2015 zu Ende gehen.

Tremontis Kritik

“Das Abkommen wird dem Ansinnen, bilaterale Verträge abzuschliessen ein Ende setzen”, sagte der italienische Finanzminister Giulio Tremonti.

Bereits vor dem Besuch von Bundesrat Johann Schneider-Ammann im November in Rom hatte Tremonti jene EU-Staaten kritisiert, “die versuchen, mit der Schweiz bilaterale Steuerabkommen abzuschliessen”.

Man könne sich fragen, ob die EU aus rechtlicher Sicht befugt sei, ihren Mitgliedsländer zu verbieten, mit einem Nicht-EU-Mitgliedsland einen Kompromiss zu schliessen, sagt Marco Bernasconi, Professor an der Universität im Tessin und an der juristischen Fakultät der Universität Bocconi in Milano.

“Wenn Tremonti die EU-Richtlinie nur unter der Bedingung gutheisst, dass die bilateralen Verhandlungen mit der Schweiz gestoppt würden, könnten daraus grosse Probleme entstehen”, so Bernasconi. “Es ist nicht gesagt, dass Italien die bilateralen Verträge blockieren kann, aber sicher ist, dass diese um Jahre verzögert werden könnten.”

Abkommen über Grenzgänger

Die Schweiz hat indes mit dem Abkommen über Grenzgänger noch einen Trumpf in der Hand. Gemäss dem Abkommen, das auf das Jahr 1974 zurückgeht, fliessen 38,8% der Quellensteuer, welche die Kantone Tessin, Graubünden und Wallis bei den italienischen Grenzgängern erhebt, nach Italien.

Eine Möglichkeit wäre für die Schweiz, diesen Satz aufzukündigen oder ihn neu zu verhandeln und ihn – analog zu dem Abkommen mit Österreich – bei 12,5 Prozent anzulegen, so Bernasconi.

“Bankentradition wird weiterleben” 

Bernasconi glaubt nicht, dass ein Wirtschaftsaufschwung den Druck auf die Schweiz abschwächen würde. Die Tatsache, dass die Staaten sich verschuldeten, um ihren Finanzsektor zu retten, sei nur einer von vielen Gründen dafür gewesen, dass sie dem Bankgeheimnis entschiedener den Kampf ansagten, sagt Bernasconi.

“Das Schweizer Bankgeheimnis, so wie es in den letzten 50 Jahren bestanden hat, gibt es nicht mehr”, sagt Bernasconi. Er ist jedoch überzeugt, dass die Bankentradition in der Schweiz auch ohne Bankgeheimnis weiterleben wird.

Bereitet sich die Schweiz nicht auf den Wegfall des Bankgeheimnisses vor, geht sie hohe Risiken ein. Zu diesem Schluss kommen Studien, welche die SP in Auftrag gegeben hat. 

In seiner Studie hat Professor Teodoro Cocca von der Universität Linz untersucht, was geschehen würde, wenn die Schweiz in ein paar Jahren auf Druck von aussen ohne Vorbereitung das Bankgeheimnis aufgeben müsste. 

Bei einem plötzlichen, erzwungenen Wegfall des Bankgeheimnisses im Jahr 2016 würden laut Studie alle nicht-deklarierten Gelder abfliessen, was einem Abfluss von rund 700 Mrd. Franken entspräche. Die Erträge im Jahr 2016 würden damit um 50% sinken.

Der schlimmste Fall hätte gravierende Folgen für die gesamte Wirtschaft: Gemäss Berechnungen der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich wäre eine Rezession nicht zu vermeiden.

Bisher habe die Schweiz immer nur kurzfristig versucht, Schaden abzuwenden. Nun müsse sie aktiv werden und beginnen, langfristig zu denken, so der Freiburger SP-Ständerat Alain Berset.

Mit Vorstössen im Parlament möchte die SP den Bundesrat beauftragen, zur Stärkung des Finanzplatzes eine umfassende Qualitätsstrategie zu erarbeiten. Die Standortqualität des Vermögensverwaltungsgeschäfts soll laut Motionstext auf “Exzellenz der Dienstleistung” statt der Ausreizung des Bankgeheimnisses aufbauen.

(Adaption aus dem Italienischen: Corinne Buchser)

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