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“Jackos” Songliste – vom Radio verbannt?

Michael Jackson wendet sich an seine Fans. Keystone

Nach dem Prozess-Auftakt gegen Michael Jackson haben drei Westschweizer Radios seine Lieder von der Songliste verbannt.

In der Deutschschweiz werden sie weiterhin gespielt. Bei einer Verurteilung droht dem “King of Pop” aber überall ein Bann.

Sollen die Anschuldigungen des Kindsmissbrauchs, deretwegen Michael Jackson in den USA vor Gericht steht, dazu führen, dass Radiostationen seine Songliste verbannen?

In der Schweiz sind die Meinungen geteilt. Die meisten Radios halten sich vorerst an die Unschulds-Vermutung. Andere haben Jacksons Songs bereits vom Programm genommen.

“Eigentlich sollte man die Person vom Künstler trennen”, sagt Joel Perrier von Radio Rhône FM gegenüber swissinfo. “Jackson war wirklich während der achziger Jahre der King of Pop. Seine alten Lieder sind unersetzlich.”

“Die Pädophilie hingegen, da gibt es nichts Abstossenderes”, urteilt der Programmverantwortliche des Walliser Senders weiter. Wie die meisten seiner Berufskollegen hält er sich jedoch an die Regel, dass jemand unschuldig ist, solange nicht das Gegenteil nachgewiesen wurde.

Was tun mit den “Jackson Five”?

Auch Patrick Wyss von Radio Pilatus (Luzern) wird das Gerichtsurteil im Prozess Jackson abwarten, bevor er entscheidet, die Jackson-Lieder aus dem Programm zu streichen.

Ganz so einfach sei das nicht, sagt er gegenüber swissinfo. “Was macht es für einen Sinn, die Lieder der Jackson Five raus zu streichen, die schon 30 Jahren alt sind?”, fragt sich der Programmleiter des meist gehörten Radios der Zentralschweiz.

“Kommt dazu”, so Wyss, “das die Musik-Geschichte reich an Personen ist, die eine kriminelle Vergangenheit aufweisen – inklusive sexuellem Missbrauch”.

Nur ansagen – ohne Sprüche

“Im Zweifelsfall für den Angeklagten”, sagt auch Susanne Spreiter, Musikleiterin von DRS 3. Die Programmleitung habe deshalb entschieden, die Musik von Jackson beizubehalten. Doch dürfen die Songs nur angesagt und dazu keine Sprüche gemacht werden.

Wenn die Lieder bereits jetzt nicht mehr gespielt würden, käme das einer Vorverurteilung gleich, sagte Spreiter. Bei einer Verurteilung von Jackson würde DRS 3 aber aus Pietätsgründen dessen Songs nicht mehr spielen. Sonst würden die Gefühle von Menschen verletzt, die selber von sexuellem Missbrauch betroffenen seien.

Ähnlich tönt es bei Radio Basilik und Radio 24. Solange kein Urteil gefallen sei, würden die Songs von Jackson weiterhin gespielt, hält Andreas Meier, Musikchef der beiden Radios, fest.

Nach Verurteilung vorerst keine Songs mehr

Bei einer Verurteilung würden die Songs vorerst nicht mehr gespielt. Nach einigen Monaten müsste man aber neu entscheiden.

Bei Radio Extra Bern ist noch kein Entscheid gefallen. Vorläufig gelte die Unschulds-Vermutung und die Jackson-Songs würden gespielt, sagt Chefredaktor Rolf Blaser.

Zurückhaltung übt das St. Galler Radio aktuell. Bereits als die Vorwürfe gegen Jackson laut geworden seien, habe es Hörerreaktionen gegeben, erklärt Programmleiter Martin Oesch. Deshalb würden sehr wenig Jackson-Songs gespielt.

Rücksicht auf Radiohörer

Gar keine Jackson-Songs laufen mehr bei den Westschweizer Privatradios Lausanne FM, One FM und Radio Lac, wie Vertreter dieser Radios einen Bericht der Tageszeitung “Le Matin” vom Donnerstag bestätigen.

Sie begründen ihren Bann vor allem mit Rücksicht auf das Publikum, das sehr empfindlich auf Pädophilie-Vorwürfe reagiere.

Beim öffentlich-rechtlichen Sender der Westschweiz, Radio Suisse Romande (RSR), hält jedoch vorerst an Jackson-Songs fest. RSR-Programmdirektorin Isabelle Binggeli macht dabei die Unschuldsvermutung geltend. Zudem will sie klar unterscheiden zwischen dem künstlerischen Schaffen und dem Verhalten Jacksons.

“MJ” – bereits ein Dinosaurier?

Wie auch immer der Prozess in Kalifornien ausgehen mag, eines steht fest: Michael Jacksons Musik gehört heute nicht mehr zu den ganz grossen Rennern. Radiostationen für die ganz jungen Zuhörer senden praktisch nur noch die Hits der letzten zehn Jahre – in diesem Pantheon figuriert “MJ” schon gar nicht mehr.

“Michael Jackson ist diskografisch gesehen nicht mehr erste Aktualität”, urteilt Olivier Lechaire, Programmverantwortlicher von Radio Fribourg, wo nur noch Jackos alte Songs aufgelegt werden.

Wie viele andere Musik-Dinosaurier hat auch Jackson, inzwischen 46 Jahre alt, auf Weihnachten eine Kompilation und nur zwei Singles herausgebracht, die aber keine Rekorde brachen.

Sie verschwanden denn auch rasch wieder aus jenen Radioprogrammen, die Jackos Klassiker bevorzugen. Hier geht es also weniger um die Person “MJ”, schuldig oder nicht, sondern um den Künstler – und um seine Inspiration.

Marc-André Miserez und Agenturen
(Übersetzung aus dem Französischen: Alexander Künzle)

Der Prozess gegen den Popstar Michael Jackson hat am 31. Januar begonnen.
Ihm werden in zehn Anklagepunkten unzüchtige Handlungen an einem Minderjährigen, Kindesentführung, versuchte Erpressung und Freiheitsberaubung vorgeworfen.
Bei einer Verurteilung drohen ihm bis zu 20 Jahre Haft.
Jackson streitet die Vorwürfe ab.
Der Prozess im kalifornischen Santa Maria dauert voraussichtlich sechs Monate.

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