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“Journalistischer Mehrwehrt statt nur Kosmetik”

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Die Neue Zürcher Zeitung will mit dem neuen Layout die "Bleiwüste" auflockern und neue Leser ansprechen. Medienwissenschaftler Vincenz Wyss begrüsst diesen Schritt. Es brauche jedoch mehr als reine Kosmetik, warnt er angesichts des aktuellen Layout-Booms.

Der Relaunch des Welt- und Traditionsblattes ist unaufgeregt, seriös und klassisch – so wie die Zeitung selbst.

Dennoch kommt er einer kleinen Revolution gleich: Denn es ist die auffälligste Überarbeitung seit 1946, als die NZZ von der Fraktur- zur Antiqua-Schrift wechselte.

Im Gegensatz zu anderen Verlagshäusern zeigte sich die NZZ in ihrer 230-jährigen Geschichte gegenüber Trends im Zeitungs-Layout zurückhaltend, ja quasi resistent. Mit dem ersten Farbbild auf der Frontseite liess sich die Zeitung Zeit: Es erschien erst 2005.

Weg mit der “Bleiwüste”

Konkret enthält das neue, am Mittwoch lancierte Erscheinungsbild folgende Neuheiten: Drei (Politik, Wirtschaft, Feuilleton) statt wie bisher sechs Bünde, fünf statt vier Spalten, grössere Bilder – und mehr weissen, leeren Raum.

Die NZZ will mit der Neugestaltung auch die verschiedentlich kritisierte “Bleiwüste” auflockern. “Wir bemühen uns, in Zukunft eine elegante, eine besser lesbare, auch eine aufgeräumtere NZZ zu präsentieren”, sagte NZZ-Chefredaktor Markus Spillmann gegenüber Schweizer Radio DRS.

Auch inhaltlich gibt es ein paar Änderungen: Neu enthält die Zeitung zwei Meinungs- und Debatte-Seiten mit Kolumnisten und Gastautoren sowie Hinweise auf das Online-Angebot der NZZ. Der Wirtschafts- und Börsenteil wurde leicht ausgebaut, und auch das Feuilleton erhält mehr Platz.

“Zeitung als Vertiefung”

Mit diesem Relaunch zum jetzigen Zeitpunkt wolle die NZZ den sich verändernden Lesegewohnheiten, den Herausforderungen durch neue Informationsträger sowie den Ansprüchen und der Volatilität im Werbemarkt besser gerecht werden, schreibt Spillmann in der NZZ.

Das Medium Zeitung werde heute zunehmend in Ergänzung und als Vertiefung zu schnelleren Medien genutzt, allen voran zu Online. “Entsprechend erwartet die Leserschaft von einer NZZ mehr denn je Vertiefung, Analyse, Hintergrund und Kommentierung zulasten der reinen Chronistenpflicht und des rein Nachrichtlichen”, so der NZZ-Chefredaktor.

“Kontinuität in Substanz”

Die insgesamt moderaten Änderungen sollen die Stammleserschaft nicht vor den Kopf stossen. Gleichzeitig sollen sie neuen Leserinnen und Lesern den Einstieg in die NZZ erleichtern, wie Spillmann sagt.

In den letzten Jahren hat die Neue Zürcher Zeitung rund 30’000 Leser verloren, die Auflage sank auf 143’000. Die Frage drängt sich auf, ob auf dem hart umkämpften Zeitungsmarkt ein neues Layout ausreicht, um Leser zu gewinnen.

“Ein wunderschönes Layout nützt nichts, wenn die Substanz fehlt”, ist Medienwissenschaftler Vincenz Wyss überzeugt. Die noch verbleibende Leserschaft der Tageszeitungen sei kritisch. “Sie wird sofort durchschauen, ob es sich um reine Kosmetik handelt oder ob tatsächlich journalistische Leistungen angeboten werden, die einen Mehrwert darstellen zu dem, was wir im Geröll der Medienlandschaft ohnehin überall schon haben”, so Wyss.

Für Wyss ist der NZZ mit dem Relaunch ein Spagat gelungen. Einerseits drücke sie mit dem neuen Layout aus, dass sie den zeitlichen Strömungen und neuen Lesegewohnheiten entgegen komme; sie sei luftiger und lesefreundlicher geworden. Andererseits bleibe sie unaufgeregt.

“Sie zeigt weiterhin in der Kontinuität Substanz und Seriosität und drückt damit aus, dass sie eine Urzeitung bleiben möchte”, betont Wyss.

Layout-Boom

Die NZZ hat also ihr neues Erscheinungsbild lanciert. Schon bald werden Relaunches weiterer Zeitungen folgen: Der Tages-Anzeiger will trotz Massenentlassung eine bessere Zeitung machen und laut Co-Chefredaktor Res Strehle näher an die Leute heran, die Analyse- und Recherche-Kapazität erhöhen und visuell stärker werden.

Der Berner Bund wird in Folge der Zusammenlegung mit dem Tagi im Oktober neben einem überarbeiteten Layout auch mit neuem Redaktionskonzept erscheinen, und das Boulevard-Blatt Der Blick will sich zum 50-Jahre-Jubiläum im Herbst ein neues Kleid verpassen und wieder zu einem grösseren Format zurückkehren.

“Alle Zeitungen sind heute unter einem unwahrscheinlichen Druck. Sie müssen gegen innen und aussen zeigen, dass sie etwas gegen die Krise tun”, sagt Wyss. “Mit einem neuen Layout können sie signalisieren, dass sie sich verändern, dass sie gegenüber Innovationen offen sind”, erklärt Wyss den aktuellen Layout-Boom.

“Leuchttürme statt Barometer”

In letzter Zeit wurden zahlreiche Journalisten entlassen und Budgetkürzungen vorgenommen – auch bei der NZZ. Das neue Layout lassen sich die Zeitungen jedoch etwas kosten.

Ist das nicht widersprüchlich? “Es kann einem schon in den falschen Hals kommen, wenn viele Mittel für das Layout ausgegeben, aber die eigentlichen Hausaufgaben nicht gemacht werden – nämlich konzeptuell und journalistisch innovativ zu sein”, sagt Wyss.

Wie eine gute Zeitung auszusehen hat, dazu hielt Medienminister Moritz Leuenberger in der ersten Neuausgabe der NZZ ein Plädoyer: “In Zeiten des Internets mit seiner ständigen Verfügbarkeit und seinem unübersichtlichen Meer an Informationen braucht es stabile Leuchttürme der Glaubwürdigkeit, die dem Zeitgeist widerstehen und Orientierung bieten”, so Leuenberger.

Quotendenken enge die journalistische Qualität ein und verschliesse sich neuen Entwicklungen, warnt Leuenberger. Zum Layout sagt er nichts – auch nicht wie ins Wanken geratene Leuchttürme mit weniger Personal und Geld stabilisiert werden können.

Corinne Buchser, swissinfo.ch

Im Jahr 1780 wurde die erste Ausgabe unter dem Titel Zürcher Zeitung publiziert, 1821 wurde das Blatt in Neue Zürcher Zeitung umgetauft.

In den Jahren 1858 und 1878 folgten Wechsel im Umbruch: Von zwei zu drei Spalten und schliesslich zu vier Spalten.

1946 wechselte die NZZ von der Fraktur- zur Antiqua-Schrift.

Das erste Farbbild auf der Frontseite erschien im Jahr 2005.

Gemäss der neuesten Erhebung der WEMF AG für Werbemedienforschung lasen zwischen April 2008 und Mai 2009 rund 487’000 Personen regelmässig den Tages-Anzeiger, 421’000 eine Ausgabe der Mittelland Zeitung, 395’000 Berner Zeitung oder Der Bund, 306’000 die Neue Zürcher Zeitung und 278’000 die Neue Luzerner Zeitung.

Alle konnten einige tausend Lesende dazugewinnen. Leicht abgegeben hat dagegen das Boulevardblatt Blick, das mit 649’000 Lesern aber nach wie vor die beliebteste bezahlte Zeitung bleibt.

Die Gratiszeitung 20 Minuten bleibt mit 1’417’000 Lesenden an der Spitze.

Die SonntagsZeitung wurde von 835’000 Personen gelesen, rund 60’000 mehr als in der Vorjahresperiode. Die anderen Sonntagszeitungen konnten nur noch leicht zulegen.

Die Coop-Zeitung mit 2’670’000 und das Migros-Magazin mit 2’344’000 Lesenden sind die beliebtesten Magazine. In dieser Sparte zulegen konnten Das Magazin, das NZZ Folio oder die Annabelle.

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