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“Lernen Sie Kapitän Larsson kennen”

Mit einer Werbefahrt hat man ein Geschenk. imagepoint

"Wenn einer eine Reise tut, so kann er was erzählen", und von einer Werbefahrt kommt er auch noch gesünder nach Hause. Sie glauben das nicht? Ein swissinfo.ch-Reporter hat es ausprobiert.

“Einladung zur Schiffstaufe der MS Queensburry. Sie werden von Kapitän Knut Larsson persönlich begrüsst”, heisst es im Einladungsbrief von Olympia-Touristik aus Oetwil an der Limmat, den ich an meine private Adresse geschickt bekomme. Versprochen wird die Abholung per Bus am Wohnort, ein kostenloses Mittagessen, ein 1000 Franken-Gewinn, ein ganzer Schwarzwälder-Schinken und ein Geschenkkorb für jeden Reiseteilnehmer.

Der Brief enthält auch eine Losnummer, die auf einen Kreuzfahrt-Gewinn im Wert von 4500 Franken hoffen lässt. Das tönt toll!

05:45: Es ist kalt, an der Bushaltestelle hält ein Kleinbus und nimmt den einsam Wartenden auf. “Sie bringen mich zur Schiffstaufe?”, frage ich den Chauffeur. “Schiffstaufe? Nein, Besuch einer Schokoladefabrik”, wird entgegnet. Nach einer intensiven Recherche findet der Chauffeur heraus, dass auch die Gäste der Schiffstaufe von ihm mitgenommen werden sollen. Trotzdem bleiben viele Plätze leer – 13 Personen hatten sich angemeldet, erschienen sind nur fünf.

Die Fahrt soll ins Luzernische gehen. Die Gruppe landet schliesslich in einem Dorf bei Laufenburg im Kanton Aargau, vor einem etwas heruntergekommenen Landgasthof. Endlich trifft auch noch der zweite Bus mit 21 Rentnerinnen und Rentnern ein, die sich für die Besichtigung einer Schokoladefabrik angemeldet haben.

“Bei uns werden Sie nicht enttäuscht”

“Es tut uns leid, die Schiffstaufe findet heute nicht statt. Sie können bei der anderen Gruppe mitmachen, oder wir bringen Sie wieder nach Hause”, sagt eine blonde Dame.

Irritiert beschliesst das Schiffs-Grüppchen zu bleiben. “Ich habe in den letzten Wochen so oft gehört, dass Menschen auf Werbefahrten bös enttäuscht worden sind. Die meisten von Ihnen werden uns garantiert in guter Erinnerung behalten, verlassen sie sich drauf”, versichert die Moderatorin Claudia, die nach eigenen Angaben bei einem Privatfernsehkanal als Teleshopping-Moderatorin tätig ist.

Primates und Vitaminkuren

“Ich möchte Ihnen heute etwas vorstellen, das in den letzten Monaten für Furore gesorgt hat. Liebe Gäste, wer von Ihnen kennt Primates, und wer hat es bereits zu Hause? – Was, niemand kennt es?”

Auch wenn wir alle Millionäre wären, könnten wir Primates heute bei ihr nicht käuflich erwerben, sagt Claudia. “Ich habe aber ganz zum Schluss für eine Handvoll Gäste eine riesengrosse Überraschung. Und diese Gäste werden dieses Lokal heute singend verlassen”, verspricht sie.

“Wir bieten auch in der Schweiz seit einigen Jahren erfolgreich Vitaminkuren an. Ich ziehe drei heraus, die wirklich sehr gut sind: Aloe Vera, Anti Aging und Q10.” Ein kritischer Geist könnte einwerfen, dass Aloe Vera und Anti Aging keine Vitamine seien…

“Was ist denn überhaupt der Unterschied zwischen einer Kur und einer Therapie?”, fragt die Fernsehmoderatorin. “Eine Kur sollte man regelmässig wiederholen. Eine Therapie ist einmalig. So eine Therapie macht man ein einziges Mal im Leben. Therapie kommt aus dem Griechischen und bedeutet “Ein Mal”.

Auch hier könnte ein kritischer Geist einwerfen, dass Therapie vom Griechischen Wort therapia stammt und mit “Dienen, Bedienung, Dienstleistung, Pflege der Kranken” übersetzt wird.

Die alten Leute im Saal werden noch mit anderen unerwarteten Feststellungen konfrontiert. Beispiel: “Bei einem Menschen um die sechzig ist das Immunsystem in etwa um 25% intakt. Beim 40-Jährigen sind es 95%. Wie viel Prozent bleiben denn jetzt, um krank zu werden?” Niemand antwortet, jedermann rechnet.

Weitere Frage: “Welches sind heutzutage die drei häufigsten Todesursachen? – Herzinfarkt, Schlaganfall und Krebs! Liebe Gäste, denken Sie bitte mal darüber nach.” Betretenes Schweigen. Wer ist wohl der/die nächste?

Stutenmilch

Aber Hilfe naht: Claudia fragt: “Wer von Ihnen hat sich schon mal mit 100% naturbelassener Stutenmilch behandelt? – Was, auch keiner? Sagen Sie mal, woher kommen denn Sie?”

Stutenmilch muss ein mirakulöses Heilmittel sein. Laut Claudia hilft es bei “Hauterkrankungen, Neurodermitis, Rheuma, Magen- und Darmerkrankungen, Immunschwäche, Infektanfälligkeit, Lebererkrankungen, Stoffwechselstörungen, Herz- und Kreislaufstörungen, Depressionen, Nervenschwächen und sogar bei Gewichtsproblemen.”

Trotzdem werde es von Ärzten nicht empfohlen, denn “alles, was von der Natur kommt, darf von unseren Ärzten nicht verschrieben werden”.

Nun nennt Claudia die Internet-Adresse des von ihr so eifrig beworbenen Produkts: www.stutenmilch-primates.de.

Eine Nachprüfung zu Hause ergibt: Diese Seite existiert nicht. Na ja, alte Leute haben sowieso Mühe mit den neuen Medien…

Prominente Schützenhilfe

Aber einem Prominenten darf man wohl glauben! Und so bringt Claudia Kurt Felix ins Spiel, Schweizer Fernsehmoderator und Journalist, der mit der Sendung “Verstehen Sie Spass?” auch in Deutschland sehr erfolgreich war.

“Felix ist ein sympathischer Mensch. Er wurde auch in Deutschland geliebt, weil er trotz seines Erfolges immer mit beiden Beinen fest auf dem Boden geblieben ist”, sagt Claudia.

“Aber irgendwann klopfte bei Kurt Felix das Schicksal an die Tür. Diagnose Krebs. Aufgrund seiner Krankheit hat er eine Chemotherapie nach der anderen bekommen.”

Nach einer Chemotherapie seien die Menschen geschwächt, anfällig. Warum? “Weil keine Abwehrkräfte mehr da sind, die gegen irgendwas steuern können. Dank Paola, seiner Frau, die im Internet recherchiert hat, befindet sich Kurt Felix nun auf dem Weg zur Besserung.”

Diese Erfolgsmeldung wollte ich mir vom Fernsehmoderator persönlich bestätigen lassen. Paola und Kurt Felix haben dieses Produkt gar nie ausprobiert, sie kennen es nicht einmal.

Felix sagt gegenüber swissinfo.ch: “Schon einmal warb ein Verkäufer auf einer Werbefahrt mit einem Poster von mir für sein Produkt – ohne mein Wissen oder Zustimmung. Ich habe einen Rechtsanwalt eingeschaltet – leider ohne Erfolg, da diese dubiosen Verkäufer schnell untertauchen und unter einem anderem Namen weitermachen.”

Potente Geldgeber

“Aufgrund unserer Produkte benötigen die Menschen automatisch weniger Medikamente”, so Claudia. Leider hätten die Krankenkassen nicht auf ihre Anfragen reagiert, diese Produkte zu subventionieren. So habe man sich an die Europäische Krankenkassengemeinschaft gewendet.

“Jetzt halten Sie sich bitte fest! Im Jahr 2002 haben wir von der Europäischen Krankenkassengemeinschaft eine Summe von sage und schreibe 500 Mio. Euro für blutdrucksenkende Mittel zur freien Verfügung gestellt bekommen!”

Auch für die aktuelle Promotionstour habe man eine stolze Summe zur Verfügung gestellt bekommen: 500’000 Schweizer Franken. “Ist das was? Ja oder Nein?”

Dieses Geld sei für die ganze Tour vorgesehen, für genau 1000 Personen! “Sie werden zur Elite gehören, meine Damen und Herrn!” Die 500 Franken würden jetzt von 2398 Euro runter gerechnet, “Und dann bleiben Sie ganz genau bei einer Summe von 1898 Euro.”

Da nicht alle im Saal Anwesenden von diesem einmaligen Angebot profitieren könnten, mache sie eine Verlosung. “Eine einzige!”

Nach einer Zusatzziehung steht fest: Über die Hälfte der Anwesenden hat gewonnen! Und viele der Leute stehen zufrieden Schlange und unterschreiben für diese “günstige” Therapie.

Aprilscherz?

Nachgefragt: Eine europäische Krankenkassengemeinschaft gibt es nicht. Aber es existiert die Association Internationale de la Mutualité (AIM), die Internationale Vereinigung der Krankenversicherer, eine Lobbyorganisation der europäischen Krankenkassenverbände. Diese muss Claudia wohl gemeint haben.

Reaktion aus Brüssel: Schallendes Gelächter. “Machen Sie einen verspäteten Aprilscherz? Auch wenn wir wollten, hätten wir gar nicht solche Mittel zur Verfügung – schon gar nicht für ein Stutenmilchprodukt.”

Hauptsponsor dieses Events soll übrigens der deutsche Medienkonzern Bertelsmann sein. Aber was geschieht nun mit dem armen Kapitän Knut Larsson? Er bleibt wohl der Kommandant eines namenlosen Schiffes.

Und wie geht es weiter? Was für tolle Produkte werden am Nachmittag zum Kauf angeboten? Wie verläuft der Besuch der Schokoladenfabrik? Wer hilft beim Heimtragen der Geschenke?

Fortsetzung folgt am Sonntag, 17. April, 16.00 Uhr.

Seien Sie skeptisch gegenüber Gewinnversprechen. Firmen wollen Geld verdienen, nicht Wohltäter spielen!

Lassen Sie sich nicht zu einer Unterschriftdrängen (auch wenn das Spezialangebot “nur heute” gilt).

Leisten Sie keine Vorauszahlungen.

Das Schweizer Recht bietet Rücktrittsmöglichkeiten. Kaufen Sie bei einer Werbefahrt, können Sie innert 7 Tagen vom Vertrag zurücktreten.

Werbefahrtfirmen unterlaufen das oft, indem sie ihren Kunden den Artikel bereits ein, zwei Tage nach Vertragsabschluss liefern und bar einkassieren. Darauf wird es erfahrungsgemäss sehr schwierig, wieder zu seinem Geld zu kommen.

Steht auf der Einladung nur ein Postfach anstelle der genauen Adresse des Reiseveranstalters, ist umso mehr Vorsicht geboten.

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